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SPD und Linke: Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten


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Wofür der Staat Geld ausgeben muss
Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten

MeinungEin Gastbeitrag von Jan Korte, Carsten Schneider

21.11.2018Lesedauer: 5 Min.
Die Parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktionen von Die Linke und SPD, Jan Korte und Carsten Schneider: Sie fordern gemeinsam eine Steuerreform und mehr Investitionen.Vergrößern des Bildes
Die Parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktionen von Die Linke und SPD, Jan Korte und Carsten Schneider: Sie fordern gemeinsam eine Steuerreform und mehr Investitionen. (Quelle: imago/photothek, imago/Metodi Popow)
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Deutschland investiert zu wenig – auch die aktuelle Regierung. Das schadet nicht nur der Wirtschaft, es ist auch ungerecht. Vorschläge für ein linkes Ausgabenprogramm.

Die Autofahrer in Deutschland haben es nicht leicht. Ganze 460.000 Stunden verbrachten sie letztes Jahr im Stau, 9 Prozent mehr als im Vorjahr. Hauptursache laut ADAC: neue Baustellen, meist vom Bund finanziert. Viele Straßen wurden lange vernachlässigt, nun wird modernisiert – gefühlt überall gleichzeitig. Das ist nur eines von vielen Beispielen, die zeigen, dass Deutschland in den vergangenen Jahren auf allen staatlichen Ebenen zu wenig in die öffentliche Infrastruktur investiert hat.

Jan Korte ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag.
Carsten Schneider ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag.

Für viele ist die Investitionsschwäche ein rein ökonomisches Thema. Demnach machen fehlende Investitionen unseren Wirtschaftsstandort unattraktiver. Und sie tragen zum Leistungsbilanzüberschuss bei, für den Deutschland international in der Kritik steht. Beide Argumente sind richtig.

Fehlende Investitionen sind ungerecht

Doch uns sollte bewusst sein, dass fehlende Investitionen vor allem auch eines sind: sozial ungerecht.

Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten. Wenn es keine öffentliche Bibliothek mehr gibt, kaufen sie Bücher eben in der Buchhandlung. Wenn in der staatlichen Schule der Putz von den Wänden bröckelt, schicken sie ihre Kinder auf Privatschulen. Selbst das Verkehrschaos ist für denjenigen, der ein Haus in der Stadt besitzt, eher zu verkraften. Hingegen sind Menschen mit geringen und mittleren Einkommen auf eine gute staatliche Infrastruktur angewiesen. Sie leiden besonders unter den immer größeren sozialen und ökonomischen Unterschieden, die es zwischen den Regionen in Deutschland gibt.

Von guter Bildung profitieren alle

Nirgendwo ist dieser Zusammenhang so offensichtlich wie im Bildungsbereich. Sozialforscher kommen seit Jahren zu dem Ergebnis, dass gezielte Investitionen in frühkindliche Bildung, in Ganztagsschulen, aber auch in Integrationsmaßnahmen sowie Jugend- und Sozialarbeit vielfache positive Auswirkungen haben. Individuelle Lebenschancen und das Bildungsniveau werden verbessert, auch die Erwerbsbeteiligung und die Produktivität steigen. Davon profitieren alle in Deutschland.

Es ist ein Trauerspiel, dass Deutschland bei den staatlichen Bildungsausgaben im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung im Jahr 2015 nur auf Platz 21 von 28 EU-Mitgliedstaaten lag. Ziel einer guten Bildungspolitik muss es sein, jedem Kind einen guten Bildungsabschluss zu ermöglichen. Wir brauchen deshalb dringend eine neue Bildungsrevolution, ähnlich der sozialdemokratischen Bildungsreform in den siebziger Jahren.

Wer Zukunftschancen für alle öffnen will, muss Chancengleichheit herstellen. Und er muss etwas gegen den Lehrermangel tun. Dass dies geht, zeigt die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen: In der laufenden Wahlperiode wurden etwa 3.500 Lehrer_innen neu eingestellt, so viele wie noch nie. Um die Attraktivität des Lehrerberufes zu erhöhen, hat der Freistaat die Möglichkeit der Verbeamtung wieder eingeführt. Heute hat Thüringen das beste Lehrer-Schüler-Verhältnis in ganz Deutschland.

Die Pläne der Regierung reichen nicht

Aber auch auf anderen Gebieten leben wir von der Substanz. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau schätzt den Investitionsstau allein in den Kommunen auf rund 160 Milliarden Euro. Besonders groß ist der Bedarf für Straßen und Brücken, die Wasserversorgung und Schulen. Dabei sind die Investitionslücken bei Bund und Ländern gar nicht einbezogen. Und die Bertelsmann-Stiftung hat ausgerechnet, dass der Anteil öffentlicher Investitionen am Bruttoinlandsprodukt im langjährigen Mittel bei nur 2,2 Prozent liegt und damit deutlich unter dem OECD-Durchschnitt. Dieses Problem potenziert sich, weil geringe staatliche Investitionen häufig auch weniger private Investitionen bedeuten.

Deshalb gilt: Wir müssen das Ruder herumreißen und für mehr öffentliche wie private Investitionen sorgen. Schon in der vergangenen Wahlperiode hatte der Bund zusätzliche Mittel für Bildung, Forschung, Hochschulen und Digitalisierung zur Verfügung gestellt. Aktuell plant Finanzminister Olaf Scholz Ausgaben für Investitionen von rund 180 Milliarden bis 2022; das sind 23 Prozent mehr als zwischen 2013 und 2017. Für eine auf Dauer angelegte progressive Investitionsoffensive in Deutschland reicht das jedoch nicht.

Der Staat muss neue Prioritäten setzen

Eine solche Offensive hat anspruchsvolle Voraussetzungen, an denen wir systematisch arbeiten müssen. Beispielsweise muss die öffentliche Verwaltung überhaupt in der Lage sein, vorhandenes Geld sinnvoll auszugeben und Projekte abzuwickeln. Das ist nicht immer der Fall: Häufig werden Mittel, die etwa der Bund zur Verfügung stellt, nicht abgerufen, weil die personellen und logistischen Kapazitäten fehlen. Hier sind Länder und Kommunen aufgefordert, die notwendigen Strukturen zu schaffen.

Klar ist auch, dass die Schuldenbremse – über deren Sinn wir unterschiedlicher Auffassung sind – auf absehbare Zeit den verfassungsmäßigen Rahmen für zusätzliche Ausgaben bilden wird. Der Staat wird neue Kredite auch künftig nur in begrenztem Umfang aufnehmen können. Umso wichtiger ist es, Ausgaben zu priorisieren – und die staatliche Einnahmeseite in den Blick zu nehmen.

Die Union will Spitzenverdiener wie Merz fördern

Das Ziel muss eine nationale Steuerreform sein, die geringe Einkommen entlastet und hohe Einkommen und Vermögen stärker belastet. Hingegen will die Union lieber den Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen, damit Spitzenverdiener wie Friedrich Merz weniger Steuern zahlen. Das ist weder ökonomisch klug noch sozial gerecht! Mit einer europäischen Steuer auf Börsengeschäfte, der sogenanntem Finanztransaktionssteuer, können wir dafür sorgen, dass sich dieser Sektor endlich an den Folgen der von ihm ausgelösten Finanz- und Wirtschaftskrise beteiligt. Außerdem müssen wir globale Konzerne stärker für die Finanzierung des Gemeinwesens in die Pflicht nehmen, zum Beispiel über eine Digitalsteuer.

Mit den zusätzlichen Einnahmen sollten nicht zuletzt strukturschwache Regionen dauerhaft besser gefördert werden. Nur so können wir verhindern, dass sich Deutschland immer mehr in arme und reiche Landesteile aufspaltet. Die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ der Bundesregierung soll bis 2019 Empfehlungen formulieren. Hier kommt schon mal ein konkreter Vorschlag: Die Kommunen erhalten derzeit 2,2 Prozent des Aufkommens der Umsatzsteuer. Dieses Geld wird nach einem Schlüssel verteilt, der wirtschaftsstärkere Gemeinden bevorteilt, die durch historisch gewachsene oder geografische Faktoren sowieso begünstigt sind. Nach dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben“. Um diese strukturelle Schieflage zu beseitigen, sollte dieser Schlüssel geändert werden. Denkbar wäre eine Verteilung nach Einwohneranteil oder anderen sozialen Indikatoren. Das wäre ein Beitrag zu mehr regionaler Gerechtigkeit und zusätzlichen Investitionen.

Außerdem muss die Kommission über einen weiteren Punkt beraten, der in der Öffentlichkeit bisher kaum eine Rolle spielt: Aufgrund eines statistischen Effekts droht nach dem Brexit, dass bisherige EU-Förderregionen in Deutschland kein Geld mehr aus den europäischen Strukturfonds erhalten. Um die drohende Brexit-Lücke zu füllen, werden wir unser nationales System der Strukturförderung um- und ausbauen müssen. Was dabei allerdings nicht passieren darf: dass die EU über ihr Beihilferegime nationale Fördermaßnahmen verbietet. Daraufhin würde die Europaskepsis in Deutschland wohl massiv zunehmen.


Kurzum, Zukunftsinvestitionen fallen nicht vom Himmel, sondern bedürfen einer langfristigen Strategie. Fest steht aber auch: Es reicht nicht, eine moderne Infrastruktur zu errichten. Der Staat muss zugleich garantieren, dass die Kinder in den Schulen optimal betreut werden, dass Wohnungen modernen Standards entsprechen und gute Straßen nicht zum Verkehrskollaps führen. Eine linke Politik für mehr Investitionen nimmt deshalb nicht nur die ausreichende Quantität, sondern auch auf die Qualität staatlicher Leistungen in den Blick.

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