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FDP-Politiker Konstantin Kuhle: Wir sollten die Bürger ernst nehmen – nicht die AfD


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UN-Migrationspakt
Spahn ist auf dem besten Weg, zum deutschen Boris Johnson zu werden

MeinungEin Gastbeitrag von Konstantin Kuhle (FDP)

22.11.2018Lesedauer: 5 Min.
Jens Spahn: Der Bewerber um den CDU-Vorsitz plädiert für eine Verschiebung der deutschen Zustimmung zum Migrationspakt.Vergrößern des Bildes
Jens Spahn: Der Bewerber um den CDU-Vorsitz plädiert für eine Verschiebung der deutschen Zustimmung zum Migrationspakt. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)
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Die AfD hält ihn für Teufelswerk, mittlerweile rührt auch CDU-Politiker Jens Spahn am UN-Migrationspakt. Doch die Debatte nutzt nur den Rechtspopulisten. Wir sollten ihnen nicht auf den Leim gehen.

Ungarn, Polen und Australien, aber auch vor allem die USA wollen ihn nicht. Die Rede ist vom Migrationspakt der Vereinten Nationen. Mit ihm sollen Menschenrechte besser geschützt werden, auch soll ein besserer Umgang mit globalen Migrationsbewegungen entstehen.

Die AfD ist strikt gegen die Teilnahme Deutschlands am Migrationspakt, auch aus der Union kommen kritische Stimmen. Der FDP-Politiker Konstantin Kuhle, innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Bundestag, plädiert für Nüchternheit und appelliert an die Regierungskoalition, sich lieber dringenderen Problemen der Bürger anzunehmen.

Konstantin Kuhle,coremedia:///cap/blob/content/84345552#data geboren 1989, ist Mitglied des deutschen Bundestags und dort innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion.

Mitte Dezember soll in der marokkanischen Stadt Marrakesch durch die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen der "Globale Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration" verabschiedet werden. Dieser Kooperationsrahmen enthält Empfehlungen und mögliche Maßnahmen zur Koordination von weltweiten Migrationsbewegungen.

Es handelt sich bei der Übereinkunft um einen politischen Text, der rechtlich nicht verbindlich ist. Trotzdem ist er geeignet, an die Verantwortung verschiedener staatlicher Akteure beim Thema Migration zu erinnern. So sollten etwa Herkunftsländer ihre eigenen Staatsangehörigen zurücknehmen und die nötigen Reisedokumente bereitstellen. Staaten, in denen sich Migranten aufhalten, sollten möglichst schnell Klarheit über ein mögliches Aufenthaltsrecht schaffen. Um diese Punkte zu erreichen, ist der UN-Migrationspakt ein politisches Instrument nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Lügenkampagnen der AfD

Derzeit bekommen alle Büros von Mitgliedern des Deutschen Bundestages zahlreiche E-Mails von Bürgerinnen und Bürgern, die sich Sorgen machen, ob der UN-Migrationspakt die nationale Souveränität Deutschlands einschränkt oder nicht. Manche E-Mails sind in einem sachlichen Ton formuliert, sodass man ihnen mit guten Argumenten die Sachlage erklären kann. Dabei kann man auch gut deutlich machen, dass nicht alle Formulierungen aus dem Pakt uneingeschränkt richtig sind, dass es aber zum Charakter internationaler Vereinbarungen gehört, dass Kompromisse gefunden werden müssen.

Immer mehr E-Mails und Nachrichten in den sozialen Medien sind jedoch in einem harschen und beleidigenden Ton formuliert. Abwechselnd wird hier als "Volksverräter" und "Volksmörder" bezeichnet, wer den UN-Migrationspakt unterstützt. Man setze sich für den "Tod des weißen Mitteleuropäers" unter der "Schreckensherrschaft von Angela Merkel" ein.

Auf solche E-Mails kann man kaum in sachlicher Weise antworten. Hinter den E-Mails aus dieser zweiten Gruppe steht eine massive Kampagne der AfD. Die Rechtspopulisten haben früh verstanden, dass der Pakt ein heißes Eisen für die seit der Migrationskrise im Jahr 2015 verunsicherte deutsche Öffentlichkeit sein würde. Dementsprechend laufen seit Monaten die Kanäle der AfD in den sozialen Medien heiß, um mit gezielten Falschinformationen und Lügenkampagnen über den Pakt möglichst viele Menschen zu verunsichern. Dass Donald Trump und Viktor Orbán ebenfalls gegen den Pakt sind, gibt der AfD in ihren Augen recht. Mit ihrer Strategie hat die AfD seither auf ganzer Linie Erfolg.

Regierungspolitiker müssen das demokratische System schützen

Denn seit wenigen Tagen ist die Haltung der Rechtspopulisten auch in der Führungsriege der CDU angekommen. Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister und Bewerber für den CDU-Parteivorsitz, schlägt nun vor, die Zustimmung Deutschlands zum UN-Migrationspakt zu verschieben, weil darüber nicht ausreichend in der Öffentlichkeit diskutiert worden sei.

Die Wahrheit ist: Dieselbe Bundesregierung, der Jens Spahn seit 2015 angehört, verhandelt seit 2016 über den UN-Migrationspakt. Der ehemalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer spricht gar von "Geheimdiplomatie". Diese Versuche, sich auf Kosten einer internationalen Vereinbarung zu profilieren, sind billig und durchsichtig.

Sie sind aber auch gefährlich.

Denn indem führende Politiker der Regierungskoalition sich zu Kronzeugen einer AfD-Lügenkampagne machen, beschädigen sie das demokratische System. In diesen Tagen kann die ganze Welt beobachten, wie eine Gruppe von Politikern diffuse Stimmungsmache ernster nimmt als verantwortungsvolles Regierungsgeschäft.

Spahn handelt gefährlich

Die Vertreter eines harten Brexits in der Konservativen Partei im Vereinigten Königreich surfen auf einer Welle aus Falschinformationen und Lügen. Mit einer solchen Kampagne wurde die Volksabstimmung über das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs gewonnen und mit derselben Einstellung wird nun der Entwurf eines Austrittsabkommens torpediert. Hierzulande zieht Jens Spahn in AfD-Manier gegen den UN-Migrationspakt zu Felde, Spahn ist auf dem besten Weg, zum deutschen Boris Johnson zu werden – persönliche Interessen stellt er vor das Allgemeinwohl, nach ihm die Sintflut.

Im Bereich der Migrationspolitik schlägt nun Spahns Mitbewerber Friedrich Merz vor, das Grundrecht auf Asyl in der Verfassung zu verändern. Zur Erinnerung: Schon in den Neunzigerjahren wurde ins Grundgesetz im Rahmen des sogenannten Asylkompromisses ein Vorbehalt eingefügt, der auf die europäische Kooperation abzielt. Merz’ Vorschlag ist aus der Zeit gefallen und geht am wahren Problem vorbei, der Wirksamkeit eines europäischen Asylsystems. Dass ausgerechnet Jens Spahn nun Friedrich Merz für dessen Vorstoß kritisiert, ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten. Mit Merz’ Vorstoß bekommt Spahn genau die "ehrliche Debatte", die er Anfang der Woche noch selbst eingefordert hat.

Zu den Aufgaben eines Politikers gehört es immer, Fragen und Sorgen aus der Bevölkerung ernst zu nehmen. Dazu gehören auch die Vor- und Nachteile eines UN-Migrationspaktes. Wer CDU-Vorsitzender und Kanzler werden will, hat aber auch die Pflicht, zu führen. In einem demokratischen Gemeinwesen setzt Führung jedoch ein Mindestmaß an Vertrauen in gewachsene Institutionen voraus. Dazu gehört auch die regel- und wertebasierte internationale Zusammenarbeit.

Wenn Regierungen nicht mehr in der Lage sind, internationale Verträge und Vereinbarungen zu verhandeln, geht diese Entwicklung zulasten der Menschen. Wie schon bei der Verhandlung der Freihandelsabkommen TTIP und CETA mit den Vereinigten Staaten und Kanada verliert die Politik ab einem bestimmten Zeitpunkt die Glaubwürdigkeit, gewisse Umstände zu erklären, wenn sich Vertreter demokratischer Parteien mit extremen Ansichten gemein machen.

Nicht der AfD auf den Leim gehen

Aktuell beschließen auch Vertreter aus ostdeutschen CDU-Landesverbänden Resolutionen gegen den UN-Migrationspakt – offenbar in dem Versuch, der AfD bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr Stimmen abzujagen. Man kann der AfD zu diesem Coup nur gratulieren. Denn niemand wird die Union statt der AfD wählen, weil die Vertreter von CDU und CSU sehenden Auges Falschinformationen der Rechtspopulisten übernehmen.


Das Gegenteil wird passieren: Die Rechtspopulisten gewinnen die Diskurshoheit bei den entsprechenden Wahlkämpfen. Bürgerinnen und Bürger, denen zu viel über Flüchtlinge und Migration und zu wenig über Wohnen, Bildung, Rente und Arbeit gesprochen wird, finden nicht mehr statt.

Um das Thema Migration dauerhaft zu befrieden, kann man durchaus für eine kritische Auseinandersetzung mit der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel seit dem Jahr 2015 sein. Man kann sich für schnellere und einfachere Abschiebungen einsetzen und im Bereich der qualifizierten Migration für ein hartes Punktesystem nach kanadischem Vorbild plädieren. Wer aber lediglich die Phantomdebatten der Rechtspopulisten für das eigene Fortkommen aufwärmt, der erreicht keinen Fortschritt bei regelbasierter Migration und er setzt die demokratische Kultur unseres Landes aufs Spiel.

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