Einige werden für ihre Partei zum Problem Die Skandalakte deutscher Jungpolitiker
Immer wieder verursachen Jugendorganisationen ihren Parteien Kopfschmerzen. In einem Fall sind die jungen Politiker sogar eine existenzielle Bedrohung für ihre Mutterpartei.
Aufregung um Jette Nietzard: Die Vorsitzende der Grünen Jugend hat sich für einen kontroversen Tweet zur Silvesternacht entschuldigt. Nietzard hatte auf der Plattform X geschrieben: "Männer, die ihre Hand beim Böllern verlieren, können zumindest keine Frauen mehr schlagen." Nietzards Post löste Empörung aus – doch damit ist sie nicht die erste junge Politikerin. t-online gibt einen Überblick über die Skandalakte der Jugendorganisationen der Parteien.
Grüne Jugend (Grüne)
Nietzards Vorgängerinnen und Vorgänger bei der Grünen Jugend lösten mit ihren Aussagen Kontroversen aus. Sarah-Lee Heinrich, von Oktober 2021 bis Oktober 2023 Bundessprecherin der Organisation, geriet kurz nach ihrer Wahl in einen Shitstorm, nachdem Screenshots von Tweets aus ihrer Jugend aufgetaucht waren. Darunter war ein Kommentar von 2015, in dem sie unter ein Hakenkreuz "Heil" schrieb.
Heinrich betonte, sich nicht erinnern zu können, dies je gepostet zu haben, bezeichnete den Tweet jedoch als "maximal dumm und unangebracht". Zugleich wies sie darauf hin, dass diese Tweets aus einer Zeit stammten, als sie 13 oder 14 Jahre alt war. Sie forderte, an ihrer aktuellen politischen Arbeit gemessen zu werden und beklagte rechte Kampagnen gegen sie. Heinrich sagte, solche Angriffe hätten mit ihrer Identität als "schwarze, linke Frau" zu tun.
Auch Heinrichs Co-Sprecher Timon Dzienus fiel mit Tweets aus der Vergangenheit auf, in denen er FDP-Chef Christian Lindner als "rechten Kotzbrocken" bezeichnete. Aufsehen erregte auch seine Unterstützung für Lina E., eine wegen linksextremer Gewalttaten verurteilte Aktivistin. Dzienus bezeichnete den Prozess gegen sie als "übertrieben" und "fragwürdig". Die hessische Grünen-Chefin Angela Dorn kritisierte den Tweet scharf, da er rechtsstaatliche Prozesse infrage stelle. Sie forderte ihn auf, Konsequenzen zu ziehen.
Schlagzeilen löste auch ein Video von 2019 aus, in dem Jette Nietzards Co-Sprecher Jakob Blasel Haustiere als "klimaschädlich" bezeichnete. Blasel schlug darin allerdings nicht, wie von Politikern der CSU dargestellt, vor, auf Haustiere zu verzichten. Vielmehr empfahl er nachhaltigere Tierhaltung, etwa die Adoption von Tieren aus Tierheimen.
Jusos (SPD)
Über Jahre hatten die Jusos mit der Jugendorganisation der palästinensischen Fatah zusammengearbeitet – und wurden dafür immer wieder kritisiert. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel im Oktober 2023 beendete der Juso-Bundesvorstand die Kooperation.
Grund dafür sei die fehlende Distanzierung der Fatah-Jugend von Gewalt und Terror. Ein Sprecher erklärte, die Entscheidung sei auch wegen der Reaktion der Fatah-Jugend richtig gewesen, die den Jusos "antipalästinensischen Hass" vorgeworfen und das israelische Recht auf Selbstverteidigung infrage gestellt habe.
Ein Mitglied des erweiterten Berliner Juso-Vorstands trat im Februar 2021 nach gewaltverherrlichenden Tweets zurück, in denen er unter anderem zur Erschießung von "Jungliberalen" und "Vermieterschweinen" aufrief. Der Landesvorstand der Berliner SPD bezeichnete solche Äußerungen als "inakzeptabel". Die Jusos Berlin distanzierten sich klar von Gewalt und betonten, solche Aufrufe seien mit ihren Werten nicht vereinbar. Der Betroffene entschuldigte sich öffentlich.
Linksjugend solid (Linke)
Besonders Anfang der 2010er-Jahre gab es immer wieder große Probleme mit Antisemitismus bei der Linksjugend. Unter anderem beteiligte sich die Linksjugend NRW 2014 an "israelkritischen" Demonstration, bei denen auch Neonazis zugegen waren. Danach gab es auch Lob für die Jugendorganisation der Linkspartei von Rechtsextremen.
Im Frühjahr 2022 bezeichnete die Linksjugend Berlin Israel als Apartheidstaat. Das führte auch innerhalb der Partei zu heftigem Streit. Die damalige Parteivorsitzende der Linken Berlin, Katina Schubert, erklärte, die Jugendorganisation habe sich ins Abseits geschossen.
Ähnlich scharf reagierte Schubert auf einen Beitrag der Berliner Linksjugend kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Winter 2022. Die Jugendorganisation hatte ein Foto von Außenministerin Annalena Baerbock geteilt und dazu geschrieben: "Der Hauptfeind steht immer noch im eigenen Land!"
Schubert erklärte damals: "Die Äußerungen des Berliner Jugendverbandes sind nicht akzeptabel und sie sprechen damit nicht für die Linke."
Junge Union (CDU/CSU)
Probleme mit der Abgrenzung von rechtsextremem Gedankengut scheinen einzelne Mitglieder der Jugendorganisation von CDU und CSU zu haben. Während einer Weihnachtsfeier der Jungen Union in Mönchengladbach im Dezember 2023 sollen Teilnehmer das Lied "L'amour toujours" mit den Parolen "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" gesungen haben.
Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach nahm Ermittlungen wegen des Verdachts der Volksverhetzung gegen "mehrere Beschuldigte" auf. Der CDU-Kreisverband Mönchengladbach gab an, die Polizei umgehend informiert zu haben, nachdem Gäste der Veranstaltung Hinweise geliefert hatten.
Ein 2021 veröffentlichtes, zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Jahre altes Video zeigt den damaligen JU-Kreisvorsitzenden Rhein-Berg, Fabrice Ambrosini, bei einer Feier zur dritten Strophe der deutschen Nationalhymne mit erhobenem Arm. Während ein anderer junger Mann auf dem Video den Hitlergruß zeigt, hebt Ambrosini den linken Arm, was er als "keinen Hitlergruß" bezeichnete.
Das Video, das laut Ambrosini von 2017 stammt, sei bei einer privaten Geburtstagsfeier entstanden, als er 15 Jahre alt war. Teilnehmer widersprachen dieser Darstellung und datierten das Video auf 2018, als Ambrosini bereits ein JU-Vorstandsamt innehatte.
Ambrosini weist rechte Gesinnungen zurück und verweist auf sein Engagement für Erinnerungskultur. Im April 2024 trat Ambrosini von seinem Amt als stellvertretender CDU-Kreisvorsitzender zurück – einen Tag, bevor er abgewählt werden sollte.
Julis (FDP)
Auf ihrem Bundeskongress 2007 forderten die Julis die Abschaffung des Paragraphen 173 StGB, der den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen Verwandten unter Strafe stellt. Die Julis argumentierten damals, dass der Staat sich nicht in private, einvernehmliche Entscheidungen erwachsener Menschen einmischen solle. Moralische Vorstellungen allein seien kein ausreichender Grund für strafrechtliche Verbote.
Im Jahr 2020 griff die AfD NRW eine zu diesem Zeitpunkt 13 Jahre alte Forderung der Julis auf und löste eine neue Kontroverse aus. Die Jugendorganisation hatte damals gefordert, einvernehmlichen Geschlechtsverkehr unter nahen Verwandten nicht mehr unter Strafe zu stellen. Die Julis reagierten mit einem umfangreichen Twitter-Thread, in dem sie ihre Position bekräftigten. Sie kritisierten das Inzestverbot als "Relikt aus dem Moralstrafrecht" und argumentierten, dass es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Inzest und Inzucht gebe. Außerdem bezeichneten sie die Verwendung von Behinderungsprävention als Argument für das Verbot als "menschenverachtende Eugenik".
Der stellvertretende Landesvorsitzende der Julis Niedersachsen, Max Weitemeier, betonte, dass es bei der Forderung nicht um das persönliche Sittlichkeitsempfinden gehe, sondern darum, den Strafrechtskatalog auf Grundlage von staatlicher Zuständigkeit zu überprüfen. Er sah die Debatte jedoch als überzogen an, ausgelöst durch populistische Kampagnen.
Junge Alternative (AfD)
Mit den Aktionen der Jugendorganisation der AfD befassen sich regelmäßig sowohl das Bundesamt als auch mehrere Landesämter für Verfassungsschutz. Für die Mutterpartei wird die Junge Alternative damit immer mehr zum Problem – schließlich liefert sie weitere Argumente für verfassungsfeindliche Bestrebungen in der Partei.
Das beginnt schon beim Bundesvorsitzenden: 2022 wählte die Jugendorganisation Hannes Gnauck zu ihrem Chef – der vom Militärischen Abschirmdienst als Extremist eingestuft wird. Gegen ihn läuft ein gerichtliches Disziplinarverfahren: Während seiner Zeit als Soldat soll er gegen Minderheiten gehetzt haben. Seine Immunität als Bundestagsabgeordneter ist aufgehoben.
2023 befeuerte Gnauck in einer Rede die rechtsextreme Verschwörungstheorie des "Großen Austauschs": "Die Altparteienregierungen von Bund, Land betreiben hier einen Bevölkerungsaustausch. Und sie werden nicht ruhen, bis jeder Winkel unseres Landes und jedes friedliche Dorf mit illegalen Migranten vollgestopft ist." RTL-Recherchen deckten Anfang 2024 auf, dass Mitglieder der Jungen Alternative von der Errichtung von "Arbeits-Ghettos" für Menschen mit Migrationshintergrund fantasiert hatten.
Zuletzt provozierte der Vizechef der Jungen Alternative in Sachsen, Fabian Küble, mit sexistischen Aussagen über die Chefin der Grünen Jugend, Jette Nietzard. Diese hatte auf Instagram ein Foto von sich im Bikini gepostet. Dazu schrieb Küble: "Linke Weiber, die sich selbst Feministinnen schimpfen, werfen Männern vor, sie zu sexualisieren, und posten dann gleichzeitig sowas". Nietzard hatte die Aufmerksamkeit der Rechtsextremen mit ihrem kontroversen Post an Neujahr auf sich gezogen.
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- regionalheute.de: "Befürworten die JuLis Inzest? Kreisvorsitzender weist Kritik zurück"
- focus.de: "Irritation in sozialen Medien: Junge Liberale fordern Abschaffung von Inzest-Verbot – die Begründung verstört"
- in-gl.de: "CDU Rhein-Berg entzieht Ambrosini das Vertrauen"
- ksta.de: "Rhein-Berg: Staatsschutz ermittelt gegen Kreisvorsitzenden der Jungen Union"
- tagesspiegel.de: "Zu L’amour Toujours? Ermittlungen wegen rassistischen Parolen auf Junge-Union-Feier"
- tagesspiegel.de: "Berliner Linkspartei distanziert sich von Parteijugend"
- waz.de: "Acht Festnahmen nach Friedensdemo gegen Gaza-Krieg in Essen"
- tagesspiegel.de: "Berliner Linke will Parteijugend die Gelder streichen"
- spiegel.de: "Gewaltverherrlichende Tweets: Berliner Juso tritt zurück"
- spiegel.de: "Jusos: SPD-Jugendverband beendet Zusammenarbeit mit Fatah-Jugend"
- merkur.de: "Grünen Jugend: Sarah-Lee Heinrichs Tweet sorgt für Kritik"
- br.de: "CSU will Haustiere vor Grünen retten: Spott im Netz"
- bild.de: "Zoff nach Tweet zu Lina E.: Haben die Grünen ein linksradikales Problem?" (kostenpflichtig)
- rtl.de: "Wie die AfD-Nachwuchsorganisation tickt"
- tagesschau.de: "AfD: Bundestag hebt Immunität von Gnauck auf"
- deutschlandfunk.de: "Junge Alternative: Rechtsextrem?"