Hunderttausende auf Großdemo "Unteilbar" "Ein unglaublich ermutigendes Signal"
Schon die angemeldete Teilnehmerzahl für den Protestmarsch gegen Rassismus in Berlin war gewaltig: 40.000. Aber die tatsächliche Größe übertrifft am Ende alle Erwartungen.
Ein deutliches Zeichen gegen Hass und Ausgrenzung: Zu einer der größten Demonstrationen gegen Rassismus und Ausgrenzung der vergangenen Jahre sind in Berlin nach Veranstalterangaben etwa 240.000 Menschen gekommen. Diese Zahl übertrifft bei Weitem die angemeldeten 40.000 Teilnehmer. Die Polizei wollte dazu keine eigenen Angaben machen, sondern sprach lediglich von "einigen Zehntausend" Menschen.
Im Zentrum der Hauptstadt bot sich ein buntes Bild: Sowohl junge als auch ältere Teilnehmer waren dem Aufruf der Initiatoren gefolgt, darunter auch viele Eltern, die ihre Kinder mitbrachten. "Ich habe keinen Bock auf Rückschritt und Rassismus. Intoleranz ist für mich der Inbegriff von Rückschritt", sagte die Demo-Teilnehmerin Julia Siebert (28) zu t-online.de. "Multikulti und eine offene Welt funktioniert doch super. Berlin ist das beste Beispiel dafür, dass viele Kulturen friedlich miteinander leben können."
Unter dem Motto "Für eine offene und freie Gesellschaft - Solidarität statt Ausgrenzung" hatte das Bündnis "#Unteilbar" zu dem Protest aufgerufen. Er richtete sich gegen rechte Hetze, Diskriminierung, das Flüchtlingssterben auf dem Mittelmeer und Kürzungen im Sozialsystem. Die Polizei war nach eigenen Angaben mit rund 900 Beamten im Einsatz und berichtete bis zum späten Nachmittag von keinen größeren Zwischenfällen.
"Wir sind alle unteilbar"
Die Demonstration begann am Alexanderplatz, von dort zog sich der kilometerlange Zug langsam über die Leipziger Straße, den Potsdamer Platz und zum Brandenburger Tor und weiter zur Siegessäule. Viele Menschen hatten Transparente, Plakate und Luftballons dabei. Unter anderem war zu lesen "Nein zur Hetze gegen Muslime" und "Rassismus ist keine Alternative". Ein riesiges Transparent trug die Aufschrift "Solidarität mit den Opfern rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt".
Auf Plakaten war etwa zu lesen "Seenotrettung ist kein Verbrechen", auch an die Opfer der rassistisch motivierten NSU-Morde erinnerten Teilnehmer mit Bannern. "Sagt es laut, sagt es klar, wir sind alle unteilbar", skandierte die Menschenmenge. Diese sei "ein Erfolg", erklärte das Bündnis "Unteilbar" mit Blick auf die geschätzte Teilnehmerzahl.
Das nimmt auch Sophia M. so wahr. Die deutsche Muslima ist mit ihrem algerischstämmigen Mann und ihren zwei Kindern zu der Kundgebung gekommen, weil sie Diskriminierung aus ihrem Alltag kennt. Seit den Ausschreitungen in Chemnitz erlebe die 38-Jährige allerdings, dass Menschen freundlicher zu ihr seien.
"Ich habe das Gefühl, dass mehr Leute jetzt Haltung zeigen wollen", sagt sie. Offensichtlich will ihre Familie auch Berührungsängsten entgegenwirken: Ihr Mann trägt ein großes Plakat mit der Aufschrift: "I'm a muslim - don't panic" (Ich bin Muslim, verfallen Sie nicht in Panik)
Appell an die Zivilgesellschaft
"Die Entwicklung nach rechts in Deutschland ist ziemlich ätzend", sagte Daniel Sippel (33) aus Berlin zu t-online.de. "Wenn es so schöne, friedliche, liebevolle Veranstaltungen gibt, um dagegen ein Zeichen zu setzen, dann bin ich immer dabei."
"Unteilbar" ist ein Bündnis aus tausenden Vereinen, Verbänden und Organisationen. "Wir appellieren hier heute gar nicht so sehr an die Politik, sondern wir appellieren hier heute an die Zivilgesellschaft", sagte Bündnissprecherin Theresa Hartmann. "Die Leute müssen merken: Wir müssen selbst etwas bewegen, damit sich etwas ändert."
Dem Bündnis schlossen sich etliche kirchliche Organisationen, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Parteien an. Die Demonstration war dementsprechend bunt: Hilfsorganisationen wie Brot für die Welt und Amnesty International waren vertreten; aber auch Parteien wie die Linke, die Grünen und die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands sowie feministische und von Migranten organisierte Gruppen.
Prominente Unterstützung
Mancherorts wirkte die Veranstaltung aber auch wie eine große Party: Technomusik tönte aus Boxen, mit Glitzer beschmierte Menschen tanzten und tranken Bier. Zu Zwischenfällen kam es nicht, teilte die Polizei am Nachmittag mit. Bislang sei die Kundgebung störungsfrei verlaufen.
Unterstützt wird das Bündnis außerdem von Künstlern, Wissenschaftlern und anderen Intellektuellen wie dem Satiriker Jan Böhmermann und der Band "Die Ärzte". Bei der Abschlusskundgebung wollten auch Liedermacher Konstantin Wecker sowie Herbert Grönemeyer auftreten.
Linken-Chefin Katja Kipping, sie sei wegen des "extremen Rechtsrucks" zu der Veranstaltung gekommen. "Es ist ein unglaublich ermutigendes Signal, was von dieser Demonstration ausgeht und das Signal heißt: Die Kämpfe um soziale Gerechtigkeit und die Kämpfe um Flüchtlingssolidarität, für Demokratie gehören unteilbar zusammen."
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Auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter kam zur Kundgebung. "Ich bin hier, um ein klares Zeichen zu setzen, dass sowohl die sozialen Rechte als auch die Rechte unserer Lebensgrundlagen unteilbar sind", sagte er AFP.
Zuvor hatte unter anderem auch SPD-Chefin Andrea Nahles zur Teilnahme an der Kundgebung aufgerufen. "Wir müssen Gesicht zeigen für eine solidarische Gesellschaft, für unseren Sozialstaat, für ein friedliches und respektvolles Miteinander", erklärte sie am Samstag.
Auch ihr Parteikollege und Bundesaußenminister Heiko Maas brachte seine Unterstützung zum Ausdruck. Es sei "ein großartiges Signal, dass so viele auf die Straße gehen und klare Haltung zeigen", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstagsausgaben). Eine gesellschaftliche Vielfalt bei Herkunft, Hautfarben, Religionen und Lebensstil sei eine Bereicherung, keine Bedrohung.
Auch in anderen deutschen Städten gab es am Samstag Aktionen gegen Rechts, Abschiebungen und für Solidarität mit Flüchtlingen. Unter dem Motto "Wir sind mehr" demonstrierten etwa in Frankfurt einige Tausend Menschen auch gegen die AfD. In Hessen wird in zwei Wochen ein neues Landesparlament gewählt. In Karlsruhe gingen rund 2000 Menschen "gegen nationalistische und rassistische Hetze" auf die Straße.