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Bürgergeld: Wie viel Hartz IV steckt mit den Sanktionen jetzt wieder drin?


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Diskussion um Grundsicherung
"Bürgergeld mutet jetzt wieder stärker an wie Hartz IV"


Aktualisiert am 31.07.2024Lesedauer: 5 Min.
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Vater und Tochter in einer Einkaufsstraße: Die Voraussetzungen für den Bezug von Bürgergeld sollen verschärft werden. (Quelle: Michael Gstettenbauer/imago-images-bilder)
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Zurück auf Los? Das Bürgergeld soll Empfänger künftig mehr fordern – und mutet damit wieder stärker so an wie einst Hartz IV. Worum genau es dabei geht.

Es sollte der große Wurf werden, vor allem für die SPD: Das Bürgergeld als Nachfolger von Hartz IV sollte die Partei vom Image der sozialen Kälte befreien, das ihnen einst die Agenda-Politik von Gerhard Schröder eingebrockt und die Gründung der Linkspartei nach Ansicht vieler Sozialdemokraten erst ermöglicht hatte.

Seit seiner Einführung Anfang 2023 jedoch hat sich das Bürgergeld kaum als der gewünschte Erfolg herausgestellt, im Gegenteil. Kaum ein sozialpolitisches Instrument ist so umstritten wie die derzeitige Form der Grundsicherung. Ein Grund: Der höhere Regelsatz – vor allem aber sind es die stark zurückgefahrenen Sanktionen, die angesichts von Vollbeschäftigung und fehlender Fach- und Arbeitskräfte viele Menschen als ungerecht empfinden.

Die Ampel will deshalb nachbessern und Teile der einstigen Bürgergeld-Idee wieder einkassieren. In der CDU wiederum gehen diese Schritte manchem noch immer nicht weit genug. Entwickelt sich das Bürgergeld langsam aber sicher zum alten Hartz IV zurück, nur unter neuem Namen? Und könnte der Staat den Bürgergeldempfängern tatsächlich alle Bezüge streichen? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was war die ursprüngliche Idee des Bürgergelds?

Das Bürgergeld hat Anfang 2023 das bisherige Arbeitslosengeld II, kurz "Hartz IV", abgelöst. Die Idee der Ampelkoalition: Das von vielen als stigmatisierend empfundene alte System sollte unter neuem Namen weniger bürokratisch und zielgenauer werden. Und: Das Bürgergeld sollte von Anfang an weniger auf Sanktionen setzen, statt des Forderns mehr das Fördern in den Fokus rücken.

Derzeit beziehen in Deutschland rund 5,6 Millionen Menschen Bürgergeld. Unter ihnen sind aber nicht nur Langzeitarbeitslose, die früher einen Job hatten, sondern auch rund eine Million ukrainische Flüchtlinge. Etwa 4 Millionen Bürgergeldempfänger gelten als erwerbsfähig, könnten ob ihres Alters also arbeiten. Von denen wiederum ist gut jeder Fünfte im geringen Umfang bereits erwerbstätig. 40 Prozent stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, die übrigen 40 Prozent nicht, etwa weil sie eine Ausbildung machen, Kinder erziehen oder Angehörige pflegen.

Wie will die Ampel beim Bürgergeld nun nachschärfen?

Inzwischen scheint sich vielerorts die Erkenntnis durchzusetzen, dass die ursprüngliche Idee vom Bürgergeld nur in Teilen zum Erfolg geführt hat – und bei vielen Menschen auf Ablehnung stößt. Auch innerhalb der Ampel ist das den meisten nunmehr klar, weshalb es im Zuge des Wachstumspakets nun doch wieder Verschärfungen geben soll.

  • Wer einen zumutbaren Job ablehnt, soll künftig für drei Monate sofort bis zu 30 Prozent weniger Bürgergeld erhalten. Bislang waren im ersten Monat Kürzungen um 10 Prozent, im zweiten 20 Prozent und erst im dritten Monat 30 Prozent vorgesehen.
  • Wer ohne triftigen Grund nicht zum Termin beim Jobcenter erscheint, soll ebenfalls direkt für einen Monat bis zu 30 Prozent weniger Bürgergeld erhalten. Wer arbeitsfähig ist und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, muss zudem alle vier Wochen beim Jobcenter erscheinen.
  • Zudem sollen Bürgergeldempfänger, die beim Schwarzarbeiten erwischt werden, für drei Monate 30 Prozent weniger Geld erhalten.
  • Der Anfahrtsweg zum Arbeitsplatz soll länger sein dürfen. Bis zu drei Stunden täglicher Pendelzeit sollen künftig zumutbar sein. Die Jobcenter sollen so im Umkreis von 50 Kilometern nach einem Job suchen.
  • Das Schonvermögen von 40.000 Euro bleibt künftig nur noch sechs Monate unangetastet statt wie aktuell ein ganzes Jahr.

Zugleich plant die Ampel aber auch eine neue "Anschubfinanzierung": Langzeitarbeitslose, die einen Job annehmen, der sie gänzlich aus dem Bürgergeld befreit, sollen künftig eine Prämie erhalten. Die Höhe ist derzeit noch offen.

Wie viel Hartz IV steckt damit jetzt wieder im Bürgergeld?

Deutlich mehr als SPD, Grüne und FDP ursprünglich vorsahen, erklärt Arbeitsmarktforscher Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft – zumindest auf den ersten Blick. "Insgesamt entwickelt sich die Grundsicherung wieder mehr zu einem fordernden System. Das Bürgergeld mutet jetzt wieder stärker an wie Hartz IV", sagte er t-online.

Die verschärften Sanktionen für Transferempfänger, die einen Job ablehnen, etwa liegen mit 30 Prozent nun wieder auf dem Niveau von 2019. Das ist die höchste Kürzung, die das Bundesverfassungsgericht damals für zulässig erklärte, nachdem ein Empfänger erfolgreich gegen die zuvor möglichen Kürzungen von 60 beziehungsweise 100 Prozent geklagt hatte.

Bei der Meldepflicht gehen die neuen Sanktionsmöglichkeiten sogar noch über die alten aus dem Hartz-IV-System hinaus: Wer früher einen Termin versäumte, konnte nur mit einem Minus von 10 Prozent beim Regelsatz bestraft werden, jetzt sind es 30 Prozent. Und auch die zumutbare Pendelzeit für einen Job ist mit drei Stunden nun eine halbe Stunde länger bemessen als vor Einführung des Bürgergelds.

Doch Experte Schäfer schränkt auch ein. "Bei all dem handelt es sich aber zunächst nur um theoretische Möglichkeiten", sagt er. "In der Praxis muss das nicht zwangsläufig zu einer härteren Gangart führen. Denn anders als im Hartz-IV-System ist der Weg zu Sanktionen über ein spezielles Prüfvorgehen für etwaige Härten deutlich komplizierter und langwieriger. Daran will die Ampel nichts ändern."

Es sei deshalb zu bezweifeln, dass die Jobcenter den nun wieder größeren Spielraum für Sanktionen auch tatsächlich öfter nutzten. "Die Politik hat mit dem Bürgergeld das Signal gesendet: Wir wollen weniger Sanktionen. Dieser Geist lässt sich nur schwer wieder in die Flasche bekommen", so Schäfer.

Welche zusätzlichen Sanktionen sind in der Diskussion?

Für eine noch härtere Gangart beim Bürgergeld hatte zuletzt CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann plädiert. Im Gespräch mit den Zeitungen der Funke-Mediengruppe schlug er vor, mehr als 100.000 Menschen das Bürgergeld komplett zu streichen, den sogenannten "Totalverweigerern", die schlicht nicht arbeiten wollen. "Die Statistik legt nahe, dass eine sechsstellige Zahl von Personen grundsätzlich nicht bereit ist, eine Arbeit anzunehmen", sagte er.

Grüne, Linke und Sozialverbände warfen Linnemann daraufhin Populismus und Volksverhetzung vor und stellten die genannte Größenordnung infrage. Aus der FDP wiederum meldete sich Fraktionsvize Christoph Meyer zu Wort, der Linnemann in Teilen zur Seite sprang. Die Grundsicherung sei "Hilfe in der Not". "Wird das Bürgergeld jedoch als bedingungsloses Einkommen ausgenutzt, ist der soziale Frieden im Land in Gefahr – das hilft nur den politischen Rändern", sagte er t-online. "Dies müssen auch SPD und Grüne endlich verstehen."

Wie viel ein Totalentzug des Bürgergelds tatsächlich brächte, ob er wirklich dazu führt, dass Zehntausende Menschen mehr in Arbeit kommen, ist umstritten. Gewerkschafter und auch zahlreiche Ökonomen sagen: Statt mehr Druck brauche es bessere Qualifizierungen. "Die große Mehrheit der Bezieher wollen arbeiten", sagt auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. "Das größte Potenzial, um langfristig die Anzahl der Bezieher des Bürgergelds zu reduzieren, sind Maßnahmen der Qualifizierung, als auch eine Erhöhung des Mindestlohns, da dies die Zahl der Aufstocker reduzieren würde."

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IW-Ökonom Schäfer hält dagegen: "Sanktionen setzen durchaus Arbeitsanreize. Und umgekehrt zeigt die Empirie: Weniger Sanktionen führen auch nicht dazu, dass mehr Bürgergeldempfänger einen Job aufnehmen."

Darf der Staat das Bürgergeld komplett streichen?

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2019 erscheint das als unwahrscheinlich. Zumindest ist ein pauschaler Entzug der Leistungen, wie Linnemann es fordert, nicht ohne Weiteres möglich. Denn: Der Staat muss nach Auffassung des Gerichts ein "menschenwürdiges Existenzminimum" ermöglichen; zudem sei nicht nachgewiesen, dass die Sanktionen wirklich wirkten.

Arbeitsmarktökonom Holger Schäfer hält eine 100-Prozent-Kürzung von Bürgergeld, Wohngeld und sonstigen Transfers dennoch für möglich. "In dem Fall, wo ein Bürgergeldempfänger einen zumutbaren Job ablehnt, der sein Existenzminimum sichern würde, kann er nicht mehr als bedürftig angesehen werden", erklärt der Experte. "Dann wäre auch ein Totalentzug des Bürgergelds möglich und verfassungskonform – diese Möglichkeit hat das Verfassungsgericht in seinem Urteil explizit benannt."

Gerade in Zeiten von Vollbeschäftigung, wo überall händeringend Facharbeiter aber auch Arbeitskräfte für einfache Tätigkeiten gesucht werden, so Schäfer, sei es eine Frage der Gerechtigkeit und eine des richtigen Signals an die Gesellschaft: "Die Solidargemeinschaft fängt Menschen, die in Not geraten, auf. Sie darf dann aber auch zu Recht erwarten, dass sie etwas zurückbekommt."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit IW-Ökonom Holger Schäfer
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