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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Jurist warnt vor Milliardenpaket "Das wird der stärkste Mann im nächsten Kabinett"

Milliarden für die Infrastruktur, sogar unbegrenzt Geld für die Rüstung? Linke, Grüne und AfD äußern verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Vorhaben von Union und SPD. Könnte es vor Gerichten scheitern?
Hunderte Milliarden Euro wollen Union und SPD im Schnellverfahren für Rüstung und Infrastruktur über Schulden finanzieren. Die Kritik aus den anderen Parteien aber ist groß. "Undemokratisch" nennt die Linke das Vorgehen, wie sie kündigt auch die AfD eine rechtliche Prüfung an. Und selbst die Grünen sind skeptisch.
Die große Frage, die sie in den Raum stellen: Geht rechtlich überhaupt, was CDU, CSU und SPD da vorhaben? Alle drei Parteien lassen das Vorgehen gerade noch von Juristen prüfen. Doch schon jetzt konzentrieren sie ihre Kritik auf drei unterschiedliche Punkte.
t-online hat dazu Verfassungs- und Verwaltungsrechtler befragt.
1. Linken-Kritik: "Blankoscheck" nur dank alter Mehrheiten?
Die Bundesrepublik hat vor anderthalb Wochen einen neuen Bundestag gewählt. Der muss sich binnen 30 Tagen nach der Wahl konstituieren. Die Mehrheiten werden dann deutlich anders aussehen als in den vergangenen Jahren: SPD und Grüne büßen Sitze ein; Linke und vor allem AfD gewinnen hingegen so viele hinzu, dass sie zusammen eine Sperrminorität haben. Stimmen sie künftig gemeinsam gegen eine Grundgesetzänderung, ist die nötige Zweidrittelmehrheit für die anderen Parteien nicht zu erreichen.
Obwohl AfD und Linke in vielen Fragen sehr unterschiedlich ticken, werden sie gemeinsam gegen das Verteidigungspaket stimmen. Die AfD lehnt Sondervermögen und Staatsverschuldung per se ab, die Linke will die Aufrüstung nicht. Linken-Chef Jan van Aken kündigte bereits an, man werde dagegen stimmen – auch gemeinsam mit der AfD.
Aber: Noch ist der neue Bundestag nicht konstituiert. Deswegen herrschen in der nächsten Woche, wenn CDU/CSU und SPD zur Abstimmung rufen wollen, noch die alten Mehrheiten. Nur deshalb können es die Vorhaben der Sondierer voraussichtlich durchs Parlament schaffen: Union und SPD setzen darauf, dass Grüne oder FDP für den Vorschlag stimmen.
Das kritisiert besonders die Linke scharf: "Man könnte ohne Probleme jetzt den neuen Bundestag konstituieren", sagte Parteichefin Ines Schwerdtner bei einer Pressekonferenz am Mittwoch. Linken-Fraktionschef Sören Pellmann nannte das Vorgehen "völlig übereilt und demokratisch höchst fragwürdig". Union und SPD wollten "mit den alten Mehrheiten einen Blankoscheck für Aufrüstung durchdrücken". Das sei ein Skandal.
Der renommierte Verfassungsrechtler Ulrich Battis widerspricht dieser Einschätzung im Gespräch mit t-online: "Kritik mag politisch verständlich sein, rechtlich aber ist sie Unsinn." Der neue Bundestag sei noch nicht konstituiert. "Bis dahin haben wir ein gewähltes Parlament, das weiter mit allen Rechten im Amt ist", so Battis. "Es kann diese Entscheidungen ohne Frage treffen." Das Vorgehen von Union und SPD sei eine "Stil-, aber keine Rechtsfrage".
Der Staatsrechtler und ehemalige Landesverfassungsrichter Michael Kilian hingegen sieht durchaus Punkte aufseiten der Linken. Er ist auf Haushaltsrecht spezialisiert und weist auf die "gewaltigen Folgen an Zins und Tilgung" hin: Es werde haushaltspolitisch ein Risiko aufgetürmt, für das der scheidende Bundestag haushaltsmäßig nur noch für Tage legitimiert sei, so Kilian. "Es besteht die akute Gefahr, dass künftige Haushaltsgesetzgeber dadurch in ihrer Dispositionsfreiheit elementar eingeschränkt und gebunden werden. Dies widerspricht dem Grundsatz der Volkssouveränität."
2. Grünen-Kritik: Zu wenig Zeit für Parlamentarier?
Die Grünen argumentieren mit dem "Heilmann-Urteil". Der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann hatte 2023 gegen das zügige Gesetzgebungsverfahren für das Heizungsgesetz beim Bundesverfassungsgericht geklagt – und im Eilverfahren Recht bekommen. Begründung: Nicht genug Zeit für die Parlamentarier, um das Gesetz auch zu lesen.
Die Linke springt den Grünen hier bei: Es gebe bisher keine Drucksache, es liege kein genauer Wortlaut vor, kritisierte Fraktionschef Sören Pellmann am Mittwoch mit Blick auf die in wenigen Tagen geplante Abstimmung. Es habe von Union und SPD außerdem keine Gesprächsangebote an die Linke gegeben, was "Zeitplan, Vorhaben oder Inhalt" betreffe.
Jurist Battis hält den Fall Heilmann nicht für vergleichbar mit der aktuellen Situation. Beim Heizungsgesetz hätten Parlamentarier "Hunderte Seiten in kürzester Zeit" durcharbeiten müssen. Nun sei der Umfang der Unterlagen geringer, die Themen würden außerdem schon seit langer Zeit diskutiert.
Michael Kilian hält die Frage hingegen für legitim, den Ausgang vor Gerichten für offen. "Angesichts der genannten haushaltspolitischen Bedeutung ist die Forderung nach einer angemessenen Prüfungszeit nicht von der Hand zu weisen", sagte er. Der Bundestag habe die Budgetgewalt inne und könne sie nicht einfach aus der Hand geben.
3. AfD-Kritik: Zu große Last für künftige Regierungen?
Die AfD kritisiert das geplante Sondervermögen für die Infrastruktur ebenso wie die geplante Ausnahme von der Schuldenbremse für die Verteidigung. Die Partei lehnt Staatsschulden insgesamt ab – erst recht in so hohem Maße, wie es den Sondierern unter Merz jetzt vorschwebt.
"Da wird sehr viel Geld gebunden", sagte Stephan Brandner, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD, zu t-online. "Wegen Zins und Tilgung sind die nächsten Bundestage nicht mehr ansatzweise frei." Das Recht aber, den Haushalt zu gestalten, sei ein hohes im Parlamentarismus.
Haushalts-Experte Kilian stimmt dem zu. Schon der Begriff "Sondervermögen" sei ein Etikettenschwindel – tatsächlich handele es sich ja um Schulden. Historisch gesehen sei das anders gewesen: Da seien alle bekannten großen Sondervermögen echte staatliche Vermögen gewesen, die zum Beispiel aus Sachvermögen, Grundstücken oder dem DDR-Staatsvermögen bestanden. Nun aber stünden hinter den Sondervermögen ausschließlich Forderungen.
"Das Vorgehen ist auch aus anderen Gründen höchst gefährlich", so der Jurist, der Professor für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ist. "Es wird an mehreren Stellen sehr viel Macht verschoben."
So werde der Finanzminister, der die neu geschaffenen Budgets verwalte, "der stärkste Mann im nächsten Kabinett sein – stärker als der Kanzler", sagt Kilian. Und noch gravierender: Wenn so viel Geld vom Parlament in die Exekutive verschoben werde, also zur Verwaltung hin, dann werde die Gewaltenteilung des Artikels 20 II des Grundgesetzes, die von der Budgethoheit des Parlaments ausgehe, "in ein gravierendes Ungleichgewicht gebracht".
Die Aufhebung der Schuldenbremse und deren Umkehr in ein "Fondsverwaltungssystem" komme außerdem einer Deformation der parlamentarischen Haushaltsverfassung nahe. Kilian zieht für Union und SPD keinen günstigen Schluss: Das Vorgehen berge die Gefahr von "verfassungswidrigen Verfassungsnormen".
- Eigene Recherchen
- Pressekonferenz der Linken im Bundestag am 5. März
- Gespräch mit Ulrich Battis
- Gespräch mit Michael Kilian