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Zum journalistischen Leitbild von t-online.CDU-Politiker zu AfD-Verbotsverfahren "Das war für die AfD ein Sauerstoffzelt"
Sollte die AfD verboten werden? Ja, sagt Marco Wanderwitz. Der CDU-Politiker sucht im Bundestag Mitstreiter. Mit 100 Abgeordneten habe er schon gesprochen, berichtet er im Interview mit t-online.
Marco Wanderwitz ist dieser Tage ein viel gefragter Mann. Er sei gerade auf dem Weg zum Berliner Flughafen, erzählt er, um nach Köln zur RTL-Sendung "Stern TV" zu fliegen. Wanderwitz ruft aus dem Auto an. Gerade eben habe er noch mit einer niederländischen Journalistin zum AfD-Verbotsverfahren gesprochen. Zwanzig Minuten Zeit hat er trotzdem. Dann muss er in die Sicherheitskontrolle.
Der sächsische Bundestagsabgeordnete der CDU war einer der Ersten, die öffentlich ein Verbotsverfahren der AfD befürworteten. Seit Monaten sucht er im Bundestag Mitstreiter. Sollte sich die Mehrheit dafür entscheiden, müsste das Bundesverfassungsgericht das Verbot prüfen.
Mit mehr als 100 Abgeordneten habe er bereits gesprochen, die Mehrheit für ein Verbot wachse immer weiter, sagt er. Wie sieht sein Plan aus? Und wann wird es konkreter? Das erklärt Marco Wanderwitz im Interview mit t-online.
t-online: Herr Wanderwitz, welcher Moment hat Sie veranlasst zu sagen, dass die AfD verboten werden sollte?
Marco Wanderwitz: Den Ausschlag hat für mich der vergangene Bundestagswahlkampf gegeben. In Sachsen wurde der mit einer unglaublichen Härte geführt. Mit dem Krieg in der Ukraine kam dann die nächste internationale Krise hinzu, die wieder wie ein Sauerstoffzelt für die AfD gewirkt hat. Mir ist in der Zeit der Glaube verloren gegangen, dass wir ihrer mit Bordmitteln Herr werden. Und sie ist eben rechtsradikal.
Wie weit sind Sie mit Ihren Plänen?
Seit Herbst vergangenen Jahres führe ich Einzelgespräche mit Kolleginnen und Kollegen aus allen demokratischen Fraktionen. Pro Sitzungswoche, in der wir alle in Berlin sind, schaffe ich allerdings maximal zehn bis 15 Gespräche. Ich wünschte, es wären mehr, aber wir haben ja auch noch anderes zu tun.
Mit wie vielen haben Sie insgesamt gesprochen?
Genau kann ich das nicht sagen, aber etwa 100 müssten das sein.
Und wie viele davon konnten Sie als Mitstreiter gewinnen?
Ich habe für mich persönlich und mit den Kolleginnen und Kollegen vereinbart, dass wir keine Wasserstandsmeldungen abgeben. Es gibt zwei Hürden: Für die Einbringung des Eintrags zum Verbot einer Partei braucht es fünf Prozent der Bundestagsmitglieder, das sind 37 Abgeordnete. Ich bin sehr optimistisch, dass wir diese Schwelle problemlos überschreiten. Die größere Hürde ist dann die Mehrheit im Plenum. So viel kann ich sagen: Die Zahl der Unterstützer ist am Wachsen.
Zur Person
Marco Wanderwitz kommt gebürtig aus Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz. Er ist gelernter Rechtsanwalt. Seit 2002 sitzt er für die CDU im Bundestag. Zwischen 2018 und 2020 war er Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium, danach war er bis zur Bundestagswahl Ostbeauftragter der Bundesregierung. Heute ist Wanderwitz stellvertretender Vorsitzender im Kultur- und Medienausschuss.
Wenn Sie schon genügend Unterstützer haben, worauf warten Sie noch?
Es ist seit den "Correctiv"-Recherchen sehr dynamisch. Wenn sich nun beispielsweise die Bundesregierung oder regierungstragende Fraktionen an die Spitze der Bewegung setzen würden, wäre viel erreicht. Ich persönlich warte auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münsters, das darüber entscheidet, ob die AfD bundesweit vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft werden darf. Das würde unser Vorhaben noch einmal stärken.
Ihre Strategie ist also, im Hintergrund Gespräche zu führen, bis Sie sich einer Mehrheit im Plenum sicher wähnen können?
Es wäre natürlich gut, wenn meine Fraktion und die Ampelfraktionen sich gemeinsam für den Verbotsantrag aussprechen würden. Dann hätten wir Gewissheit. Ich weiß nicht, ob das gelingen kann, aber ich bin wild entschlossen, dass wir eine Mehrheit bekommen. Und ich bin viel optimistischer, dass es gelingt, als ich es noch vor einigen Monaten war. Zunächst geht es um die Einbringung.
Ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz hat sich im Sommer noch klar gegen ein AfD-Verbot ausgesprochen, nun klingt er etwas unentschiedener. Bei ihm werben Sie also auch?
Ja, wir sprechen. Friedrich Merz ist sehr sensibel und empfänglich für die Veränderungen, die es seit dem vergangenen Sommer gegeben hat. In der Zwischenzeit wurde die AfD beispielsweise in Sachsen und Sachsen-Anhalt als "gesichert rechtsextrem" eingestuft. Jetzt werden neue Umtriebe öffentlich. Eine weitere Radikalisierung der AfD ist mit Händen zu greifen.
Die Gegner eines Verbotsantrags, darunter auch Ihr Nachfolger im Amt des Ostbeauftragten, Carsten Schneider, sagen, ein Verbot würde zu einer "noch größeren Solidarisierung" führen. Sie fordern, man müsse die Partei politisch stellen. Was sagen Sie denen?
Damit waren wir in den vergangenen Jahren – alle miteinander – leider nicht übermäßig erfolgreich. Das ist, als würde man in einem brennenden Haus stehen und, statt die Feuerwehr zu rufen, mit den Brandstiftern debattieren, ob sie sich am Löschen beteiligen.
Die Umfragewerte für die AfD steigen immer weiter. Im Juni sind Europawahlen, im Herbst drei Wahlen im Osten. Für diese käme ein Verbot zu spät.
Selbst für die kommende Bundestagswahl käme ein Verbot zu spät. So ein Verfahren würde bis zu zwei Jahre dauern, manche sagen drei. Und Wahlen sind immer irgendwo. Ich kann nichts dafür, dass es so lange dauert, aber irgendwann müssen wir endlich beginnen.
Ist die AfD nicht schon zu stark für ein Verbot?
Das Argument, dass jemand, zumindest in einzelnen Ländern, kurz vor der Machtübernahme stehe und zu groß sei, will mir absolut nicht einleuchten. Die vergangenen Monate hieß es ständig: Wir warten mal ab, ob die sich wirklich weiter radikalisieren und zulegen. Jetzt sagen dieselben Leute, die AfD sei zu stark für ein Verbotsverfahren. Die Gefahr ist doch nur größer geworden. Wir müssen jetzt endlich handeln.
Was, wenn das Verbotsverfahren wie bei der NPD scheitert? Oder sind Sie sich komplett sicher?
Bei einem so komplexen und speziellen Verfahren kann man sich nie komplett sicher sein. Die Mehrheit der Juristen allerdings – und ich bin selbst einer davon – sind sich ziemlich sicher, dass mindestens ein Teilverbot möglich sein wird.
Das heißt, ein Verbot von einzelnen Landesverbänden?
Zum Beispiel. Möglich wäre auch der Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung. Das wären beachtliche Teilerfolge. Möglich ist ja auch noch eine weitere Radikalisierung der Partei.
Was meinen Sie damit?
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts orientiert sich an dem Zustand der Partei zum Zeitpunkt des Richterspruchs – sprich: in vielleicht eineinhalb bis zwei Jahren. In meiner Heimat stellt die AfD zur sächsischen Landtagswahl jetzt bereits einen Neonazi auf. Wenn die Radikalisierung der AfD in dem Tempo weitergeht wie bisher, ist noch einiges im Köcher.
Selbst wenn die AfD verboten wird, die Wähler bleiben. Können die demokratischen Parteien sie wieder für sich gewinnen?
Ein Teil der AfD-Wähler wird den Richterspruch akzeptieren, weil das Bundesverfassungsgericht in der Bevölkerung sehr anerkannt ist. Sobald die Partei verboten ist, wären diese Menschen wieder für uns erreichbar. Viele sind in ihren Argumentationskammern gefangen, die ihnen die AfD bietet, die sie ständig neu befüllt. Studien sagen uns seit Jahren, dass etwa zehn Prozent der Bevölkerung ein abgeschlossen rechtsextremes Weltbild haben. Die werden sich neu umschauen und wohl eine neue Heimat außerhalb des demokratischen Spektrums finden.
Was haben Sie dann gewonnen?
Ich kann nicht ändern, dass die Zahlen so hoch sind. Das Aufwachsen der Rechtsextremen im parlamentarischen Raum aber wäre zurückgesetzt, die AfD erlösche. Wir verschaffen uns damit eine Atempause.
Aktuell gehen deutschlandweit Zehntausende auf die Straße, um gegen die AfD zu demonstrieren. Entspinnt sich gerade ein Momentum oder wird die Zivilgesellschaft in wenigen Tagen wieder schweigen?
Es gab schon vor einigen Monaten Mutige, beispielsweise Künstler und Wissenschaftler, die sich klar geäußert haben, und es werden immer mehr. Die Demos, beispielsweise in Köln und Leipzig, können etwas bewegen. Ich wünsche mir sehr, dass die Recherchen von "Correctiv" der entscheidende Funke waren, um die Massen zu mobilisieren. Ich bin auch da optimistisch.
Herr Wanderwitz, vielen Dank für das Gespräch.
- Telefonat mit Marco Wanderwitz am 17. Januar 2024