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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Entwurf für Wahlprogramm So wollen Habeck und die Grünen Deutschland umbauen
Robert Habeck will Kanzler werden. Welche Politik seine Grünen machen wollen, formulieren sie am Dienstag in ihrem "Regierungsprogramm". Der Entwurf liegt t-online schon jetzt vor.
Offiziell vorgestellt werden soll es erst am Dienstagmorgen, aber der Entwurf liegt t-online schon jetzt vor: Die Grünen haben ihr "Regierungsprogramm" formuliert, wie die Partei ihr Wahlprogramm darin selbstbewusst nennt. Der Titel: "Zusammen wachsen".
Im Programm setzen die Grünen auf 80 Seiten ebenso selbstbewusst auf Veränderung. Man werbe dafür, "den Weg der Erneuerung fortzusetzen, ihn nicht wieder mit Hürden zu verstellen oder gar rückzubauen – wie es schon einmal geschehen ist", heißt es im Vorwort. Und: "Nur wenn wir unsere Stärken in Zukunftskraft verwandeln, werden wir das erhalten und stärken können, was uns lieb und teuer ist."
Ein Überblick über die grünen Wünsche in wichtigen Politikfeldern:
Wirtschaft
"Eine Wirtschaft im Dienst der Menschen" wollen die Grünen schaffen. "Unser Ziel ist, die Innovationskraft unseres Landes spürbar zu stärken", heißt es im Entwurf.
Eine saubere und bezahlbare Energieversorgung ist für die Grünen ein entscheidender Standortfaktor. "Deshalb übernehmen wir die Netzentgelte für die überregionalen Stromleitungen aus dem Deutschlandfonds und senken die Stromsteuer auf das europäische Minimum." Zudem wollen die Grünen eine "dauerhafte und breitere Ausgestaltung der Strompreiskompensation für energieintensive Unternehmen, die im globalen Wettbewerb stehen".
Um Bürokratie abzubauen, sollen die "Praxis-Checks" flächendeckend ausgerollt werden. Betroffene aus Unternehmen und Verwaltungen identifizieren dabei konkrete bürokratische Hürden und suchen Lösungen. Notarpflichten sollen vereinfacht und reduziert werden.
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Für mehr Investitionen steht nun auf im Programmentwurf die schon bekannte "unbürokratische Investitionsprämie von 10 Prozent": Auf fünf Jahre befristet soll diese Prämie für alle Unternehmen mit der Steuerschuld verrechnet und bei geringerer Schuld ausgezahlt werden. Ausgenommen sollen "Gebäudeinvestitionen" sein.
Um dem "Mangel an Arbeits- und Fachkräften" entgegenzuwirken, soll mit einem "Qualifizierungsgeld" die Aus- und Weiterbildung attraktiver werden. Kosten für Kinderbetreuung sollen "umfangreicher bei der Steuer absetzbar sein". Das Ehegattensplitting wollen die Grünen "grundlegend geschlechtergerecht reformieren". Visa für Fachkräfte aus dem Ausland sollen mithilfe einer "digitalen Einwanderungsagentur" leichter online beantragt werden können. Für die leichtere Anerkennung von Abschlüssen soll es eine "zentrale Anerkennungsstelle" geben.
"Ausgewogene Handelspartnerschaften" sollen Absatzmärkte erschließen und Lieferketten sichern. Der Fokus soll "auf einzelne Sektoren und gezielte Abkommen für bestimmte Waren und Dienstleistungen" gelegt werden, um "schnelle Verhandlungserfolge" zu erreichen. Die EU-Lieferkettenrichtlinie wird als "große Errungenschaft" bezeichnet, die "unbürokratisch in deutsches Recht" übertragen werden soll. "Strategisch wichtige Branchen werden wir mit einem neuen Investitionsprüfungsgesetz vor Übernahmen schützen."
Finanzen und Steuern
Mit einem "Deutschlandfonds für Bund, Länder und Kommunen" und einer Reform der Schuldenbremse wollen die Grünen mehr Geld für Investitionen mobilisieren. Details zu beidem werden im Entwurf bisher nicht ausgeführt. "Investitionen in Klima- und Umweltschutz sowie in Verkehrs-, Energie-, Bildungs- und Forschungsinfrastruktur sowie in die nationale Sicherheit haben für uns dabei Priorität."
Unter anderem mit einer "Milliardärssteuer" wollen die Grünen mehr Geld für den Staat einnehmen. "Wenn man einen kleinen Teil ihres Vermögens besteuern würde, dann hätte man ungefähr fünf bis sechs Milliarden Euro", sagte Kanzlerkandidat Robert Habeck der "Bild am Sonntag". Als konkrete Instrumente werden im Programmentwurf mehrere Möglichkeiten genannt: "Eine globale Milliardärssteuer, eine fairere Erbschaftssteuer, eine gerechte Immobilienbesteuerung ohne Schlupflöcher oder eine nationale Vermögenssteuer."
Zur steuerlichen und bürokratischen Entlastung Erwerbstätiger sollen die Arbeitnehmerpauschbeträge auf 1.500 Euro angehoben werden. Um niedrige Einkommen zu entlasten und Arbeitsanreize zu schaffen, wollen die Grünen Steuergutschriften einführen und Hinzuverdienstgrenzen beim Bürgergeld verbessern. Außerdem soll der Grundfreibetrag erhöht und der Soli in den Einkommensteuertarif integriert werden.
Arbeit, Soziales und Rente
Die Grünen wollen "einen Mindestlohn von zunächst 15 Euro in 2025, der auch für unter 18-Jährige gilt", sowie mehr Tarifbindung. "Die Mietpreisbremse muss verlängert werden", schreiben die Grünen. Sie wollen Anstiege über die ortsübliche Vergleichsmiete hinaus stärker begrenzen und Schlupflöcher schließen. Am Bürgergeld halten die Grünen fest, wollen aber "Anreize zur Aufnahme von Arbeit" erhöhen und Arbeitsgelegenheiten schaffen.
Die Grünen wollen das Rentenniveau bei 48 Prozent halten. Abgeordnete "und perspektivisch Beamte" sollen dafür auch in die gesetzliche Rente einzahlen. Die "Rente mit 67" soll bleiben, es soll aber mehr Anreize geben, länger zu arbeiten. Mit einem "Bürgerfonds" wollen die Grünen die Rente "gerechter und zukunftsfest" machen. Mit dem Fonds soll Geld aus Darlehen und Eigenmitteln des Bundes am Kapitalmarkt investiert werden, um mit den Erträgen besonders "geringe und mittlere Renten zu stärken".
Bildung, Familien und Gesundheit
Die Grünen wollen ein "Zukunftsinvestitionsprogramm Bildung" mit Ländern und Kommunen auflegen. Renovierung, Digitalisierung und Ausbau der Ganztagsbetreuung sind Ziele. Das BAföG soll "existenzsichernd sein" und mehr Menschen offenstehen. Mit einer "Innovationsinitiative Zukunfts-Campus" sollen Hochschulen saniert und modernisiert werden.
Die Erhöhung des Kindergelds wollen die Grünen "perspektivisch" an die regelmäßige Erhöhung des Kinderfreibetrags koppeln. Der Mindest- und Höchstbetrag des Elterngelds soll auf 400 beziehungsweise 2.400 Euro erhöht werden.
Auch am "Ziel der Kindergrundsicherung" halten die Grünen im Programmentwurf fest. In der Ampelregierung haben sie die Grünen nicht umgesetzt bekommen, jetzt sollen die Automatisierung und die Bündelung der Zuständigkeiten als "Vorlage für die weitere Modernisierung unseres Sozialstaats" dienen.
Die Krankenhausreform wollen die Grünen "nachbessern" und die Verteilung von niedergelassenen Ärzten besser an die Krankenhausplanung anpassen. Pflegende Angehörige wollen die Grünen mit einem "zeitlich begrenzten Ausgleich der entgangenen Einkünfte" unterstützen. Pflegekräfte, die den Beruf niedergelegt haben, sollen mit einer "Rückkehr-Offensive" und besseren Arbeitsbedingungen zurückgewonnen werden.
Die Grünen wollen weiterhin perspektivisch eine "Bürgerversicherung" und bis dahin auch Privatversicherte "in den solidarischen Finanzausgleich des Gesundheitssystems einbeziehen". Auch eine entsprechende "Pflegebürgerversicherung" wird als Ziel formuliert.
Ukraine, EU und Verteidigungspolitik
Russlands Überfall auf die Ukraine hat für die Grünen verdeutlicht, "dass Frieden, Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeit sind". Man stehe fest an der Seite der Ukraine – "mit diplomatischer, finanzieller, humanitärer und militärischer Unterstützung". "Die Ukraine muss in der Lage sein, sich zu verteidigen und eine starke Position für einen möglichen Friedensprozess sicherzustellen." Das sei auch "bester Eigenschutz hier im Herzen Europas".
Die EU wollen die Grünen grundlegend reformieren. Verstöße gegen die Grundwerte sollen besser bestraft werden können, indem im Rechtsstaatsverfahren künftig mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird. Generell soll "das Prinzip der Einstimmigkeit in allen Politikbereichen – auch in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik – durch Mehrheitsentscheidungen ersetzt werden". Auch mehr Geld soll die EU bekommen. Einnahmen durch europäische Instrumente sollen mehrheitlich in den EU-Haushalt fließen.
Aus Sicht des Grünen-Programms rückt der "Kernauftrag der Bundeswehr – die Landes- und Bündnisverteidigung – wieder ins Zentrum". Sie wollen den "freiwilligen Wehrdienst und die Reserve für eine breite Zielgruppe attraktiver machen". Die Truppe soll "gut und modern" ausgestattet werden. Zum Zweiprozentziel der Nato steht im Programmentwurf nichts.
Klima und Energie
Die Grünen halten "an den rechtlich festgeschriebenen Zielen der Klimaneutralität 2045 und den verbindlichen Zwischenzielen fest". Wie bislang setzen sie bei der klimaneutralen Modernisierung der Industrie "auf einen effizienten Instrumentenmix aus marktwirtschaftlichen Instrumenten wie CO2-Preis, gezielter Unterstützung vor allem bei Investitionen und wo nötig möglichst unbürokratischem Ordnungsrecht". Bei öffentlichen Aufträgen wolle man etwa eine "Mindestquote von grünem Stahl einführen".
"Global ist der Wettbewerb zwischen Verbrenner und E-Autos längst entschieden", heißt es im Entwurf. Am Ziel, "2035 nur noch klimafreundliche Antriebe neu zuzulassen", halten die Grünen fest. Die EU-Flottengrenzwerteverordnung soll nicht abgeschwächt werden. Mögliche Strafzahlungen der Unternehmen sollen jedoch "gegebenenfalls gestreckt" und für den Hochlauf der E-Mobilität genutzt werden.
Das zuletzt aufgeweichte Klimaschutzgesetz wollen die Grünen "evaluieren und entsprechend die Verantwortung von Sektoren stärken, in denen Klimaschutz zu wenig vorankommt", was vor allem Verkehr und Gebäude betrifft. In der EU loben die Grünen den Green Deal und das "Fit for 55"-Paket und schreiben: "Neuer Aufschieberei und Verwässerung stellen wir uns entgegen."
Die Grünen wollen "klimafreundliche Alternativen für alle Menschen erschwinglich" machen und dafür "Förderprogramme weiter ausbauen und durch soziale Staffelung insbesondere auf Menschen mit geringen und mittleren Einkommen zuschneiden", heißt es im Programmentwurf. Etwa bei Heizungen und Sanierung. E-Mobilität soll stärker mit Steuergeld gefördert werden, auch um die Automobilwirtschaft zu unterstützen. Das Subventionspaket bestehe "aus einer Ladekarte für das Tanken an öffentlichen Ladesäulen, einer steuerlichen Förderung und einem Social-Leasing-Programm".
Wie schon im vergangenen Wahlkampf stellen die Grünen ein Klimageld in Aussicht. "Alle Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen bekommen zum Ausgleich einen Großteil der Einnahmen der CO2-Bepreisung von Gebäudewärme und Transport als Klimageld zurück." Es solle "so schnell wie möglich" eingeführt werden. Klimaschädliche Subventionen wolle man "schrittweise abbauen", zunächst mit einer Reform des Dienstwagenprivilegs, das deutlichere Anreize für Klimaneutralität setzen soll.
Am Heizungsgesetz und der Förderung des Umstiegs wollen die Grünen festhalten. Das Deutschlandticket wollen die Grünen weiter für einen "günstigen Preis für alle" anbieten, Ziel ist 49 Euro. "Der öffentliche Nahverkehr soll mittelfristig im ganzen Land ein alltagstaugliches Angebot mit verlässlichen Taktverkehren garantieren."
Beim Ausbau der erneuerbaren Energien wollen die Grünen beim "Rekord-Ausbautempo" Kurs halten und die Infrastruktur so ausbauen, "dass der günstige Strom bei Menschen und Unternehmen ankommt". Gerade für die Planungssicherheit der Kohleregion halte man daran fest, "alle verbliebenen Kohlekraftwerke bis 2030 nicht mehr zu befeuern". Gasförderung in Deutschland wollen die Grünen nicht, genauso sprechen sie sich gegen die Rückkehr zur Atomkraft aus.
Migration
Die Grünen sprechen sich für "eine funktionierende und pragmatische Flucht- und Migrationspolitik, die Humanität und Ordnung verbindet", aus. Sie wollen ein Beratungsgremium mit Experten aus Wissenschaft, kommunaler Praxis und Betroffenen einrichten. Es soll mehr bezahlbarer Wohnraum entstehen und die Kommunen sollen mit einer Integrationsoffensive stärker und verlässlicher finanziell unterstützt werden.
Die Grünen betonen, das Grundrecht auf Asyl zu verteidigen und zu völkerrechtlichen Verpflichtungen wie der Genfer Flüchtlingskonvention zu stehen. Sie wollen schnelle und faire Asylverfahren. Wer dann "nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel kein Aufenthaltsrecht hat und bei dem keine Abschiebungshindernisse entgegenstehen, muss zügig wieder ausreisen".
Die EU-Asylreform GEAS "setzen wir auf nationaler Ebene grund- und menschenrechtskonform um", heißt es im Programmentwurf. "Das Recht auf Einzelfallprüfung und das Nichtzurückweisungsgebot gelten immer und überall." Dauerhafte stationäre Kontrollen an den deutschen Grenzen lehnen die Grünen ab. Sie sind für weitere "menschenrechtsbasierte Migrationsabkommen" sowie "humanitäre Aufnahme- und Resettlementprogramme".
Innenpolitik
Der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität soll ein Schwerpunkt werden. Sie bedrohe Menschen und verursache "wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe", heißt es im Programmentwurf der Grünen. Dafür soll der Straftatbestand der kriminellen Vereinigung zu einem "scharfen und zielgenauen Instrument" werden und ein "Gemeinsames Zentrum Organisierte Kriminalität" von Bund und Ländern eingerichtet werden.
Die Grünen wollen bestehende Behörden zu einer "Finanzpolizei" ausbauen, um Geldwäsche zu bekämpfen. Es soll einfacher werden, Vermögen von Kriminellen einzuziehen. Die Verfolgung schwerer Finanzkriminalität möchten die Grünen deutlich ausbauen und Steuerschlupflöcher schließen.
Bundespolizei, Bundeskriminalamt, Zoll sowie Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischer Abschirmdienst sollen besser ausgestattet werden. Die europäische Polizeibehörde Europol wollen die Grünen zu einem Europäischen Kriminalamt weiterentwickeln. "Top-Gefährder" sollen "lückenlos überwacht und wo immer möglich aus dem Verkehr gezogen werden", heißt es. Verfassungsfeinde sollen entwaffnet werden, Prävention soll besser finanziert werden.
Die Grünen wollen beim Bevölkerungsschutz mehr Kompetenzen für den Bund. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) soll mehr Kompetenzen bekommen und die länderübergreifende Zusammenarbeit ausgebaut werden.
- Eigene Recherchen
- Programmentwurf der Grünen "Zusammen wachsen"