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Abtreibung: Ärztin Kristina Hänel fordert Legalisierung


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Ärztin über Abtreibungsdebatte
"Sie wollen Schwangeren Angst machen"

InterviewVon Julian Seiferth

Aktualisiert am 16.04.2024Lesedauer: 4 Min.
Die Ärztin Kristina Hänel vor dem Amtsgericht in Gießen.Vergrößern des Bildes
Die Ärztin Kristina Hänel vor dem Amtsgericht in Gießen (Archivbild): Sie setzt sich seit Jahren für das Recht auf Abtreibung ein. (Quelle: dpa)
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Steht Deutschland vor einer Reform des Abtreibungsrechts? Die Medizinerin Kristina Hänel spricht über ihre Hoffnung – und die Bedrohung durch Abtreibungsgegner.

Eine von der Bundesregierung beauftragte Experten-Kommission fordert: Schwangerschaftsabbrüche müssen in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft legalisiert, der Paragraf 218 reformiert werden. Momentan ist eine Abtreibung in dieser Zeit sowohl für Schwangere als auch Medizinerinnen und Mediziner zwar eine Straftat, wird als solche aber nicht verfolgt. Ob die Ampel die Empfehlungen tatsächlich umsetzen wird, bleibt abzuwarten.

Erst im Juni 2022 hatte es eine weitreichende Änderung im Abtreibungsrecht gegeben: Der Deutsche Bundestag stimmte damals für die Abschaffung des Paragrafen 219a, der "Werbung für Schwangerschaftsabbrüche" verbietet. Maßgeblich dafür war die Arbeit der Gießener Ärztin Kristina Hänel.

Die heute 67-Jährige war 2017 nach Paragraf 219a zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Hänel hatte auf ihrer Website erklärt, dass sie Abbrüche vornehme. Hänel ging gegen das Urteil mehrmals in Berufung und Revision und suchte die Öffentlichkeit. Mit Erfolg: Sie und alle anderen Mediziner, die nach Paragraf 219a verurteilt worden waren, wurden durch den Bundestag rehabilitiert. Im Interview mit t-online erklärt sie, was eine Reform des Paragrafen 218 bedeuten würde und spricht über Drohungen gegen ihre Praxis.

t-online: Frau Hänel, die Experten-Kommission empfiehlt eine Reform von Paragraf 218. Was würde das für Schwangere, aber auch für Mediziner bedeuten?

Kristina Hänel: Im Moment ist der Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche strafbar, wird aber nicht bestraft. Trotzdem bringt er eine gewisse Problematik mit sich. Eine Veränderung wäre hier sinnvoll.

Warum?

Für Schwangere und Mediziner würde ein Abbruch dann keine Straftat mehr darstellen. Die Stigmatisierung fiele ein Stück weit weg. Außerdem sprächen wir dann von einem medizinischen Eingriff, der Kassenleistung wäre. Damit könnten Schwangere die Entscheidung frei von finanziellen Zwängen treffen. Und: Abtreibung könnte so regulär in der Ausbildung und im Medizinstudium gelehrt werden.

Kristina Hänel
Kristina Hänel (Quelle: Swen Pförtner/Archiv/dpa)

Zur Person

Kristina Hänel (67) ist Allgemeinmedizinerin. Zu ihren Schwerpunkten zählen unter anderem Themen wie Frauengesundheit, Sexualität, Familienplanung, Schwangerschaft, Geburt und Schwangerschaftsabbruch. Im Jahr 2017 wurde sie wegen Werbung für Schwangerschaftsabbruch verurteilt, 2022 im Zuge der Abschaffung von Paragraf 219a vom Bundestag rehabilitiert.

Die Nachfrage nach Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland bleibt hoch. Die Zahl der Ärzte, die Abtreibungen anbieten, hat sich dagegen in den vergangenen 20 Jahren halbiert. Liegt das auch an der Ausbildung?

Abtreibungen sind kein regulärer Ausbildungsinhalt. Dabei wissen wir: Die, die lernen, Abbrüche durchzuführen, sind eher bereit, das später als Ärzte auch zu tun. Das ist international bekannt und durch Studien belegt. Die Kollegen, die noch aus der Zeit kamen, als Abtreibungen komplett verboten waren, denen die Notwendigkeit bewusst war, die treten langsam ab.

Die Generation junger Ärzte, die nachkommt, ist engagiert, muss das Thema aber vielerorts selbst in die Unis bringen, damit es überhaupt diskutiert wird. Das passiert oft durch selbst organisierte Workshops. Oft müssen sich Studierende diese Möglichkeit auch außerhalb der Unis suchen, beispielsweise bei Netzwerken wie "Doctors for Choice". Dabei geht es ja nicht darum, jemanden zu Abtreibungen zu zwingen – wenn ein Mitarbeiter aus Gewissensgründen keinen Abbruch durchführen will, gibt es diese Möglichkeit. Es geht darum, dass das Thema regulärer Ausbildungsinhalt wird.

Welche Auswirkungen hat dieser Ärztemangel für Schwangere, die sich einen Abbruch wünschen?

In der Praxis bedeutet das: Immer weniger Stellen führen Abbrüche noch durch. Viele Angebote brechen weg. Wir bieten die Eingriffe zwar an, müssen aber immer wieder Frauen abweisen. Der Ansturm ist groß. Viele suchen sich dann anderswo Hilfe, in den Niederlanden zum Beispiel. Andere landen dann später wieder bei uns. Das macht die Situation für die Schwangeren stressiger und komplizierter, was unnötig ist.

Wie weit ist Deutschland von einer guten Versorgung entfernt?

Noch weit. Deutschland gehört nicht zu den Ländern, in denen die Versorgungslage gut ist. Wenn die Bundesregierung den Vorschlag der Kommission umsetzt und sich die Gesetzeslage weiter liberalisiert, kann das gelingen.

 
 
 
 
 
 
 

Sie setzen sich seit Jahren öffentlich für das Recht auf Abtreibung ein. Wie nehmen Sie die aktuelle gesellschaftliche Stimmung dazu wahr?

Ich sehe zwei Seiten: Es gibt eine gesellschaftliche Akzeptanz, die wir auch durch die aktuelle Debatte wieder sehen. Die Gesellschaft ist liberaler, sie ist offen für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Das erlebe ich bei vielen Menschen, denen ich begegne, in diesen Tagen und auch damals bei der Debatte über den Paragrafen 219a. Andererseits gibt es aber ein Erstarken der Abtreibungsgegner, angetrieben durch einen erstarkenden Rechtspopulismus. Diese Leute sind international vernetzt und erhalten finanzielle Unterstützung. Sie wollen es den Einzelnen schwer machen.

Wie gehen Abtreibungsgegner in Deutschland vor?

Das geht von Geschmacklosigkeiten bis zu Drohungen. Heute Morgen hatte ich einen Plastik-Embryo im Briefkasten. Oft sind es auch Aufkleber oder Briefe: "Wir wissen, wo du wohnst oder wann du Geburtstag hast." Diese Leute wissen, dass sie meine Haltung nicht ändern werden, aber sie wollen zeigen, dass sie mich auf dem Schirm haben. Es ist inzwischen fast schon normal für uns, auch wenn man sich daran nie gewöhnen kann. Als es um Paragraf 219a ging, war die gefühlte Bedrohungslage für mich schlimmer, das war sehr akut. In den USA ist diese Debatte noch mal anders. Dort gibt es mehr Waffengewalt, dort wurden auch schon Mediziner erschossen.

Werden auch Frauen, die in Ihre Praxis kommen, angegangen?

Viele von denen, die diesen Eingriff durchführen lassen, werden stigmatisiert. Dabei geht es dann oft auch um die persönliche Belästigung derer, die in die Praxis oder die Beratungsstelle müssen. Die Leute wollen den Schwangeren Angst machen, und sie machen ihnen damit auch Angst.

Vor meiner Praxis dürfen sich diese Proteste nicht mehr versammeln, das hat die Stadt Gießen verboten. An anderen Stellen positionieren sie sich weiterhin und konfrontieren Schwangere und Ärzte.

Wie viel Hoffnung haben Sie für die Zukunft des Rechts auf Abtreibung in Deutschland?

Hoffnung habe ich immer. Ich denke, dass das Rad sich nicht zurückdreht – am Ende dreht es sich immer nach vorne. Ich weiß nur nicht, wann.

Frau Hänel, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Kristina Hänel
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