Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bundestagsberatungen Es droht der große Renten-Knall
Wohl kein Ampelprojekt lässt länger auf sich warten als das Rentenpaket II. Ab Freitag soll es endlich im Parlament beraten werden. Doch schon jetzt droht neuer Streit.
Es ist eines der wichtigsten Vorhaben der Ampelkoalition, vielleicht das mit den größten Auswirkungen auf das Leben der Deutschen. Mit dem sogenannten Rentenpaket II wollen SPD, Grüne und FDP dafür sorgen, dass die gesetzliche Rente langfristig sicher und zugleich bezahlbar bleibt.
Die Idee, so haben es die Parteien vor bald drei Jahren im gemeinsamen Koalitionsvertrag festgehalten:
- Das derzeitige Rentenniveau von 48 Prozent des Durchschnittslohns soll "dauerhaft" bestehen bleiben.
- Zugleich soll es keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters von derzeit 67 Jahren geben.
- Zudem soll der Staat eine große Summe Geld am Kapitalmarkt anlegen, die später Erträge zur Finanzierung der Rentenzahlungen abwirft und so den Anstieg der Rentenbeiträge dämpft – das sogenannte "Generationenkapital".
Das Problem, schon damals: Zahlreiche Experten wie die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hielten diesen Plan angesichts der alternden Gesellschaft für sehr gewagt und wenig gerecht (mehr dazu lesen Sie hier).
Die sinkende Zahl der Jüngeren würde durch die Reform übermäßig belastet, damit die wachsende Gruppe der Älteren keine Einschnitte bei der Rente hinnehmen müsse. Der Grund: Das Generationenkapital sei mit einer damals geplanten Summe von 10 Milliarden so klein bemessen, dass es kaum genügend Erträge erwirtschaften kann, um einen starken Anstieg der Beiträge zu verhindern. Gewerkschaften und Sozialverbände hingegen lobten die Festschreibung des Rentenniveaus auf 48 Prozent – und forderten noch mehr (mehr dazu lesen Sie hier).
Scholz: Rentenreform ist "Fundament der Ampel"
Um genau diesen Punkt dürfte es nun auch im Bundestag gehen, wenn das Rentenpaket am Freitag erstmals im Plenum diskutiert wird. Wobei das Wort "Diskussion" die Situation nur ungenügend beschreibt. Denn: Es droht ein Riesenstreit in der Ampel, vor allem zwischen SPD und FDP.
Für die Sozialdemokraten ist klar, die Rentenreform muss kommen, und zwar genauso wie im Koalitionsvertrag vereinbart. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte in der SPD-Fraktionssitzung Anfang September die Rentengarantie gar als "Fundament der Ampel" bezeichnet und damit zur Schicksalsfrage erklärt. Zudem verweist die SPD darauf, dass sich die Regierung längst auf die Reform geeinigt hatte – mit Zustimmung der FDP.
Die FDP hat derweil Bauchschmerzen mit dem absehbaren Anstieg der Rentenbeiträge für die Jungen. Ab 2028 bis 2035 sollen sie von derzeit 18,6 Prozent auf dann 22,3 Prozent steigen. Die Liberalen wollen verhindern, dass Arbeitnehmer noch mehr vom Brutto an die Sozialversicherungen abdrücken müssen und finden, es sollte dafür eine weit größere Kapitalkomponente in der gesetzlichen Rentenversicherung geben.
Unstimmigkeiten bei den Liberalen
Zwischen den beiden Koalitionspartnern, aber auch in den Reihen der FDP selbst zeichnet sich deshalb neuerlicher Streit ab – bei dem es auch um die Macht von Finanzminister Christian Lindner (FDP) geht.
Wer das verstehen will, muss sich mit Johannes Vogel (FDP) beschäftigen. Vogel, 42 Jahre alt, ist einer von Lindners Stellvertretern an der Parteispitze und als parlamentarischer Geschäftsführer so etwas wie die Schaltzentrale der FDP-Fraktion im Bundestag. Und: Vogel gilt als geistiger Vater einer "Aktienrente" nach schwedischem Vorbild.
Damit gemeint ist ein Konzept, das er schon als Oppositionspolitiker entwickelte und das darauf abzielt, einen Teil der Beiträge zur gesetzlichen Rente über einen risikoarmen und günstigen Indexfonds am Aktienmarkt anzulegen. Alle Beitragszahler sollen so vom langfristigen Aufwärtstrend an den Finanzmärkten profitieren.
All das ist wichtig zu wissen für die nun anstehenden Beratungen des Rentenpakets. Denn das geplante "Generationenkapital" kann zwar als ein erster Schritt hin zur Kapitaldeckung in der gesetzlichen Rentenversicherung durchgehen. Eine echte Aktienrente à la Vogel aber ist es nicht.
Vogel kontra Lindner?
Vogel pocht auch deshalb seit Monaten auf Änderungen an dem Gesetzespaket. Erst am Donnerstag erklärte er beim Fernsehsender n-tv, er sei skeptisch, dass das Rentenpaket noch dieses Jahr durchs Parlament komme. Der "Bild"-Zeitung sagte er parallel: "So ist das Rentenpaket im Parlament noch nicht zustimmungsfähig." Und im Interview mit der "Zeit" erklärte Vogel: "Ein Gesetz ist erst beschlossen, wenn der Deutsche Bundestag zustimmt. Wir fangen ja gerade erst an, hier im Parlament über den Entwurf zu verhandeln."
Diese Feststellung ist zwar nicht falsch und darum auch nicht ungewöhnlich. Spätestens seit dem bis heute viel zitierten Satz des SPD-Politikers Peter Struck weiß jeder: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineinkommt. Allerdings ist es auffällig, mit welcher Verve Vogel in den vergangenen Monaten immer wieder gegen das Rentenpaket auf die Barrikaden ging – und sich damit auch explizit gegen den eigenen Parteichef stellte.
Lindner nämlich hat das Rentenpaket II federführend mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) verhandelt und ausgearbeitet. Nachdem die Reform ursprünglich schon Anfang 2023 hätte kommen sollen, ließ die Präsentation zwar noch bis März dieses Jahres auf sich warten. Am Ende aber stand der Kompromiss, der weitgehend die Verabredungen im Koalitionsvertrag umsetzt und sie teilweise – aus Sicht der FDP erfreulich – sogar übererfüllt.
Das Generationenkapital nämlich ist nach dem Ringen Lindners mit Heil nun einen Tick größer; statt ursprünglich 10 Milliarden soll es zum Start 12 Milliarden umfassen. Zudem soll das Anlagekapital in den kommenden zehn Jahren mit weiteren Zuschüssen auf bis zu 200 Milliarden Euro anwachsen. Auch das war so im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen.
Lindner: "Das Rentenpaket ist zustimmungsfähig"
Lindner sagt deshalb: "Das Rentenpaket II ist ausverhandelt. Und so, wie es ist, ist es für mich – das ist meine Empfehlung auch an den Bundestag – zustimmungsfähig, aber nur auch unter Einbeziehung des Generationenkapitals." Was man aus diesen Sätzen herauslesen kann: Der Finanzminister und Parteichef, in der Sache womöglich nah bei Vogels Auffassung, ärgert sich über seinen Stellvertreter.
Tanzt Vogel Lindner auf der Nase herum? Führt der Vize seinen Parteichef vor? In Ampelkreisen gibt es nicht wenige, die es so sehen. Bei den Koalitionspartnern erzählt man sich, Lindner habe "seinen Laden nicht im Griff", sollten sich die Liberalen nicht an Vereinbarungen halten – etwas, das man sonst eher Wirtschaftsminister Robert Habeck und dessen Grünen-Fraktion nachsagte.
Für die SPD ist derweil klar: Größere Veränderungen am von der Regierung beschlossenen Paket soll es nicht geben. Aus Sicht der Sozialdemokraten sind diese auch gar nicht nötig, haben sie doch dank Heil genau das umgesetzt, was sie ihren Wählern versprochen haben: keine Rentenkürzung, kein späterer Renteneintritt, "Respekt" vor der Leistung von Menschen, die hart gearbeitet und 45 Jahre lang in die Rentenkassen gezahlt haben.
"Bruch des Koalitionsvertrags"
Die SPD ist von Vogels jüngsten Äußerungen daher genervt. Der arbeits- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Rosemann, nannte die Forderungen der Liberalen eine "Rentenkürzung durch die Hintertür". Dies sei "ein Bruch des Koalitionsvertrags", den die SPD-Fraktion nicht akzeptieren werde, so Rosemann am Donnerstag zur Nachrichtenagentur AFP.
Wie die lange verzögerten Verhandlungen im Parlament ausgehen, lässt sich kaum prognostizieren. Ob und wo es möglicherweise Kompromisslinien zwischen FDP und SPD gibt, ist offen.
Geräuscharm aber, so viel ist klar, dürften die parlamentarischen Beratungen kaum ablaufen, wie auch anhand anderer Aussagen deutlich wird. Der stellvertretende Fraktionschef der Liberalen, Christoph Meyer, wird zwar weniger deutlich als Vogel, sagt im Gespräch mit t-online aber: "Es ist kein Geheimnis, dass wir beim Generationenkapital gerne mehr gemacht hätten." Die Idee der FDP einer Aktienrente nach schwedischem Vorbild sei "mit den Koalitionspartnern leider nicht umsetzbar".
"Berechtigte Fragen bei der Generationengerechtigkeit"
"Die Haltelinie beim Rentenniveau wirft berechtigte Fragen bei der Generationengerechtigkeit auf, die wir diskutieren müssen", so Meyer weiter. "Wir müssen uns aber fragen, was den Wirtschaftsstandort voranbringt und ob Teile des Rentenpakets II wirklich dazu gehören."
Das Rentenpaket kann damit auch zur Belastungsprobe für die Ampel insgesamt werden. Zwar zählte es Lindner unlängst nicht als eines der drei zentralen Politikfelder auf, an denen sich diesen Herbst entscheide, ob die wackelnde Ampel noch einmal die Kurve kriegt.
Weil aber den Sozialdemokraten das Thema so wichtig ist, gilt es als wahrscheinlich, dass sie auch den Bundeshaushalt sowie die Maßnahmen für mehr Wirtschaftswachstum an die Verabschiedung des Rentenpakets koppeln. Dann ginge es doch nicht nur um die Zukunft der Rente. Sondern auch um die der Koalition.
- Eigene Recherchen
- Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP
- Mit Material der Nachrichtenagentur AFP