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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krise der SPD in Sachsen "Der Frust über die Ampel ist groß"
Die SPD Sachsen steht vor einer schwierigen Wahl, Umfragen sehen die Partei bei sechs Prozent. Sachsens Sozialministerin Petra Köpping zeigt sich dennoch kämpferisch – und erklärt, wie sie die Wende schaffen will.
Es sah schon mal besser aus: Knapp fünf Monate vor der Landtagswahl in Sachsen muss die regierende SPD um ihr parlamentarisches Überleben bangen. Umfragen sehen die Sozialdemokratie im Freistaat derzeit bei zwischen fünf und sieben Prozent. Im schlimmsten Fall könnte die SPD ab September aus Regierung und Landesparlament fliegen.
Die sächsische Gesundheits- und Sozialministerin Petra Köpping denkt aber nicht ans Aufgeben. Im Interview mit t-online erklärt die 65-jährige Spitzenkandidatin ihrer Partei, mit wem sie nach dem 1. September am liebsten koalieren würde, warum sie trotz Widerständen bei ihrer klaren Ukraine-Haltung bleibt – und warum vor allem die Sachsen von einem höheren Mindestlohn profitieren würden.
t-online: Die SPD liegt in Umfragen in Sachsen bei gerade mal sechs Prozent. Wie erklären Sie sich das?
Petra Köpping: Wir leben in einer Zeit großer Krisen, die sich überlagern. Wir haben in Sachsen in den letzten fünf Jahren viel erreicht, aber der negative Bundestrend schlägt auch hier durch. Der Frust über die Ampel ist groß, das bekommen wir hier stark zu spüren.
Sie sind viel im Freistaat unterwegs, suchen das direkte Gespräch mit den Menschen. Welche Klagen hören Sie am häufigsten?
Es gibt eine allgemeine, teils diffuse Unzufriedenheit, die sich breitmacht. Das ist nicht gut. Die Folgen der Corona-Krise, Russlands Krieg gegen die Ukraine, die Angst vor dem wirtschaftlichen Niedergang, jetzt der Nahostkonflikt: Viele Menschen sind müde und auch ein bisschen verzweifelt. Sie sagen, sie wünschen sich nichts mehr, als ganz normal in Ruhe und Frieden weiterzuleben.
Was antworten Sie ihnen?
Ich versuche, Mut zu machen, mache den Menschen aber auch nichts vor. Wir leben in einer neuen Epoche, in der die Krisen nicht von heute auf morgen gelöst werden können. Umso wichtiger ist es, auch auf die positiven Dinge hinzuweisen und nicht im Streit alles zu zerreden.
Den Tipp könnten Sie so manchem Ampelpolitiker geben.
Die Arbeit der SPD in der Bundesregierung ist viel besser als das Bild der Ampel. Die Inflation und Energiepreise sinken, die Löhne steigen. Und es gibt erste Hinweise auf eine wirtschaftliche Erholung. Die Ampel muss gemeinsam das Versprechen einlösen, dass Deutschland stärker aus der Krise herauskommt. Das Gezänk zwischen FDP und Grünen macht das schwer. Das muss sich ändern.
Aber an den sechs Prozent der SPD Sachsen kann nicht die Ampel allein schuld sein. Wie wollen Sie die Wende schaffen?
Drei Themen sind mir besonders wichtig: Wir müssen dringend den Lehrermangel lösen. Wir können uns keine Lehrerinnen und Lehrer backen und müssen daher alle Instrumente nutzen, um sicherzustellen, dass wirklich vor jeder Klasse ein Lehrer steht. Das zweite ist die Absicherung der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. Wir haben leider nicht genügend Ärztinnen und Ärzte in Sachsen. Um das Problem zu beheben, haben wir schon viel erreicht: Wir haben zusätzliche Studienplätze geschaffen, eine Landarztquote eingeführt und ein Stipendium in Ungarn aufgelegt, von wo schon dieses Jahr die ersten fertigen Ärzte zurückkommen. Aber hier gibt es noch viel zu tun.
Und das dritte Thema?
Gute Arbeitsplätze. Das wichtigste Instrument dafür ist der gesetzliche Mindestlohn. Vor allem Sachsen würde davon profitieren. Die Steigerung auf 12,41 Euro am Jahresanfang war viel zu gering. Wir brauchen einen Mindestlohn von 15 Euro, damit die Menschen von ihrer Arbeit leben können.
Für die Höhe des Mindestlohns ist eigentlich die Mindestlohnkommission zuständig. Kritiker sagen, die Politik sollte sich nicht einmischen und den Empfehlungen der Kommission folgen.
Die Mindestlohnkommission befindet sich leider nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Die Menschen leiden unter gestiegenen Preisen, auch wenn die Inflation wieder gesunken ist. Das gilt vor allem für die unteren Lohngruppen. Aufgrund der Einkommensunterschiede zwischen West und Ost ist die Lage im Freistaat besonders dramatisch: Der mittlere Bruttolohn in Sachsen beträgt 3.012 Euro, im ebenfalls ländlichen Hessen liegt er bei 3.939 Euro, in Hamburg sogar bei 4.127 Euro. Die Kluft ist enorm, ein gerechter Mindestlohn könnte diese Lohnlücke mindern. Das betrifft im Übrigen auch die Rente.
Inwiefern?
Vor zehn Jahren hatte der damalige sächsische FDP-Wirtschaftsminister Sven Morlok den Arbeitgebern erzählt, ihr braucht euren Mitarbeitern nicht so viel zu bezahlen wie in anderen Bundesländern. Sachsen wurde als Billiglohnland angepriesen. Die Folge war, dass wir heute überdurchschnittlich viele Menschen haben, die auch im Alter auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind. Die sächsische Durchschnittsrente ist mit 1.390 Euro im Monat so niedrig wie in fast keinem anderen Bundesland. Ein höherer Mindestlohn ist also auch eine Vorsorge fürs Alter. Das Problem wird dadurch verschärft, dass wir im Jahr 2030 in Sachsen die älteste Bevölkerung deutschlandweit haben werden. Mit dem jetzigen Mindestlohn werden viele Menschen im Alter nicht von ihrer Rente leben können.
Aus der Wirtschaft kommt häufig der Einwand, ein höherer Mindestlohn könnte Jobs vernichten, weil er vor allem mittelständische Unternehmen in eine Kostenfalle treibt.
Diese Einwände gibt es seit Jahren und haben sich immer wieder als falsch herausgestellt. Ich kann Ihnen sagen, was ich aus der sächsischen Wirtschaft höre: Arbeitgeber, die freiwillig einen Lohn von 15 Euro oder höher zahlen, weil sie gute Arbeitskräfte wollen. Weil diese qualifizierten Arbeitskräfte sicherstellen, dass die Unternehmen Aufträge bekommen. Ich spreche immer wieder mit mittelständischen Unternehmern, die mir sagen: Frau Köpping, ich zahle längst 15 Euro pro Stunde, ich brauche keine gesetzliche Vorgabe. Mich freut das sehr, aber mir geht es auch um die, die es nicht machen. Ein höherer Mindestlohn schützt eben auch die anständigen Unternehmen vor Billiglohnkonkurrenz. Das geht aber nur auf Bundesebene, deswegen setzen wir uns in Sachsen dafür ein.
Wenn Sie den Ampelfrust auch in Sachsen zu spüren bekommen, gibt es dafür, sozusagen als Wiedergutmachung, auch etwas Wahlkampfhilfe aus Berlin?
Alle SPD-Bundesminister werden nach Sachsen kommen oder waren schon da. Auch der Kanzler wird vorbeikommen. Das erwarte ich auch in dieser Lage.
Im März war Verteidigungsminister Boris Pistorius bei Ihnen in Dresden, was sogar einige Autogrammjägerinnen vor die Wahlkampfzentrale der SPD gelockt hat. Beim gemeinsamen Bürgerdialog am Abend haben Sie beide für eine starke Ukraine-Unterstützung und weitere Waffenlieferungen geworben. Ernten Sie mit Ihrer Ukraine-Haltung viel Unverständnis in Sachsen?
Mir spricht, glaube ich, niemand in Sachsen ab, dass ich ein Grundverständnis dafür habe, mit welchem Russlandbild die Menschen in Ostdeutschland sozialisiert wurden. Die Sowjetunion, vor allem in Gestalt von Michail Gorbatschow, hat den Ostdeutschen am Ende die Freiheit gebracht. Die deutsche Wiedervereinigung hätte ohne ihn nicht stattgefunden. Umso größer sind bei vielen die Enttäuschung und auch die Trauer über dieses Land, das jetzt einen fürchterlichen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Auch deswegen müssen wir mit unserer Haltung klar sein.
Der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat vor Kurzem im Bundestag ein Einfrieren des Kriegs gefordert. Hat diese Rede Ihrem Wahlkampf in Sachsen geholfen oder geschadet?
Alle wünschen sich Frieden. Und wir sind uns alle einig, dass dieser Krieg am Ende diplomatisch gelöst werden muss. Aber um das zu erreichen, müssen wir die Ukraine weiter stärken, auch mit Waffenlieferungen. Putin hat doch deutlich gemacht, dass er derzeit nicht verhandeln will. Dieser Krieg muss so schnell wie möglich enden, aber zunächst müssen auch die Voraussetzungen dafür da sein. Einfache Antworten verbieten sich. Übrigens: Zu unterstellen, es gebe keine diplomatischen Bemühungen, ist unredlich.
Wird auch Karl Lauterbach nach Sachsen kommen?
Natürlich. Karl Lauterbach werde ich zeigen, wie sich eine Krankenhausreform in ländlichen Regionen auswirkt. Gerade die kleinen Kliniken auf dem Land leisten sehr gute Arbeit. Es ist enorm wichtig, dass diese von seiner Reform nicht benachteiligt werden.
Ist Lauterbach nicht ein rotes Tuch für viele Sachsen? Sie hatten selbst recht offen sein Cannabis-Gesetz kritisiert.
Die grundlegende Idee hinter dem Cannabis-Gesetz teile ich. Karl Lauterbach hat recht in der Diagnose, dass die bisherige Cannabis-Politik gescheitert ist. Leider wurde das Gesetz recht kurzfristig verabschiedet. Die Vorbereitung war schlecht, sodass wir nun bei der Umsetzung improvisieren müssen. Als Gesundheitsministerin schaue ich vor allem darauf, wie wir die Prävention und Aufklärung verbessern können, gerade bei jungen Menschen. Aber wie soll ich das mitten im laufenden Haushalt machen, ohne dass zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen? Wir werden das tun, so gut wir können, aber es ist klar, dass das nicht in einer Größenordnung stattfinden kann, die notwendig wäre.
Die AfD liegt in den Umfragen derzeit bei 34 Prozent, bei den Landtagswahlen könnte sie als stärkste Kraft hervorgehen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer warnte bereits vor einer Unregierbarkeit im Freistaat und vor Thüringer Verhältnissen. Droht Sachsen ab 1. September das Chaos?
Ich halte nicht besonders viel von solchen Zuspitzungen. Wir sollten den Bürgern zutrauen, eine vernünftige Entscheidung zu treffen, wenn es um ihre Zukunft geht. Ja, die AfD ist in den Umfragen stark, aber sie macht den Menschen etwas vor. Sachsen hat viel erreicht in den letzten Jahren und Jahrzehnten, auch wenn die AfD das gerne schlechtredet.
Auch in der schwarz-rot-grünen Koalition in Sachsen geht es nicht immer harmonisch zu. Würden Sie wieder mit der CDU zusammengehen, und sei es nur, um eine AfD in der Regierung zu verhindern?
Ich glaube dem CDU-Vorsitzenden, dass er keine Koalition mit der AfD eingehen wird. Ob das für die CDU in Gänze zutrifft, muss ich aber bezweifeln. Da gibt es mittlerweile zu viele Negativbeispiele, wie zuletzt die gemeinsamen Abstimmungen im Dresdner Stadtrat. Mein Ziel ist eine stabile Regierung in Sachsen. Diese wird es nur mit einer starken SPD geben.
Ist das ein Ja?
Wir sind offen für eine erneute Koalition mit der CDU, auch wenn wir eine Zweierkonstellation bevorzugen würden. Nichts gegen die Grünen, aber Dreier-Koalitionen sind immer kompliziert.
Ob es für eine schwarz-rote Koalition in Sachsen reichen würde, ist allerdings fraglich. Rein rechnerisch möglich und politisch nicht völlig abwegig wäre ein anderes Bündnis: eine Koalition aus CDU, SPD und BSW. Können Sie sich eine gemeinsame Regierung mit der Wagenknecht-Partei vorstellen?
Über mögliche Koalitionen sprechen wir nach der Wahl.
Das heißt, Sie schließen ein Bündnis mit dem BSW nicht aus? Laut Umfragen kommt die neu gegründete Partei derzeit auf elf Prozent – fast das Doppelte der SPD.
Optionen im Vorfeld auszuschließen, ist strategisch nicht besonders klug, daher tue ich das nicht. Umfragen sind keine Wahlergebnisse.
Im Interview mit t-online hat die BSW-Chefin Sahra Wagenknecht kürzlich einige Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung in Sachsen gestellt. Sie nannte unter anderem die Rücknahme des Verbrenner-Aus auf EU-Ebene, mehr Unterstützung für mittelständische Unternehmen und eine bessere Bildungspolitik. Sind das Themen, über die Sie mit dem BSW sprechen würden?
Das Problem des BSW ist, dass es noch gar kein Wahlprogramm hat. Ich kann also gar nicht beurteilen, was sie wirklich vorhaben. Auch ihre Wahllisten stehen noch nicht. Klar ist ja aber, dass Sahra Wagenknecht selbst in Sachsen gar nicht antritt. Diese Woche hieß es, dass einige ihrer Kandidaten in bestimmten Wahlkreisen nicht zugelassen wurden, weil sie sich bereits auf Listen für andere Wahlkreise eingeschrieben hatten. Bevor nicht ein Mindestmaß an professioneller Organisation vorhanden ist, brauchen wir über eine Koalition mit dem BSW gar nicht erst zu sprechen.
Frau Köpping, vielen Dank für das Gespräch.
- Interview mit Petra Köpping