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AfD gegen den Verfassungsschutz in Münster: Absurde Szenen im Gericht


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AfD gegen Verfassungsschutz vor Gericht
Und dann reißt plötzlich der Geduldsfaden


Aktualisiert am 13.03.2024Lesedauer: 6 Min.
Roman Reusch: Der Ex-Oberstaatsanwalt sitzt im Bundesvorstand der AfD und vertritt ihn vor Gericht. Die Parteichefs Weidel und Chrupalla fehlen.Vergrößern des Bildes
Roman Reusch in Münster: Der Ex-Oberstaatsanwalt sitzt im Bundesvorstand der AfD und vertritt ihn vor Gericht. Die Parteichefs Weidel und Chrupalla fehlen. (Quelle: Thilo Schmuelgen/Reuters )
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Die AfD kämpft vor Gericht gegen den Verfassungsschutz – und nutzt dabei alle Mittel, um Zeit zu gewinnen. Dabei kommt es zu irrwitzigen Momenten.

Gegen Mittag reißt Rechtsanwalt Wolfgang Roth der Geduldsfaden. Er bleibt höflich, aber bestimmt im Ton: Die Art, wie hier Beweisanträge gestellt würden, "dient meines Erachtens lediglich der Prozessverschleppung", kritisiert der Anwalt des Verfassungsschutzes.

Mehr als drei Stunden dauert das Verfahren mit dem Titel "Alternative für Deutschland gegen Bundesrepublik Deutschland" da schon – passiert aber ist wenig. Nicht einmal die Klageanträge, üblicherweise der Start in ein Verfahren, sind verlesen.

Dabei soll es an diesem Dienstag vor dem Oberverwaltungsgericht Münster eigentlich um das Grundsätzliche gehen, um Fragen wie: Wie rechtsextrem ist die AfD? Darf der Verfassungsschutz die Gesamtpartei als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen, öffentlich so benennen und entsprechend beobachten?

Das Verwaltungsgericht Köln hatte schon 2022 entschieden: Der Verfassungsschutz darf. Die AfD ging daraufhin in Berufung. Deswegen ist nun das OVG in Münster dran – und das Interesse ist enorm. Das Verfahren wird nicht in einem Sitzungssaal geführt, sondern in der großen Eingangshalle des Gerichts. Rund 100 Medienvertreter sind akkreditiert, auch die Plätze für Besucher gut besetzt.

Eine Gruppe Jura-Studenten hat seit 7.15 Uhr vor der Tür gewartet, um Plätze zu ergattern. Ein gesellschaftspolitisch so relevantes Verfahren direkt vor der Haustür erlebe man schließlich nur selten, erklärt ein junger Mann mit Brille aus der Runde t-online.

Doch die Zeit für die grundsätzlichen, die großen Fragen ist knapp bemessen: Nur auf zwei Tage ist das Verfahren angesetzt. Und sehr lange geht es am Dienstag gar nicht um diese Fragen, nicht um die große demokratische Bedeutung. Die Anwälte der Kanzlei Höcker, die die AfD in Münster vertreten, eröffnen eine Reihe von Nebenschauplätzen, die viel Zeit fressen.

Gründlich wolle man arbeiten, betont AfD-Anwalt Christian Conrad immer wieder, die im Raum stehenden Fragen seien schließlich gewichtig. Viel eher aber drängt sich der Verdacht auf: Hier soll Zeit gewonnen werden – angesichts eines erwartbar schlechten Ausgangs des Verfahrens für die AfD.

Befangenheitsantrag gegen alle Richter

Zuerst stellt Conrad einen Antrag auf Vertagung des gesamten Verfahrens – Anfang Januar sei neues Material übermittelt worden, rund 4.200 Seiten Dokumente und 116 Stunden Videomaterial. Die Zeit habe nicht gereicht, um sich damit zu befassen. Das Argument aber ist nicht neu, die AfD hat es bereits vorab vorgetragen.

Als die Richter den Antrag ablehnen, wollen die AfD-Anwälte den gesamten Senat für befangen erklären – und anschließend die Öffentlichkeit für die Besprechung eines Sachverhalts ausschließen. Zwischenzeitlich müssen alle Besucher, inklusive der Presse, den Saal verlassen und vor der Tür im Nieselregen warten. Und immer wieder müssen die Richter die Bank und den Saal verlassen, die Treppe hochlaufen, sich besprechen, einen Beschluss fassen.

Die Entscheidung des Senats über die AfD-Anträge aber fällt immer gleich aus: abgelehnt, abgelehnt. Auch Anträge auf Befangenheit habe es bereits in den Wochen vor dem Verfahren gegeben, der Vorsitzende Richter Gerald Buck verweist darauf. "Rechtsmissbräuchlich" sei deswegen der Versuch, den gesamten Senat als befangen zu erklären, "pauschal und ohne Nennung individueller Gründe".

Scharfe Kommentare – und viele neue Zeugen

Lange bemühen sich die Anwälte der AfD auch, die aktuelle Einschätzung des Inlandsgeheimdienstes zur AfD in den Fokus zu stellen. Ende Februar hatte die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) nämlich berichtet, dass der Verfassungsschutz bereits seit Monaten an einem neuen Gutachten zur AfD arbeite, um sie vom Verdachtsfall, um den es hier in Münster geht, zur "gesichert rechtsextremistischen Bestrebung" hochzustufen – und nun beinahe damit fertig sei, nur noch auf Abschluss des Verfahrens in Münster warte.

Die Anwälte der AfD zitieren aus internem Schriftverkehr aus dem Verfassungsschutz. Vor circa zehn Monaten habe es da geheißen: Die Gliederung für das neue Gutachten sei abgestimmt, die Materialsammlung auch, die ersten drei Kapitel bereits geschrieben, "im Zeitraum November bis Dezember Abgabe AfD-Gutachten an die Amtsleitung". Rechtsanwalt Christian Conrad betont: "Das war vor 10 Monaten." Aus Sicht der AfD-Anwälte sei die pauschale Aussage, dass das Gutachten nicht fertig sei, so nicht haltbar.

Die – zumindest behauptete – Annahme der AfD-Anwälte: Die AfD werde vom Verfassungsschutz vielleicht eben nicht, wie die "SZ" berichtete, nach oben gestuft, zur gesichert rechtsextremistischen Bestrebung erklärt. Sondern im Gegenteil nach unten, zurück zur niedrigsten Beobachtungsstufe, dem sogenannten Prüffall. Eine Entwicklung, die selbst in der AfD niemand für wahrscheinlich hält.

Von Seiten des Verfassungsschutzes aber widerspricht man: Es gebe andere Vermerke, spätere, aus dem Oktober. "Das Gutachten ist noch nicht fertig", heißt es da. "Die Klägerin hätte weiterblättern können."

Dennoch geben die Anwälte der AfD zehn Zeugen aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz zu Protokoll, die sie im späteren Verlauf des Verfahrens zum noch nicht veröffentlichten Gutachten befragen wollen. Sie tun das ausführlich, langsam – jeder Beweisantrag zu jedem Zeugen wird einzeln vorgetragen, die Protokollantin muss sie Wort für Wort wiederholen. Und das, obwohl die Anträge alle wortgleich sind.

Es ist der Moment, in dem Wolfgang Roth kurz der Geduldsfaden reißt und er den Verdacht der "Prozessverschleppung" äußert.

AfD-Anwalt Conrad weist das weit von sich. Roths Einwurf bezeichnet er als "scharfen Kommentar", der Vertreter des Staates werfe mit Vorwürfen um sich. Interesse an einer Prozessverschleppung bestehe "natürlich" nicht. "Es geht nicht nur um die Klägerin an sich, sondern um die Demokratie", so Conrad.

Ähnlich wird es Carsten Hütter, Schatzmeister im Bundesvorstand der AfD, vor der Tür am Abend formulieren: "Das hat mit Verzögerungstaktik nichts zu tun", sagt er. Die Anträge seien wichtig, sie in Gänze vorzutragen relevant – selbst wenn sie wortgleich seien.

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Absurdes Zwischenspiel nach der Pause

Zu einem absurden Zwischenspiel, wie es wohl nur ein solches Verfahren liefern kann, kommt es am Mittag. Ein AfD-Anwalt will über einen "Vorfall in der Mittagspause" reden: Ein Sicherheitsmitarbeiter der AfD sei von einem Mann angesprochen worden, ob er nicht-öffentliche Informationen über die AfD liefern wolle – gegen Geld. Ein Zettel mit einer E-Mail-Adresse sei ihm zugesteckt worden. Der Verdacht auf Seiten der AfD: Hier habe womöglich ein Anwerbeversuch des Verfassungsschutzes stattgefunden, mitten im Verfahren.

"Wir wollen natürlich nicht unterstellen, dass dieser Vorfall auf die Beklagte zurückzuführen ist", sagt der Anwalt. "Gleichwohl fragen wir die Beklagte: Ist Ihnen etwas bekannt über diesen Vorfall?"

Anwalt Roth kann sich ein Schmunzeln da nicht ganz verkneifen. "Also ich war es nicht", sagt er. "Ein solches Vorgehen wäre in einem Maße dilettantisch." Die führenden Köpfe des Verfassungsschutzes, die rund um Roth an zwei langen Tischen verteilt sitzen, bestätigen: Der Verfassungsschutz habe nichts mit dem Vorfall zu tun.

Der zugesteckte Zettel wird dennoch an der Richterbank von allen Seiten begutachtet, für alle Prozessbeteiligten kopiert, den Akten hinzugefügt.

AfD hat "recht positiven Eindruck vom Gericht"

Um 18 Uhr hat man erst rund die Hälfte der Punkte auf der Tagesordnung geschafft. Manch ein Justizbeamter im Saal gähnt hinter vorgehaltener Hand, die Journalisten versorgen sich mit Kaffee in Pappbechern. Richter Gerald Buck aber bleibt stets geduldig, freundlich.

Manchmal weist er darauf hin, dass die AfD bestimmte Anträge ja bereits schriftlich vorgelegt habe, man die Argumentation gelesen habe. "Aber das soll sie natürlich nicht limitieren", sagt er dann. Oder: "Natürlich ist das Ihr Beweisantrag, fahren Sie fort."

Bei der AfD wird das positiv aufgenommen. Von den sonst oft in der Partei kursierenden Vorwürfen, die Gerichtsbarkeit sei parteiisch, der Ausgang des Verfahrens allein deswegen schon gesetzt, ist in Münster an diesem Tag nichts zu hören.

"Ich habe einen recht positiven Eindruck vom Gericht", sagt Roman Reusch, der im AfD-Bundesvorstand sitzt und das Verfahren für die Partei betreut. "Die hören uns zu und vermitteln zumindest den Eindruck, dass sie nicht nur so tun, als würden sie zuhören."

Ob die Befangenheitsanträge gegen die Richter zu Anfang falsch gewesen seien? "Das gehört zum Standardprozedere", sagt Reusch.

Es ist ein Prozedere, das es vermutlich unmöglich machen wird, dass in den bisher für das Verfahren anberaumten zwei Tagen ein Urteil fallen kann. Denn um 19.30 Uhr, kurz vor Schluss für diesen Tag, kündigen die AfD-Anwälte an: Womöglich wolle man morgen 210 Beweisanträge einbringen.

Auch die "Netto-Antragszeit" habe man dafür schon kalkuliert: 25 Stunden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
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