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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Merz' Schuldenwende "Ein harter Schlag"

Am Dienstagabend einigen sich Union und SPD auf Milliardenkredite für Verteidigung und Infrastruktur. Nur sind bei CDU und CSU längst nicht alle begeistert von Merz neuen Schulden-Plänen.
Es ist ein Bild, an das man sich noch gewöhnen muss. Am Dienstagabend tritt im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Deutschen Bundestags zum ersten Mal die schwarz-rote Koalition vor die Kameras. Friedrich Merz, Markus Söder, Lars Klingbeil und Saskia Esken sehen sichtlich zufrieden aus. Gerade haben sie gemeinsam den Grundstein für die kommenden vier Jahre gelegt – und Geschichte geschrieben.
Der CDU-Chef erklärt, dass die weltpolitische Lage sich noch einmal verändert habe, dass Europa und Deutschland vor großen Herausforderungen stünden und der Druck mit Blick auf die Verteidigungsfähigkeit noch einmal gestiegen sei. Deshalb soll nun die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse für bestimmte Verteidigungsausgaben gelockert werden, so Merz. Außerdem soll ein Sondervermögen für die Instandsetzung der Infrastruktur mit 500 Milliarden Euro geschaffen werden. "Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: whatever it takes." Was immer es braucht, ist nun also die Devise.
Damit macht Merz plötzlich möglich, was die Union, allen voran er selbst, über Monate ausgeschlossen hat.
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Versprochen gebrochen? Eigentlich wollte Merz keine Schulden
Es ist so: Eigentlich hatte Merz den Deutschen im Wahlkampf immer wieder versichert, er werde auf keinen Fall neue Schulden machen. Auf Nachfragen zur Finanzierung des Wahlprogramms und der vielen Herausforderungen hat die Union stets betont, es müsse erst einmal gespart werden. Bürgergeld kürzen, Migration begrenzen, Bürokratie abbauen – dann käme das Wirtschaftswachstum schon von allein, so die offizielle Idee.
Dabei hatte in den Reihen von CDU und CSU hinter vorgehaltener Hand auch vor der Wahl schon so mancher überlegt, ob Merz im Laufe der Legislatur nicht doch offen für neue Schulden sein könnte. Nur, dass nun so schnell so viel möglich ist, damit hat wohl keiner gerechnet. Entsprechend groß ist in Teilen der Union die Verwunderung.
Merz und Söder beteuern zwar am Dienstagabend, die äußeren Umstände hätten sich zu sehr verändert, die jüngsten Entwicklungen in den USA ihnen keine Wahl gelassen. Allerdings fragt man sich in der Fraktion und beiden Parteien: War das wirklich nicht absehbar? Am Ende gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder hat Merz den Ernst der Lage wirklich nicht kommen sehen. Dabei waren die Anzeichen dafür, dass mindestens für Verteidigung Geld fehlen würde und die USA unter Trump etwa die Ukraine-Hilfe einstellen könnten, auch vor der Wahl ziemlich eindeutig. In dem Fall stellt sich die Frage nach der Weitsichtigkeit des Kanzlers in spe. Oder der CDU-Chef hat die Wählerinnen und Wähler eiskalt getäuscht. Mit beiden Varianten tun sich einige in der Union derzeit schwer.
In der Union sind die Erwartungen an die SPD jetzt klar
Doch für größere Proteste bleibt keine Zeit. Binnen weniger Tage haben Union und SPD sich im kleinen Kreis auf Milliardenkredite für Verteidigung und Infrastruktur verständigt. Sowohl über das Sondervermögen als auch über die Schuldenbremse-Regelung will man nun wegen der Mehrheitsverhältnisse möglichst bald noch vom alten Bundestag abstimmen lassen. Denn beides sind Grundgesetzänderungen. Sprich, es braucht eine Zweidrittelmehrheit. Die gibt es derzeit, wenn Grüne oder FDP mitmachen. Ab dem 25. März geht es nicht mehr ohne AfD oder Linke.
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Weil man an den eigenen Leuten aber doch nicht so ganz vorbeikommt, lädt Merz am späten Dienstagabend kurzerhand erst die Fraktion und dann das CDU-Präsidium digital ein. Beiden erklärt er noch einmal, worauf man sich mit den Sozialdemokraten geeinigt habe – und seine Beweggründe. Hier gibt es durchaus Protest. Vor allem über das 500 Milliarden schwere Sondervermögen für Infrastruktur ist man unzufrieden. In der Fraktionssitzung der CDU/CSU übt unter anderem der ehemalige Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus Kritik, gefolgt von einer Reihe kritischer Nachfragen, so berichten es Teilnehmer. Der Tenor ist klar: Man habe doch im Wahlkampf etwas anderes versprochen. Wie soll man jetzt also die plötzliche Wende erklären? Auch im Präsidium pochen Mitglieder wie Julia Klöckner darauf.
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Und die Junge Union geht sogar so weit, sich öffentlich über Merz' Entscheidung zu beklagen. Die CDU-Nachwuchsorganisation deutet die Sondierungen als eine "deutliche Niederlage" für die Union. "Aus Sicht der jungen Generation ist das ein harter Schlag für Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit bei Staatsfinanzen, weil die Botschaft ist: Lieber bequeme Schulden als unbequeme Reformen", sagte der JU-Chef Johannes Winkel dem Tagesspiegel.
Außerdem erwartet man jetzt umso mehr, dass der Koalitionsvertrag die Unionshandschrift trägt. Das Wahlergebnis müsse sich jetzt mal bemerkbar machen, so heißt es aus Fraktion und Partei. Die Sozialdemokraten müssten bereit sein, jetzt Zugeständnisse zu machen, etwa in der Migrationspolitik oder bei Einsparungen von Sozialleistungen. Anders könne man das Wahlergebnis nicht ernsthaft vermitteln.
Ob sich die Unruhe in der Union wirklich hält, ist fraglich. Denn tatsächlich könnte Merz hier etwas Historisches in Gang gesetzt haben, das sieht auch die Mehrheit in Fraktion und Partei so. Die Ampel ist nicht zuletzt am fehlenden Geld gescheitert. Wenn die schwarz-rote Koalition in den kommenden Jahren richtig priorisiert, sich auf Zukunftsfelder konzentriert und wieder für mehr Stabilität sorgt, dürfte von der Kritik am Ende wohl wenig übrig bleiben.
- Eigene Recherche