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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Habecks Staatssekretär Michael Kellner "Der Drops ist gelutscht"
Die Ampel ist unbeliebt, die Wirtschaft schwächelt und die AfD ist stark vor den Wahlen im Osten. Was läuft da gerade schief? Ein Gespräch mit einem Politiker, der es wissen müsste.
Michael Kellner ist ein Mann für die großen Linien. Als politischer Bundesgeschäftsführer hat er jahrelang an der Strategie gearbeitet, die Grünen wieder in die Bundesregierung zu bringen. Dort sind sie nun seit mehr als zwei Jahren angekommen. Und er ist mittendrin.
Kellner ging mit Vizekanzler Robert Habeck ins Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, wo der Grünen-Politiker nun als Parlamentarischer Staatssekretär komplizierte Probleme im Regierungsalltag lösen muss. Zum Beispiel, den Kohleausstieg in der Lausitz vorzuziehen.
Im Interview mit t-online spricht Kellner darüber, wie die Wirtschaft wieder in Schwung kommt, wie die Politik Vertrauen zurückgewinnen kann und warum er bei den Wahlen in Ostdeutschland mit Überraschungen rechnet.
t-online: Herr Kellner, noch nie waren so viele Menschen unzufrieden mit der Ampelregierung. Laut "Politbarometer" finden 69 Prozent, dass sie schlechte Arbeit leistet. Können Sie das verstehen?
Michael Kellner: Klar. Die Ampel ist zwar besser als ihr Ruf und hat viele Herausforderungen gemeistert. Aber zugleich haben wir uns nicht immer als Fortschrittskoalition präsentiert. Immer wieder wurden Konflikte, die es bei unterschiedlichen Parteien natürlich gibt, zu sehr öffentlich geführt. Das merken die Leute natürlich.
Aber solche Werte können doch nicht nur am Auftreten liegen?
Nein. Jede Regierung wäre in schwerem Fahrwasser, weil die Aufgaben so gewaltig sind. Die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine, die Eskalation im Nahen Osten, die Erneuerung unseres Wohlstands. Das führt zu riesiger Verunsicherung der Menschen und hohen Erwartungen an die Politik.
Stratege und Staatssekretär
Michael Kellner, 46 Jahre, ist in Gera geboren und trat 1997 der Partei Bündnis 90/Die Grünen bei. Er arbeitete seit 2013 als politischer Bundesgeschäftsführer in der Parteispitze der Grünen. Nach der Bundestagswahl 2021 wechselte er als Parlamentarischer Staatssekretär ins Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, ist Mittelstandsbeauftragter und Ansprechpartner für die Kultur- und Kreativwirtschaft.
Aber die Frage bleibt: Reichen die Antworten der Bundesregierung auf die Krisen aus? Der deutschen Wirtschaft geht es bescheiden. Im vergangenen Quartal ist sie um 0,3 Prozent geschrumpft. Der IWF traut ihr für dieses Jahr nur noch ein Miniwachstum von 0,5 Prozent zu – international der letzte Platz. Die nächsten Jahre soll es nur unwesentlich besser werden.
Positiv gesagt: Wir haben das Land viel besser durch die Krisen gebracht, als es die Schwarzmaler vorhergesagt haben. Wir sind schnell unabhängig von russischer Energie geworden und treiben die klimaneutrale Transformation der Wirtschaft jeden Tag voran. Auch beim Kampf gegen den Fachkräftemangel haben wir viel getan.
Aber?
Erstens wirkt der Wegfall des russischen Gases noch immer nach. Zweitens ist Deutschland eine Exportnation – das heißt, wenn die Wirtschaft in China schwächelt, spüren wir das auch hier. Drittens: Es gibt berechtigte Kritik, weil alles nicht schnell genug geht. Das kann ich nachvollziehen. Wir haben als Regierung viel für schnellere Verfahren und für den Bürokratieabbau getan. Bei uns im Wirtschaftsministerium haben wir zum Beispiel Praxis-Checks eingeführt, damit es für Unternehmen in der Praxis wirklich besser wird. Aber natürlich ist das ein verdammt dickes Brett und man braucht langen Atem. Da würde ich mich freuen, wenn andere Ministerien nachziehen.
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Gibt es ein viertens?
Wir spüren durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass wir weniger Geld haben. Auch das ist ein Problem. Aber wir müssen uns entscheiden, ob wir uns in Schwarzmalerei ergehen wollen, oder nach vorn gehen. Es braucht mehr Tempo. Aber es gibt auch gute Gründe für Zuversicht. Gerade wenn ich sehe, was Unternehmen alles auf den Weg bringen oder wie gut der Ausbau der erneuerbaren Energien läuft.
Ökonomen mahnen auch mehr Investitionen an. Ihr Minister Robert Habeck hat jetzt ein schuldenfinanziertes Sondervermögen vorgeschlagen, um die Wirtschaft steuerlich weiter zu entlasten. Braucht's das?
Wir brauchen deutlich mehr Investitionen und wir müssen dafür auch Investitionshemmnisse beseitigen. Deshalb wäre es eine Idee, wie in den USA durch Steuererleichterungen – etwa Steuergutschriften, oder unbürokratische Investitionsförderung – private Investitionen anzureizen. Das muss man natürlich finanzieren, und ein Weg könne ein Sondervermögen sein. Das haben auch schon eine Reihe von Ökonomen angeregt, und ich finde das interessant. Genauso wird über eine Reform der Schuldenbremse debattiert.
Die haben gerade auch die Wirtschaftsweisen einstimmig gefordert.
Genau. Es ist doch bemerkenswert, dass das nicht mehr nur linke, sondern auch konservative Ökonomen fordern. Die Reform der Schuldenbremse wird aber gerade von der Union lauthals blockiert …
… und von der FDP. Die findet Schulden für ein Sondervermögen auch nicht gut.
Ja, und dabei sind zwei Dinge für mich klar. Erstens verstehe ich die Sorge, dass der Staat das Geld für irgendwas verprasst. Gerade deshalb ist es eine gute Idee, das eng zu begrenzen auf Zukunftsinvestitionen. Zweitens gilt der Koalitionsvertrag. Dennoch denke ich, dass wir über den Tag hinaus denken müssen und uns fragen müssen, wie wir in Zukunft die großen Investitionen stemmen. Ich bin leidenschaftslos, ob das Mittel ein Sondervermögen oder die Reform der Schuldenbremse ist. Was klar ist: Einfach nur abzuwarten wäre gefährlich.
Wie viel Geld braucht es?
Es gibt einen riesigen Investitionsbedarf, allein beim Erhalt und dem Ausbau der Infrastruktur. Da ist in den letzten Jahrzehnten viel zu wenig geschehen. Hier geht es um einen Investitionsrückstau in dreistelliger Milliardenhöhe in Bund, Ländern und vor allem den Kommunen. Und daneben müssen wir Anreize schaffen für mehr private Investitionen in Deutschland, auch dazu brauchen wir viel Kapital. Das sind aber alles Investitionen in die Zukunft, Investitionen, die sich später wieder auszahlen werden. Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir Wege finden, wie wir mit der Schuldenbremse umgehen.
Droht der Klimaschutz in dieser politischen und wirtschaftlichen Lage unter die Räder zu kommen?
Nein. Bei der Energiewende kommen wir sehr gut voran. Die Unternehmen haben sich entschieden, die wollen klimaneutral investieren. Sie machen sich eher Sorgen, ob der Staat sie ausreichend unterstützen kann. Dafür braucht es eine sichere Finanzierung. Die Investitionsvorhaben, insbesondere auch in Ostdeutschland, konnten wir sichern. Das war mir auch persönlich wichtig.
In der Gesellschaft ist der Klimaschutz aber längst kein so wichtiges Anliegen mehr wie vor ein paar Jahren. Und die Menschen braucht es ja auch. Wie sehr hat das Heizungsgesetz geschadet?
Die Debatten ums Heizungsgesetz waren hart. Das hat gezeigt, dass wir um das Tempo und Maß ringen müssen. Aber ich finde, dass wir am Ende einen guten Kompromiss gefunden haben, der pragmatisch ist und den Übergang ermöglicht. Ich hoffe, man wird in zehn Jahren zurückschauen und sagen: Das war eine entscheidende Reform für die Wärmewende. Aber es ist auch verständlich, dass andere Themen erst mal wichtiger erscheinen, wenn Krieg vor der Haustür herrscht.
Ein Klimageld, das zwischen Stadt und Land gestaffelt ist, finde ich eine kluge Idee.
Michael Kellner
Wie kann man die Akzeptanz wiederherstellen?
Zum Beispiel mit sozial gerechter Förderung. Beim Heizungsgesetz gibt es auf die Grundförderung von 30 Prozent noch einmal 30 Prozent drauf für Menschen mit einem Jahreseinkommen unter 40.000 Euro. So müssen wir das auch bei anderen Ausgleichszahlungen gestalten.
Woran denken Sie?
An das Klimageld. Die Grünen hatten ursprünglich eine Pro-Kopf-Pauschale vorgeschlagen, jeder sollte gleich viel bekommen. Ich finde, wir sollten nach der Debatte ums Heizungsgesetz darüber nachdenken, ob es nicht klügere Modelle gibt.
Zum Beispiel?
In Österreich bekommen die Wiener deutlich weniger Klimageld als Menschen, die auf dem Land leben. Weil die Österreicher sagen: Wer einen guten öffentlichen Nahverkehr hat, braucht weniger Ausgleichszahlungen. Also ein Klimageld, das zwischen Stadt und Land gestaffelt ist, finde ich eine kluge Idee. Es wäre auch denkbar, höhere Summen an Menschen mit geringerem Einkommen zu zahlen. Das alles sind interessante Ansätze, über die man mal nachdenken sollte.
Halten Sie es für realistisch, dass ab 2025 ein Klimageld ausgezahlt wird?
Ich persönlich fände das super. Aber dann müsste auch der Auszahlungsmechanismus einwandfrei funktionieren. Was ja in keinem Fall passieren darf, ist, dass Menschen auf Geld hoffen und dann hakt es an der Auszahlung. Und natürlich müssen wir auch das Geld dafür haben. Das sehe ich für den Haushalt 2025 mit all seinen Zwängen nicht. Ich denke eher, dass es im Bundestagswahlkampf eine Debatte um das beste Konzept geben wird.
Sie sind in Gera geboren, wohnen in Brandenburg und sind viel im Osten Deutschlands unterwegs. Wie erklären Sie sich, dass die AfD vor den Landtagswahlen im Herbst in Sachsen, Thüringen und Brandenburg mit über 30 Prozent scheinbar uneinholbar vorne liegt?
Die Stimmung in Ostdeutschland ist wahnsinnig sprunghaft. Umfragewerte haben dort weniger Wert als anderswo. Und in den vergangenen Wochen haben wir auch im Osten große Demonstrationen gesehen, die sich gegen das Bild des blau-braunen Ostens wenden. Nicht nur in Leipzig und Jena, sondern in Gera, Wittstock, Lübben, Eberswalde. Da bewegt sich was. Deshalb ist sehr offen, wie diese Wahlen ausgehen.
Das heißt, Sie halten es nicht für ausgemacht, dass die AfD in den drei Ländern auf Platz eins landet?
Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Es gibt dort ein großes Erschrecken über die enthüllten Deportationspläne. Die Demonstrationen machen mir große Hoffnung. Ich denke, es wird positive Überraschungen geben.
Die Proteste gehen von der Zivilgesellschaft aus. Die demokratischen Parteien scheinen mir ziemlich ratlos zu sein. Was können sie tun?
Wir müssen Probleme lösen. Eine Politik machen, die hilft und sichtbare Ergebnisse hervorbringt. Und die politischen Mitbewerber sollten aufpassen, nicht nur Panik zu schüren. Das schadet dem Standort und damit allen. Die Ampel hat viel Gutes geschafft für den Osten, auch wenn das nicht von allen gesehen wird.
Zum Beispiel?
Es hat sich unglaublich viel Industrie angesiedelt. In den Kohleregionen sind mehr neue Jobs entstanden, als alte verschwunden sind. Unternehmen haben eher die Sorge, dass sie nicht genügend Leute finden. Der Osten hat durch seine Flächen riesige Vorteile für erneuerbare Energien und Unternehmen, die darauf angewiesen sind. Wir haben dafür gesorgt, dass Kommunen Geld dafür bekommen, wenn ein Windrad bei ihnen gebaut wird. Und auch von der Erhöhung des Mindestlohns profitiert der Osten besonders stark. Um einige Beispiele zu nennen.
Warum ist die Stimmung dann trotzdem so, wie sie ist?
Das Hauptproblem für die Politik in Ostdeutschland ist, dass die Menschen keinem Versprechen mehr trauen. Das ist beinhart. Sie müssen erst sehen, dass wirklich etwas passiert. In der Lausitz haben die Leute nicht geglaubt, dass das Geld für den Kohleausstieg ankommt, bis das Bahnwerk in Cottbus als Baustelle stand. Jetzt haben wir es eröffnet.
Der Drops ist gelutscht. Kohlekraftwerke werden sich lange vor 2038 am Markt nicht mehr rechnen.
Michael Kellner
Ihre Grünen stehen in Brandenburg und Sachsen bei 7 oder 8 Prozent. In Thüringen kann es sein, dass sie nicht wieder in den Landtag einziehen. Das ist eher nicht der Aufschwung, den die Grünen im Osten seit vielen Jahren erreichen wollen. Was läuft falsch?
Angesichts der harten Attacken gegen uns ist erst mal bemerkenswert, wie stabil die Werte sind. Wir haben jetzt die Chance, für den anderen Osten zu stehen. Dafür dürfen wir uns nicht in die Großstädte und die Speckgürtel zurückziehen. Das wäre grundfalsch. Wir dürfen nicht nachlassen mit der Politik für ländliche Räume. Dass Kommunen jetzt Geld für Erneuerbare bekommen, ist ein gutes Beispiel.
Ist es angesichts der politischen Lage die richtige Strategie, offensiv am Plan festzuhalten, den Kohleausstieg in der Lausitz auf 2030 vorzuziehen?
Ich bin überzeugt: Der Drops ist gelutscht. Kohlekraftwerke werden sich lange vor 2038 am Markt nicht mehr rechnen. Der Zubau von Erneuerbaren ist rasant, zugleich wurde letztes Jahr so wenig Kohle verstromt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Das wird weitergehen. Es wird einen marktgetriebenen Kohleausstieg geben, da könnte ich einfach zuschauen.
Warum tun Sie es dann nicht?
Weil einfach zuzuschauen zwei Preise hätte: Die Sozialleistungen für die Beschäftigten hängen an einem geregelten Kohleausstieg. Die Länder haben zusätzlich das Problem, wie sie mit den Ewigkeitslasten der Braunkohle umgehen, also den Folgekosten des Bergbaus. Da kann es ein böses Erwachen geben.
Also kommt der Kohleausstieg 2030 in der Lausitz?
Wir sind bereit, darüber mit den Landesregierungen zu reden. Die wollen das aber nicht. Ihnen fehlt die Kraft, weil sie fürchten, dass es Aufregung und Unmut erzeugt. Sie stecken den Kopf in den Sand. Ich bin aber überzeugt, dass es da noch ein Umdenken geben wird. Allerdings erst nach den Landtagswahlen.
Herr Kellner, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Michael Kellner im Bundestag