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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Poker im Parlament Die Lage könnte kaum schlechter sein
Nächste Woche beginnen die Etatberatungen im Bundestag. Immer mehr Koalitionäre sagen hinter vorgehaltener Hand: Scheitert der Haushalt, scheitert die Ampel.
Der Politkrimi, der über das Fortdauern der Bundesregierung entscheidet, geht in die alles entscheidende Runde: Nachdem sich die Ampelchefs Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) in Marathonsitzungen von über 80 Stunden auf einen Haushaltsentwurf für das kommende Jahr geeinigt haben, berät ab der kommenden Woche das Parlament über den Etat 2025.
Der Bundestag hat eine entscheidende Rolle bei Budgetfragen – er ist der sogenannte Haushaltsgesetzgeber. Während die Regierung mit ihrem Entwurf lediglich einen Vorschlag über die Verteilung der Staatsfinanzen macht, sind die Abgeordneten im Bundestag die eigentliche Kontrollinstanz für das Kabinett von Kanzler Scholz: Sie entscheiden, welcher Minister wie viel Geld erhält, welche staatlichen Vorhaben gefördert werden und wo gekürzt wird.
Entsprechend hart dürften die nun anstehenden Gespräche werden. Die groben Linien werden von den Chefs der Fraktionen verhandelt, Details von Fachpolitikern ausgearbeitet. Klar ist: Was die Regierung vorgelegt hat, enthält einiges an Zündstoff. Bürgergeld, Verteidigungsausgaben, Schuldenbremse, Wirtschaftspaket – an vielen Punkten zoffen sich SPD, Grüne und FDP seit Monaten.
Verschärft werden die innerkoalitionären Gegensätze durch das riesige Haushaltsloch, das die Regierung bis zuletzt nicht schließen konnte. Können die Ampelfraktionen ihre größten Streitpunkte ausräumen? Oder kommt es zum großen Knall? t-online mit den wichtigsten Fragen und Antworten zum Geldpoker der Ampel.
Um wie viel Geld geht es?
Der Bundeshaushalt 2025, den die Regierung beschlossen hat, sieht Ausgaben in Höhe von 480,6 Milliarden Euro vor. Das sind rund 30 Milliarden Euro mehr, als die Ampelregierung ursprünglich angepeilt hatte. In der sogenannten mittelfristigen Finanzplanung, die das Kabinett vor einem Jahr verabschiedet hat, war nämlich lediglich eine Summe von rund 450 Milliarden Euro vorgesehen.
78 Milliarden Euro der rund 480 Milliarden Euro weist das Finanzministerium als Investitionen aus – ein Rekordniveau. Zugleich sieht der Etatentwurf eine Neuverschuldung in Höhe von rund 51 Milliarden Euro vor, wobei die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse jedoch eingehalten wird. Dennoch klafft im Haushalt noch immer eine Lücke, die die Ampelspitzen auch nach mehrwöchigen Nachverhandlungen nicht gestopft bekamen.
Wie groß ist das Haushaltsloch?
Die Lücke im Haushalt umfasst laut Regierungsentwurf rund 12 Milliarden Euro. Ursprünglich war sie sogar etwa 17 Milliarden Euro groß. Allerdings gelang es den Ampelspitzen in den vergangenen Wochen, diesen Fehlbetrag im Rahmen der Schuldenbremse zu reduzieren, indem sie der Deutschen Bahn statt eines Zuschusses einen größeren Kredit gewährte.
Die nun verbleibende Lücke wird im Etatentwurf als "Globale Minderausgabe" verbucht. Damit gemeint ist ein Betrag, von dem die Regierung erwartet oder hofft, das sie ihn im laufenden Haushaltsjahr irgendwie noch zusammengespart bekommt. Unüblich ist ein solches Vorgehen nicht: Immer wieder arbeiten Regierungen in ihren Haushalten mit einer solchen geplanten Lücke, weil erfahrungsgemäß nie sämtliches Geld tatsächlich ausgegeben wird. Oft fließen etwa Fördergelder nicht komplett ab. Allerdings ist die Minderausgabe ungewöhnlich groß: Sie beträgt 2,5 Prozent des Gesamtetats, normal war in den vergangenen Jahren eher ein Satz von 1,7 Prozent. (Mehr dazu lesen Sie hier.)
Was passiert mit der Schuldenbremse?
Die Schuldenbremse soll nach Willen der Bundesregierung eingehalten werden. Das Ausrufen einer neuen Notlage, die eine höhere Kreditaufnahme ermöglicht, soll es nicht geben. Das war die Bedingung, die Finanzminister Lindner stellte und mit der er sich – zumindest im Kabinett – durchgesetzt hat.
Damit ist der Streit jedoch längst nicht beendet. Die SPD hält es weiterhin für geboten, die Schuldenbremse zu lockern: kurzfristig, um frische Kredite im nächsten Jahr freizusetzen, und langfristig, um dem Staat mehr Handlungsspielräume zu geben.
Auf ihrer Klausurtagung am Donnerstag in Brandenburg beschloss die SPD-Fraktion ein Papier zur inneren Sicherheit, in dem auch eine Reform der Schuldenbremse gefordert wird. Es gehe um "mehr Investitionen für die innere Sicherheit, für die Cybersicherheit und für unsere Sicherheitsbehörden", die durch die im Grundgesetz verankerte Schuldenregel verhindert würden. Vorstellbar sei etwa auch ein neues Sondervermögen.
"Die Menschen erwarten, dass ihr Land funktioniert"
Auch legte eine Arbeitsgruppe der SPD, die Anfang des Jahres mit einer Reform der Schuldenbremse befasst war, einen Zwischenbericht vor. Darin werden fehlende Investitionen als "Wohlstandsvernichter" bezeichnet und mehrere Vorschläge gemacht, wie die Fiskalregeln geändert werden könnten – auch wenn eine solche Reform bis zum Ende der Legislatur unrealistisch erscheint.
Die SPD konzentriert sich deshalb auf eine Hintertür, die die aktuelle Schuldenbremse offen lässt: den Notlagenbeschluss. Auf der Klausurtagung am Donnerstag war immer wieder zu hören, dass die dramatische Lage in der Ukraine durchaus eine solche Ausnahme von der Schuldenregel rechtfertigen würde. Der stellvertretende haushaltspolitische Sprecher der SPD, Andreas Schwarz, betont, die Ampel stehe bei den Bürgern in der Pflicht:
"Die Menschen erwarten, dass ihr Land funktioniert. Wir müssen die äußere, innere und soziale Sicherheit stärken. Deshalb darf es keine Denkverbote geben – auch nicht bei der Schuldenbremse." Zugleich habe man der Ukraine Solidarität versprochen, die militärischen, humanitären und Wiederaufbauhilfen ließen sich jedoch "nicht einfach mal so aus dem Haushalt finanzieren". Der Sozialdemokrat fordert: "Wir müssen uns ehrlich machen und die Ausnahmeregel bei der Schuldenbremse ziehen."
Die Liberalen halten erwartungsgemäß dagegen. Eine neuerliche Notlage halten sie für nicht begründbar. Und auch ein Sondervermögen für mehr innere Sicherheit lehnt FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer, zuständig für den Haushalt, ab: "Die altbekannte SPD-Leier von schuldenfinanzierten Sondervermögen für alles und jeden hat keine verfassungskonforme Grundlage", sagte er t-online.
Zugleich betont er: Mehr Geld für mehr Sicherheit habe auch für die FDP Priorität. "Weniger illegale Migration, Streichen von Sozialleistungen für Ausreisepflichtige und eine kritische Untersuchung der Asylbewerberleistungen entlasten den Bundeshaushalt und führen zu mehr finanziellem Spielraum bei der inneren Sicherheit."
Wo droht weiterer Streit?
Neben dem Schuldenbremsen-Zank droht auch an anderen Stellen Streit. So könnte es etwa bei den Verteidigungsausgaben zu neuem Clinch zwischen den Ampelfraktionen kommen. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte 6,7 Milliarden Euro mehr gefordert, um die Bundeswehr zu modernisieren. Bekommen hat er von Finanzminister Lindner und Kanzler Scholz nur 1,25 Milliarden Euro, was Pistorius verärgerte. Nach Darstellung des Verteidigungsministers stünden nun wichtige Rüstungsvorhaben auf der Kippe, solange die Finanzierung nicht geklärt sei.
Pistorius hofft daher auf die Hilfe der Parlamentarier, um seinen Etat vielleicht doch noch anzuheben. Doch woher das Geld kommen soll, ist fraglich.
Ebenso hart umkämpft wird das Gesetzespaket für mehr Wirtschaftswachstum sein, das parallel zum Haushalt auf den Weg gebracht werden soll. Von diesem Paket erhofft sich die Ampelregierung einen ordentlichen Wachstumsschub – den sie in die Haushaltskalkulationen in Form von Steuermehreinnahmen schon gleich einkalkuliert hat.
Hier stehen vor allem die härteren Sanktionen beim Bürgergeld im Fokus, die zu mehr Arbeitsanreizen führen sollen. Die SPD tut sich damit traditionell schwer, die Liberalen wiederum pochen auf die Umsetzung. FDP-Fraktionsvize Meyer: "Die Nullrunde beim Bürgergeld, schärfere Mitwirkungspflichten und striktere Sanktionen sind unter allen drei Koalitionspartner geeint, da wird es keine Abstriche geben."
Könnte die Koalition am Haushalt zerbrechen?
Das ist zumindest nicht ausgeschlossen. Viele Abgeordnete betonen dieser Tage, dass der Haushalt der Knackpunkt der Koalition ist: Scheitert der Haushalt, scheitert die Ampel. Und die Ausgangslage könnte kaum schlechter sein: Die Ampel ist nach drei Jahren fast stehend k. o., die vielen Konflikte haben das Vertrauen untereinander aufgebraucht. Zugleich eint speziell die Haushaltspolitiker ein gewisses Ehrempfinden. Am Ende, so sagen es viele, werde man noch immer zu einer Lösung kommen und ein fertiges Haushaltsgesetz präsentieren. Ob das die Ampel retten kann, muss sich zeigen.
Der weitere Zeitplan der Haushaltsberatungen bietet eine ganze Reihe von Stolpersteinen, der Zeitplan sieht wie folgt aus: Nach der ersten Lesung im Plenum kommende Woche berät der Haushaltsausschuss ab dem 25. September über die sogenannten "Einzelpläne" der jeweiligen Ministerien sowie die Etats ausgewählter Bundesinstitutionen, etwa das Budget für das Verfassungsgericht in Karlsruhe.
Knallen könnte es dabei unter anderem bei den Beratungen über den Sozialetat von Hubertus Heil (SPD) sowie über den Verteidigungshaushalt. Beide Einzelpläne sollen nach t-online-Informationen am 7. November und damit recht spät beraten werden. Ein weiterer Knackpunkt ist die Steuerschätzung für das kommende Jahr: Ende Oktober gibt das Finanzministerium traditionell bekannt, wie hoch die Steuereinnahmen voraussichtlich ausfallen. Bestätigen sich die Prognosen, wird es anders als in den Vorjahren nicht mehr, sondern eher weniger Geld zum Verteilen geben.
Abgeschlossen sein sollen alle Verhandlungen zu den Etats der einzelnen Ministerien dann am 13. November. Am 14. November steht im Ausschuss die "Bereinigungssitzung" an, eine in der Regel sehr langwierige Veranstaltung, bei der die Abgeordneten meist bis tief in die Nacht beisammen sitzen. Alles Geld, das dann nach noch übrig ist, wird dann final verteilt.
Gelingt es den Ampelpartnern, bis dahin Geschlossenheit zu zeigen, gilt der Rest als Formsache: In der Sitzungswoche vom 26. bis 29. November soll der Etat dann in zweiter und dritter Lesung das Plenum des Bundestags passieren, im Dezember müsste dann final noch der Bundesrat zustimmen.
- Eigene Recherche