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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Habecks Kanzler-Ambitionen "Wir Grüne sind auf der Kurzstrecke besser"
In wenigen Monaten raus aus dem Tief, vielleicht sogar ins Kanzleramt: Die Grünen schwören sich am Wochenende auf einen abenteuerlichen Wahlkampf ein. Wie soll das funktionieren?
Michael Kellner hat schon einige Wahlkämpfe hinter sich. Von 2013 bis 2021 war er bei den Grünen Politischer Bundesgeschäftsführer, eine Art Generalsekretär, und damit maßgeblich für Kampagnen und Strategie zuständig. Seit die Grünen in der Ampel regieren, arbeitet er in Robert Habecks Wirtschaftsministerium als Parlamentarischer Staatssekretär.
Im Interview mit t-online erzählt der Grünen-Stratege, wo er jetzt die Chancen für die Grünen sieht und warum der Bruch der Ampel es ihnen nun leichter macht.
t-online: Herr Kellner, sind Sie froh, diesmal nicht für den Wahlkampf der Grünen verantwortlich zu sein?
Michael Kellner: Netter Versuch. Ich liebe Wahlkämpfe. Aber ich hatte in den vergangenen Jahren meinen ausreichenden Anteil an der Organisation. Nun ist es nicht mehr meine Aufgabe. Aber ich stehe allen mit Rat und Tat zur Seite.
Vor dem Wahlkampf 2021, den Sie organisiert haben, standen die Grünen bei ungefähr 20 Prozent. Sie sind dann im Wahlkampf erst gestiegen und am Ende hart bei 14,7 Prozent gelandet. Heute starten Sie bei nur noch 12 Prozent. Keine sonderlich vielversprechende Perspektive, oder?
Wir machen es diesmal andersrum: Wir werden zum Ende hin stärker und nicht schwächer. Denn wir Grüne sind auf der Kurzstrecke besser als auf der Langstrecke. Deswegen hilft uns dieser frühe Wahltermin, davon bin ich überzeugt.
Zur Person
Michael Kellner, 47 Jahre alt, ist in Gera geboren und trat 1997 der Partei Bündnis 90/Die Grünen bei. Er arbeitete ab 2013 als Politischer Bundesgeschäftsführer in der Parteispitze der Grünen. Nach der Bundestagswahl 2021 wechselte er als Parlamentarischer Staatssekretär ins Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, ist Mittelstandsbeauftragter und Ansprechpartner für die Kultur- und Kreativwirtschaft.
Was ist damals im Wahlkampf schiefgelaufen, woraus die Grünen lernen sollten?
Wir haben die SPD unterschätzt. Sie kann auf langer Strecke eine Wahlkampfmaschine sein. Aber diesmal ist die Strecke eben kürzer, und die SPD hat anders als wir ihre Führungsfrage nicht geklärt. Darüber hinaus haben wir natürlich eigene Fehler gemacht im Wahlkampf 2021. Aber jetzt ist es ein neues Spiel.
Fehler im Krisenmanagement?
Ja. Weil wir damals die Wucht der Angriffe unterschätzt haben. Das passiert uns nicht noch einmal. An die volle Wucht mussten wir uns ja schon in den letzten drei Jahren gewöhnen.
Ist es für die Grünen einfacher, aus einer zerbrochenen Ampel heraus in den Wahlkampf zu starten als aus einer funktionierenden Regierung, weil Sie sich besser von der Vergangenheit absetzen können?
Die Ampel ist Geschichte. Keine der Parteien wird einen Ampel-Wahlkampf machen. Das macht es in der Tat leichter. Vor allem, weil wir uns vergangene Woche nicht an dem kleinlichen Nachtreten beteiligt haben. Das war der schwierigen Lage angemessen.
Erst haben SPD und FDP heftige Vorwürfe ausgetauscht, dann hat sich die Union mit der SPD um den Wahltermin gestritten. Was haben Sie da gedacht: Lass die mal machen, das hilft uns am Ende?
Nein. Ich war eher entgeistert und angewidert. Mit der Bundeswahlleiterin ist sogar eine unparteiische Beamtin in diesen politischen Streit hineingezogen worden. Das ist unerträglich. Dieses Land hat wahrlich genug Aufgaben zu lösen. Und es hat mir wirklich Sorgen gemacht für diesen Wahlkampf. Wir sind natürlich unterschiedliche Parteien. Aber erstens sollten wir über inhaltliche Fragen streiten. Und zweitens müssen wir einen ordentlichen Umgang pflegen. Man trifft sich immer wieder in der Politik.
Die Grünen haben aus Sicht einiger Ihrer Parteifreunde gerade das Problem, dass bei vielen Menschen die Meinung über die Partei derzeit feststeht. "Die Leute hören uns gar nicht mehr zu", lautet die Diagnose. Das Vertrauen ist weg. Wie lässt sich so etwas in einem so kurzen Wahlkampf ändern?
Mich erinnert das sehr an den Wahlkampf 2002 nach der ersten Legislaturperiode der rot-grünen Regierung. Ich war damals schon in der Parteizentrale dabei. Da waren die Grünen auch in einer sehr schwierigen Situation. Joschka Fischer war angezählt. Die Frage war: Was hat diese Regierung eigentlich erreicht? Das Urteil fiel erst später und im Rückblick positiver aus. Aber dann hat der Wahlkampf zu einer Neubewertung geführt. Und die Grünen haben am Ende sogar dazugewonnen …
… knapp zwei Prozentpunkte auf 8,6 Prozent, was damals für die Grünen gut war.
Genau. Wir konnten klarmachen, dass die Grünen bei vielen Projekten die Treiber der rot-grünen Regierung waren und wichtige Veränderungen angestoßen haben. Diese Chance haben wir in diesem Wahlkampf auch. Wir haben unsere Aufstellung geklärt, während bei der SPD über Boris Pistorius diskutiert wird und bei der Union ständig Markus Söder dazwischenfunkt. Unsere Strategie dagegen ist im Kern unumstritten.
Es gibt aber in Teilen der Partei die Befürchtung, dass die Grünen diesmal sowohl im linken Spektrum als auch in der Mitte verlieren könnten. Weil linke Grünen-Wähler sich zum Beispiel durch die Migrationspolitik von der Partei entfremdet haben und man die Mitte mit dem Heizungsgesetz vergrätzt hat. Ist das keine Gefahr?
Beim letzten Mal hatten wir eine starke urbane Linke, also Leute, die zwischen Linkspartei und Grünen geschwankt haben. Die Linke hat sich zerlegt, also sind die Grünen für diese Menschen diesmal das beste Angebot. Gerade weil nun mit Donald Trump ein riesiger Backlash in der Klimapolitik droht. Bei allem, was man an uns kritisieren kann, gibt es keine andere Partei, die für ernsthaften Klimaschutz steht und in der Regierung wirklich viel für den Ausbau der erneuerbaren Energien erreicht hat. Diese Leute zu gewinnen, ist für uns eine echte Chance.
Und in der Mitte?
Auch da haben wir Chancen. Friedrich Merz hat ein echtes Problem bei den Frauen. Mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin war das für die Union noch ganz anders. Da hatten wir Grünen einen schweren Stand bei dieser Wählergruppe. Aber Friedrich Merz tut jetzt alles dafür, sie zu vertreiben, wenn er sagt: Na ja, ich brauche kein paritätisches Kabinett, aber vielleicht wird Jens Spahn wieder Minister. Das ist schon eine Ansage. Da haben wir mit Robert Habeck jemanden, der das deutlich anders sieht und macht.
Gleichzeitig ist Robert Habeck auch ein Kanzlerkandidat, der eine Geschichte hat. Und diese Geschichte enthält mit dem Heizungsgesetz auch einen der Fehler, die den Grünen immer noch nachhängen. Wie problematisch ist das?
Wer ein langes politisches Leben hat, hat auch Dellen in der Rüstung. Aber Robert Habeck hat eben auch viele der Erfolge dieser Regierung zu verantworten. Wer hat uns denn durch die Energiekrise gebracht? Robert Habeck. Wer hat den Ausbau der Erneuerbaren massiv beschleunigt und die Klimaziele erreichbar gemacht? Auch Robert Habeck. Fehler passieren, und Robert Habeck ist der Letzte, der sich damit nicht auseinandersetzt. Niemand kann zehn Jahre über Wasser laufen. Nur jetzt kommt es darauf an, neu zu bewerten, wer für die Zukunft die besten Lösungen hat. Und zwar im Vergleich zu den anderen Charakteren, die im Angebot sind.
Die Grünen verstehen sich als Programmpartei und sind sehr engagiert, wenn es darum geht, über Inhalte und Formulierungen zu diskutieren. Ist es ein Problem, dass es jetzt wegen der Kurzfristigkeit auf ein kürzeres Wahlprogramm hinausläuft?
Die Länge des Wahlprogramms hängt nicht mit der Größe des Erfolgs zusammen. Man kann kluge Inhalte kurz aufschreiben.
Aber vielleicht wird es so schwieriger, Kompromisse zwischen den Parteiflügeln zu formulieren?
Ich weiß nicht. Entscheidend ist doch, was für uns die zentralen Themen werden.
Welche sollten das sein?
Klimaschutz ist angesichts der Weltlage dringender denn je. Die Frage des sozialen Ausgleichs in einer Gesellschaft bleibt ebenso zentral. In der Bildungspolitik müssen wir mehr tun, es kann nicht sein, dass 50.000 Jugendliche die Schule jedes Jahr ohne Abschluss verlassen. Die Menschen leiden unter unserer Infrastruktur. Züge kommen nicht an, Brücken bröckeln. Um da mehr investieren zu können, brauchen wir eine Reform der Schuldenbremse. Und wir müssen natürlich darüber reden, wie es weitergeht mit dem zukunftsfähigen Wandel der Wirtschaft. Ich will aber auf eine Sache hinweisen, die mich besonders umtreibt.
Gerne.
Wir Grüne brauchen ein Programm, das die Bedürfnisse der ländlichen Räume in den Blick nimmt.
Das heißt zum Beispiel?
Wir haben es beim berühmten Heizungsgesetz so gemacht, dass Menschen mit geringen Einkommen eine besonders hohe Förderung für die Wärmepumpe bekommen von bis zu 70 Prozent. Und gerade in ländlichen Räumen gibt es ja oft keine Fernwärmenetze und viele Einfamilienhäuser. Auch das Deutschlandticket war ein riesiger Erfolg. Nur, wenn kein Bus fährt, hilft mir das nichts. Deswegen ist es wichtig, auch bezahlbare E-Autos für Menschen mit niedrigem Einkommen zu haben. Da können wir Grüne nicht mit dem Lastenrad kommen.
Ist das auch Ihr Programmvorschlag für den Osten Deutschlands, wo die Grünen zuletzt noch einmal deutlich verloren haben?
Ja, denn dort gibt es sehr viele ländliche Räume. Es wird eine Kraftanstrengung, dort besser Fuß zu fassen. Und dafür braucht es auch noch mehr: Ich wünsche mir vom neuen Bundesvorstand, dass wir gerade Regionen, in denen wir bislang schwach sind, stärker unterstützen.
Was bedeutet das genau?
Das heißt Unterstützung im Wahlkampf, das passiert ja auch schon. Aber es heißt auch, dass es mehr Geld braucht, damit bestehende Strukturen und Büros aufrechterhalten werden können. Wir müssen in der Fläche präsent sein – nicht nur in Wahlkampfzeiten.
Der Bundesvorstand ist ein gutes Stichwort: Es soll nun nicht nur eine Politische Bundesgeschäftsführerin geben, die normalerweise für den Wahlkampf zuständig ist. Sondern daneben in der Parteizentrale noch einen Wahlkampfmanager und sogar einen stellvertretenden Wahlkampfmanager. Dabei war eigentlich der Plan, die Strukturen schlanker zu gestalten, um Vielstimmigkeit im Wahlkampf zu vermeiden.
Das halte ich für nicht so tragisch bei dem anstehenden, kurzen Wahlkampf. Alle sind sich ihrer Rollen bewusst und werden jetzt an einem Strang ziehen. Wir haben die Aufstellung geklärt und alle wollen Erfolg haben, das ist das Entscheidende.
Mit der Ampel fällt nun für die Grünen wohl für einige Jahre eine Machtperspektive weg, weil sie niemand mehr will. Wie schlimm ist das?
Gut ist so was nie. Aber wir stehen noch besser da als die politische Konkurrenz. Ich erinnere mich noch an Zeiten, da haben wir Grüne uns erbittert gestritten, welche unsere Lieblingskoalition ist. Wenn die Ampel eines gelehrt hat, dann, dass es so was wie Lieblingskoalitionen nicht mehr gibt. Wir sind uns in der Partei sehr einig, dass wir mit allen demokratischen Parteien reden. Und das ist gut so. Thüringen, Sachsen und Brandenburg zeigen, wie notwendig diese Offenheit ist.
Markus Söder sieht das etwas anders, zumindest sagt er gerade, dass er nicht mit den Grünen regieren will. Gleichzeitig ist eine Koalition mit der Union für die Grünen die einzig realistische Machtoption. Muss man sich als Grünen-Politiker nicht Sorgen machen, dass die CSU eine Opposition in der Regierung werden könnte, wenn es doch zu einer Regierung kommen sollte?
Bei der CSU mache ich mir wirklich große Sorgen. Ich erinnere daran, wie Horst Seehofer mit Angela Merkel umgesprungen ist. Oder Markus Söder mit Armin Laschet im letzten Wahlkampf. Die CSU ist im Bund nicht wirklich regierungsfähig. Nur, das muss die CDU mit ihrer Schwesterpartei klären. Wir werden nicht an der Erkenntnis vorbeikommen, dass lagerübergreifende Koalitionen notwendig bleiben. Und alle Parteien sollten aus der Schlussphase der Ampel lernen – und zwar als Negativbeispiel: So geht es nicht.
Mit so viel Streit, meinen Sie?
Ja, mit so viel öffentlichem Streit und auch mit Vertrauensbrüchen auf offener Bühne.
Wenn Sie mit allen demokratischen Parteien sprechen wollen – zählen Sie auch das BSW dazu?
Das BSW gehört zwar in eine andere Kategorie als die rechtsextreme AfD. Aber auch mit dem BSW kann man nicht regieren. Das sehen wir ja gerade in Sachsen und Thüringen. Zum Glück werden sie auf Bundesebene ziemlich sicher nicht für die Regierungsbildung gebraucht.
Was ist für die Grünen möglich in diesem Wahlkampf?
Ich glaube, dass wir deutlich zulegen können und werden. Wir können die SPD überholen. Und dann sind wir in einer ganz anderen Lage. Das geht Schritt für Schritt, und wir sollten den Mund nicht zu voll nehmen. Aber die Chance für ein deutlich besseres Ergebnis, als es die Umfragen derzeit nahelegen, die ist da.
20 Prozent?
Da werde ich meinen Nachfolgern keine Latte hinlegen.
Herr Kellner, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Michael Kellner in Berlin