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Schnell erklärt | So wollen Union und SPD den Pflegenotstand bekämpfen


Schnell erklärt
So wollen Union und SPD den Pflegenotstand bekämpfen

Von t-online, js

Aktualisiert am 01.02.2018Lesedauer: 5 Min.
Eine Pflegeheimbewohnerin hält sich an einem Haltegriff fest: Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt kontinuierlich, doch es fehlen Fachkräfte.Vergrößern des Bildes
Eine Pflegeheimbewohnerin hält sich an einem Haltegriff fest: Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt kontinuierlich, doch es fehlen Fachkräfte. (Quelle: dpa)

Ein Auszubildender brachte die Kanzlerin in Bedrängnis – und machte das Thema Pflege groß. Jetzt haben sich Union und SPD auf Maßnahmen geeinigt. Aber reicht das?

Spätestens als der 21-jährige Auszubildende Alexander Jorde in der "Wahlarena" die Kanzlerin in Bedrängnis brachte, als er ihr vorwarf, zu wenig für die Pflege zu tun, war das Thema im Wahlkampf angekommen. "Es gibt Menschen, die liegen stundenlang in ihren Ausscheidungen", sagte er damals zu Merkel.

Wie groß ist der sogenannte Pflegenotstand wirklich, wie viele Pfleger fehlen, was hat die Regierung unternommen und wie reagieren die Sozialverbände auf die geplanten Maßnahmen?

Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ist mit "Pflegenotstand" gemeint?

Von einem "Pflegenotstand" ist seit Jahrzehnten die Rede. Gemeint ist ein Bündel von Problemen: Pfleger in Krankenhäusern und Pflegeheimen beklagen zu große Arbeitsbelastung, schlechte Löhne, mangelnde Anerkennung – und dass sie nicht auf kranke Menschen eingehen können, weil sie keine Zeit haben. Prognosen zufolge werden künftig viel mehr Pfleger gebraucht – aber es fehlt an Interessenten.

Meistens geht es bei der Diskussion um Pflege um Menschen, die nicht akut krank sind, sondern dauerhaft auf Hilfe angewiesen sind, etwa in Altenheimen. Zur Pflege gehört aber auch die Krankenpflege in Krankenhäusern.

Wie viele Pflegebedürftige gibt es?

Derzeit bekommen in Deutschland etwa 2,9 Millionen Menschen Geld aus der Pflegeversicherung. Der größte Teil von ihnen, rund 2,1 Millionen, werden zu Hause versorgt; überwiegend von Angehörigen, aber auch von ambulanten Pflegediensten. Dazu kommen allein gut 19 Millionen Menschen, die jedes Jahr stationär im Krankenhaus behandelt und dort von Krankenpflegern versorgt werden.

Wie viele Pflegekräfte gibt es und sind es genug?

Das ist nicht ganz einfach zu sagen. Laut amtlicher Pflegestatistik arbeiten in der ambulanten Pflege rund 355.000 Menschen und in Pflegeheimen rund 730.000. Aber nur ein Teil dieser Beschäftigten sind ausgebildete Pflegerinnen und Pfleger und mehr als zwei Drittel arbeiten in Teilzeit. Alles in allem ergibt das die Arbeitszeit von etwa 764.000 Vollzeitstellen. Etwa 25.000 bis 30.000 Vollzeitstellen mehr wären nach Angaben des Gesundheitsministeriums nötig.

Registriert sind außerdem rund eine Million sozialversicherungspflichtig beschäftigte Krankenschwestern, Krankenpfleger, Hebammen und Rettungsdienstler. Entscheidender als die Zahl ist, wie viele Patienten eine Pflegekraft während einer Schicht im Krankenhaus versorgen muss.

Eine wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2010 hat dafür in mehreren europäischen Ländern mindestens 30 Krankenhäuser aus dem ganzen Land ausgewählt und Mitarbeiter befragt; demnach mussten Krankenpfleger und Krankenschwestern in Deutschland mit durchschnittlich 13 Patienten mehr Kranke versorgen als in jedem anderen Land.

Wie wird sich der Pflegebedarf entwickeln?

Seit 2001 ist die Zahl der Pflegebedürftigen extrem angestiegen: um 34,4 Prozent bei den ambulant und um 40,2 Prozent bei den stationär Gepflegten. Allerdings ist klar, dass die Zahl der Pflegebedürftigen noch weiter steigen wird, weil Menschen mit zunehmenden Alter deutlich häufiger Hilfe brauchen, weil die geburtenstarke Baby-Boomer-Generation in den kommenden Jahrzehnten betroffen sein wird und weil die Lebenserwartung tendenziell steigt.

Dazu kommt: Fast 40 Prozent der Pflegekräfte sind mindestens 50 Jahre alt, nicht einmal 20 Prozent sind jünger als 30. In spätestens 15 Jahren wird also ein großer Teil der Pfleger in den Ruhestand gehen – wenn sie bis dahin durchhalten.

Verschiedene Studien kommen zu verschiedenen Einschätzungen des künftigen Bedarfs – je nachdem, wie viel Zuwanderung sie annehmen, wie sie die Lohnentwicklung vorhersagen und ob sie annehmen, dass die steigende Lebenserwartung dazu führt, dass man künftig bis ins höhere Alter gesund bleibt.

Die optimistischsten Prognosen gehen davon aus, dass gar keine Pfleger fehlen. Das statistische Bundesamt dagegen rechnet mit 140.000 bis 200.000 fehlenden Stellen schon 2025.

Wie viel Geld bekommt ein Pfleger oder eine Pflegerin?

Allgemein gilt: Fachkräfte verdienen mehr als Helfer, im Westen werden höhere Löhne gezahlt als im Osten, in der Krankenpflege mehr als in der Altenpflege. So liegt das mittlere Einkommen für ausgebildete Altenpfleger im Osten bei 1.945 Euro brutto, in Westdeutschland bei rund 2.500 Euro. Einer nicht repräsentativen Umfrage der gewerkschaftsnahen Boeckler-Stiftung zufolge sind Pflegekräfte überwiegend unzufrieden mit ihrer Bezahlung, auch im Vergleich mit anderen Berufen. Dazu kommen Tausende schwarz arbeitende Pflegekräfte, viele aus Osteuropa, die nicht offiziell erfasst sind und in der Regel viel schlechter bezahlt werden.

Wie wichtig schätzen Deutsche die Pflege ein?

In politischen Debatten wird gern betont, wie wichtig das Thema Pflege sei. Für viele Deutsche ist es aber kein vordringliches politisches Problem. In einer Umfrage aus dem Jahr 2017 nennen nur fünf Prozent das Gesundheitswesen/Pflege als wichtigstes politisches Problem.

Was wurde in den vergangenen vier Jahren entschieden?

Die große Koalition hat im vergangenen Jahr eine große Pflegereform verabschiedet, unterteilt in drei Gesetze (Pflegestärkungsgesetze I, II und III). Sie hat unter anderem das Stufensystem verändert und aus drei Pflegestufen fünf Pflegegrade gemacht. Mittlerweile haben deutlich mehr Menschen Anspruch auf Hilfe. Dafür stieg der Beitragssatz zur Pflegeversicherung.

Das Sozialministerium hat im vergangenen Sommer entschieden, dass der Mindestlohn für Pflegekräfte bis Anfang 2020 in mehreren Schritten steigen soll. Wer allerdings bei Privaten angestellt ist, dem steht nur der allgemeine gesetzliche Mindestlohn zu.

Worauf haben sich Union und SPD jetzt verständigt?

  • 8.000 neue Fachkräfte für Behandlungspflege sollen in Heimen angestellt werden. Gemeint ist unter anderem Wundversorgung, Verbandswechsel, Arzneigabe. Die Mehrkosten sollen nicht zulasten der Pflegebedürftigen gehen.
  • Anschließend sollen Instrumente zur Personalbemessung entwickelt, eine Ausbildungsoffensive begonnen, Anreize für verstärkte Rückkehr von Teil- in Vollzeit geschaffen und das Schulgeld in allen Gesundheitsberufen abgeschafft werden.
  • Tarifverträge in der Pflege sollen flächendeckend angewendet und bundesweit angeglichen werden. Pflege-Tarifverträge sollen durch ein geändertes Tarifvertragsgesetz leichter allgemeinverbindlich erklärt werden können. Der Pflege-Mindestlohn in West und Ost soll angeglichen werden.
  • Angehörige von Pflegebedürftigen sollen einen Rechtsanspruch auf eine Auszeit mit Reha-Leistungen bekommen. Pflegeangebote sollen in einem jährlichen Budget zusammengefasst werden, sodass sie flexibel in Anspruch genommen werden können. Kurzzeit-, Verhinderungs-, Tages- und Nachtpflege sollen zusammengelegt werden, weil die Unterscheidung zu kompliziert sei. Motto künftig: Ein Antrag für alles. Wenn etwa Vater oder Mutter ins Heim müssen, soll auf das Einkommen von Angehörigen erst ab 100.000 Euro zurückgegriffen werden.

Wie reagieren die Verbände?

  • Große Sozialverbände äußerten direkt Kritik an der Einigung.
  • Der Deutsche Pflegerat kritisierte die 8.000 neuen Stellen als „Tropfen auf einen glühenden Stein“. Nötig seien vielmehr 100.000 neue Stellen.
  • Von 100.000 nötigen Stellen sprach auch der Paritätische Wohlfahrtsverband. Er begrüßte die Einführung flächendeckender Tarifverträge, forderte aber, dies müsse auch auf die häusliche Krankenpflege ausgeweitet werden. Außerdem müsse der Eigenanteil der Pflegebedürftigen an den Pflegekosten künftig auf 15 Prozent gedeckelt werden.
  • Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz Eugen Brysch kritisierte, es sei unklar, woher das zusätzliche Geld kommen solle.
  • Der Sozialverband VdK erklärte, die 8.000 neuen Stellen könnten nur ein erster Schritt sein. Die bessere Bezahlung der Pflegekräfte müsse aus Steuermitteln oder von der Pflegeversicherung finanziert werden, nicht von Pflegebedürftigen.
  • Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) sagte, das Sofortprogramm werde die Situation nicht nachhaltig verbessern. Es müsse mindestens der gegenwärtig höchste Personalrichtwert in den Bundesländern für ganz Deutschland festgeschrieben werden.
Verwendete Quellen
  • Studie zur Anzahl von Patienten, die Pfleger in Krankenhäusern versorgen müssen
  • Papier der Friedrich-Ebert-Stiftung zu Perspektiven der Pflege
  • Studie der Hans-Böckler-Stiftung zur Bezahlung in Pflegeberufen
  • Pflegestatistik 2015 (Statistisches Bundesamt)
  • Zahl von Beschäftigten in der Krankenpflege (Statista)
  • Informationen des Gesundheitsministeriums zur Pflege
  • Bericht in der "FAZ" über die Pflegereform der großen Koalition
  • Umfrage über die wichtigsten politischen Probleme (Statista)
  • dpa
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