Kritik an Reform der Bundesregierung "Wird das Rentensystem nicht entlasten"
Das Rentenpaket II der Bundesregierung soll für "Sicherheit im Alter" sorgen, sagt Arbeitsminister Heil. Experten und Verbände hegen daran große Zweifel.
Das Bundeskabinett will am Mittwochvormittag nach monatelangem Streit das Rentenpaket II beschließen. Im Vorfeld gibt es große Kritik an den Plänen der Bundesregierung.
So hat die Chefin der sogenannten Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, das Rentenpaket II als "nicht generationengerecht" kritisiert. Es sei "nicht der benötigte große Wurf, um das Rentensystem langfristig zu stabilisieren", sagte Schnitzer der "Rheinischen Post" (Mittwochsausgabe). Die Zugeständnisse an die Rentnerinnen und Rentner gingen "vollständig zu Lasten der jüngeren Generationen, die bereits in absehbarer Zeit mit steigenden Sozialabgaben zur Pflege- und Krankenversicherung belastet werden".
Schnitzer forderte, die Renten nicht wie bisher an die Lohnentwicklung zu koppeln, sondern an die Preisentwicklung. Auch kritisiert die Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, dass das geplante Generationenkapital nicht weit genug gehe. Es bleibe "weit hinter dem Vorschlag des Sachverständigenrats zur Aktienrente zurück und wird das Rentensystem nicht wesentlich entlasten", monierte die Wirtschaftswissenschaftlerin.
"Die Zeche zahlen die Jüngeren"
Die Arbeitgeber haben derweil vor Milliardenlasten gewarnt. "In den nächsten 20 Jahren werden 500 Milliarden Euro mehr für die Rente ausgegeben", sagte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, dem Magazin "Spiegel" laut Vorabmeldung vom Mittwoch. Das Rentenpaket sei das teuerste Sozialgesetzbuch im 21. Jahrhundert.
"Die Zeche zahlen die Jüngeren. Ihnen werden die Kosten für den demografischen Wandel aufgebürdet", fuhr Dulger fort. Es wundere ihn, dass nicht Millionen junge Menschen gegen die Rentenpläne der Ampel auf die Straße gehen.
Oberstes Gebot der Stunde für die Regierung müsse sein, den Standort Deutschland zu stärken, sagte der BDA-Präsident. Mit dem Rentenpaket mache sie das Gegenteil. "Die Lohnzusatzkosten werden in den kommenden Jahren weiter stark steigen. Die Regierung macht damit Arbeit noch teurer und unattraktiver", sagte Dulger. Er hoffe, dass die nächste Regierung hier deutliche Änderungen vornehmen werde.
Der BDA-Chef forderte die Bundesregierung auf, die sogenannte abschlagsfreie Rente ab 63 sofort zu stoppen. "Subventionierte Frühverrentung passt nicht in die Zeit der vielen sich überlappenden Krisen."
Heil: "Es geht um Sicherheit im Alter"
Arbeitsminister Hubertus Heil hat vor dem Beschluss des Bundeskabinetts zum Rentenpaket II erneut die Wichtigkeit eines stabilen Rentenniveaus betont. "Es geht nicht um irgendwas. Es geht um Sicherheit im Alter", sagte der SPD-Politiker am Mittwoch im ZDF-"Morgenmagazin". "Es ist wichtig, dass sich alle Generationen darauf verlassen können, nicht nur die Großeltern, die Rentner von heute, sondern vor allen Dingen die Arbeitnehmer und auch die Jüngeren."
Das Bundeskabinett will an diesem Mittwoch nach monatelangem Ringen das Rentenpaket II von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf den Weg bringen. Mit der Reform soll das Rentenniveau mindestens bis 2039 bei 48 Prozent gehalten werden. Das Ziel dabei ist, dass sich die Renten künftig nicht schwächer entwickeln als die Löhne in Deutschland. Zum anderen will die Regierung aus Bundesmitteln ein sogenanntes Generationenkapital aufbauen - also Geld auf dem Aktienmarkt anlegen.
"Wenn es eine Lohnerhöhung gibt, dann ist es auch richtig, dass im Jahr später entsprechend auch die Renten folgen", sagte Heil. "Wenn wir das nicht tun, wenn wir das Rentenniveau nicht sichern, dann entkoppeln wir die Kaufkraft der Rentnerinnen und Rentner von den Löhnen. Und das ist nicht gerecht."
Außerdem wolle man dafür sorgen, dass Menschen freiwillig länger arbeiten können. "Was wir brauchen, sind flexible Übergänge in den Ruhestand. Das ist auch richtig. Aber wer 45 Versicherungsjahre voll hat, der wird weiterhin mit 64 oder 65 abschlagsfrei in Rente gehen", versicherte Heil.
Esken: "Die haben sehr lange gearbeitet und hart gearbeitet"
"Das ist ja in diesen Zeiten für diese Menschen auch genau richtig, denn die haben 45 Jahre lang Versicherung in die Rentenversicherung einbezahlt. Die haben sehr lange gearbeitet und hart gearbeitet", sagte SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken am Mittwoch im Deutschlandfunk.
Die FDP strebt nach den Worten ihres Vorsitzenden, Bundesfinanzminister Christian Lindner, keine Änderungen Rentenpaket II im parlamentarischen Verfahren an. "Aus meiner Sicht ist das Rentenpaket II abgeschlossen", sagte er am Dienstagabend im Sender "Welt". Die FDP habe mit dem Paket mehr erreicht, als im Koalitionsvertrag stehe: "Das ist also ein sehr gutes Verhandlungsergebnis", betonte Lindner.
Die Reformbedürftigkeit der Rente sei nicht abgeschlossen, ergänzte der FDP-Chef. "Wir müssen in dieser und der nächsten Legislaturperiode des Bundestages noch sehr viel Arbeit leisten." Dabei gehe es dann "um den individualisierten Renteneintritt statt abschlagsfreier Rente mit 63, da geht es um die Rentenformel, da geht es um Anreize für längeres Arbeiten". Auch die private Altersvorsorge müsse auf eine andere Basis gestellt werden.
FDP-Politiker uneins über Rentenpaket
Während Lindner sich gegen Änderungen am Rentenpaket II ausspricht, üben FDP-Parteikollegen trotz des bevorstehenden Kabinettsbeschlusses weiter Kritik an dem Vorhaben. FDP-Parlamentsgeschäftsführer Johannes Vogel verwies auf das parlamentarische Verfahren in den kommenden Wochen und Monaten. Da gelte: "Jedes Gesetz wird im Bundestag nochmal verändert", sagte Vogel dem Magazin "Politico".
"Umfangreiche Nachbesserungen im parlamentarischen Verfahren" fordert die Chefin der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann. "Das Rentenpaket II ist in seiner aktuellen Form nicht hinnehmbar", sagte sie der "Rheinischen Post". Die FDP habe auf ihrem jüngsten Parteitag Änderungen am Rentenpaket beschlossen. "Daran werden wir die Partei und die Bundestagsfraktion nun messen", betonte Brandmann.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr bezeichnete das Rentenpaket im Rundfunk Berlin-Brandenburg hingegen als "Jahrhundertreform". "Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes profitieren Millionen von Arbeitnehmern und späteren Rentnern von den Kapitalmärkten." Es müsse jedoch weitere Reformen bei der Rente geben, so Dürr.
Das Rentenpaket II soll die Weichen stellen für eine in Zukunft finanziell tragfähige und dennoch sozial gerechte Altersvorsorge. Geplant ist der Aufbau eines Generationenkapitals, das Milliardenzuschüsse des Staates im Kapitalmarkt anlegen und langfristig die Finanzierung der Rentenversicherung sichern soll. Im Gegenzug soll das Rentenniveau von 48 Prozent zunächst bis 2039 stabil bleiben. Die Beitragssätze sollen mittelfristig moderat steigen
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP