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Seyran Ateş schließt liberale Moschee: Leben unter permanenter Bedrohung


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Anschlagspläne auf Seyran Ateş
"Ich mache keinen Schritt mehr ohne Personenschutz"

  • Jonas Mueller-Töwe
InterviewVon Jonas Mueller-Töwe

Aktualisiert am 25.10.2023Lesedauer: 5 Min.
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Die Menschenrechtlerin Seyran Ateş in ihrer Moschee in Berlin: "Durch diesen Staat kann ich sagen, was ich denke. Er verteidigt meine Freiheit seit vielen Jahren Tag für Tag." (Quelle: Sean Gallup/getty-images-bilder)

In einer mutmaßlichen Terrorzelle kursierten Bilder ihrer liberalen Moschee – nun schließt Seyran Ateş das Projekt vorerst. Im Interview spricht sie über das Leben unter permanenter Bedrohung.

Vor wenigen Tagen berichtete t-online exklusiv über mutmaßliche Anschlagspläne auf die liberale Moschee von Seyran Ateş in Berlin. Eine im Juli aufgeflogene mutmaßliche Terrorzelle mit Verbindungen zum sogenannten Islamischen Staat Provinz Khorasan hatte sie im Visier. Nun haben die Gründerin und ihre Mitarbeiter beschlossen: Vorerst bleiben die Türen verriegelt. Die Gefahr für die Mitarbeiter sei zu groß.

Im Interview mit t-online spricht Ateş über die Bedrohung jüdischen Lebens in Deutschland durch radikale Muslime, über die Gefahren für ihre liberale Gemeinde und über ihr Leben unter Polizeischutz. Sie macht Schuldige nicht nur unter den Gewalttätern selbst aus.

t-online: Frau Ateş, Ihre Moschee in Berlin hat gerade bekannt gegeben zu schließen. Wie kam es zu der Entscheidung?

Seyran Ateş: Wir haben bis auf Weiteres geschlossen. Bis Ende nächsten Jahres wollen wir auf jeden Fall noch existieren. Wir müssen uns allerdings ein neues Konzept überlegen. Die Gefährdungslage war immer sehr hoch. Deshalb habe ich seit Jahren Personenschutz. Den haben aber Mitarbeiter und Gemeinde nicht. Wir haben nun eine besondere Situation: Weil wir uns solidarisch mit Israel erklärt haben, sind wir wieder verstärkt Anfeindungen ausgesetzt.

Was ist dieses Mal anders?

Zeitgleich habe ich erfahren, dass der Islamische Staat schon länger auf uns aufmerksam geworden ist und es Anschlagsplanungen gab. Deswegen haben die Mitarbeiter und ich nun diese Entscheidung getroffen, ähnlich wie die verschiedenen jüdischen Einrichtungen. Wir sind mit unserer Kraft in diesem Moment am Ende.

Hat das auch mit dem Angriff der Hamas auf Israel zu tun?

Dieses Land hat versprochen, das Existenzrecht Israels und das jüdische Leben in Deutschland zu schützen. Trotzdem fühlen sich Juden hier nicht sicher, weil junge Muslime in einen regelrechten Blutrausch verfallen. Das macht mich sehr betroffen. Die gleichen Menschen bedrohen auch mich und unsere Gemeinde.

Ist die Schließung vorübergehend oder wird die Moschee wieder öffnen?

Ob wir tatsächlich aufgeben und nur noch dezentrale Bildungsarbeit machen, werden wir im Laufe des nächsten Jahres entscheiden. Die allermeisten Muslime in Deutschland praktizieren einen liberalen Islam wie wir in unserer Moschee. Allerdings sehr privat und ohne feste Anlaufstelle, versteckt sozusagen.

Wir sind deswegen bis heute überzeugt, dass es so einen Ort geben muss, an dem diese Menschen sichtbar werden. Konservative Verbände sollten nicht die Deutungshoheit über den Islam in Deutschland haben.

Welche Rolle spielen konservative Muslime dabei, dass Ihre Moschee immer wieder bedroht wird?

Orthodoxe und viele Konservative haben natürlich sehr aggressiv reagiert auf die Gründung der Moschee 2017. Zum Beispiel das türkische Präsidium für Religionsangelegenheiten, die Diyanet, und damit natürlich auch sein deutscher Ableger Ditib. Und das ägyptische Fatwa-Amt, das Dar al-Ifta. Und das Islamische Zentrum in Hamburg, das vom Verfassungsschutz als Instrument des Iran bezeichnet wird. Das alles war zu erwarten. Das war es aber nicht allein.

Sondern?

Ich hatte diese naive Vorstellung, dass Leute sich mit uns verbünden würden, die sich als Vermittler begreifen. Stattdessen zeigten sogenannte friedliche Konservative und Liberale mit dem Finger auf uns und markierten uns damit als Ziel für Gewalttäter.

An wen denken Sie, wenn Sie das nun etwas abstrakt umschreiben?

Zum Beispiel an einen muslimischen CDU-Politiker aus Hessen und an die Deutsche Islam Akademie in Berlin. Oder auch an den Liberal-Islamischen Bund. Gerade die Vorsitzende Lamya Kaddor, heute SPD-Bundestagsabgeordnete, lässt keine Gelegenheit aus, gegen uns zu wettern.

Aber aus der Politik werden Sie unterstützt?

Aktuell werden wir vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und seinem Team politisch stark unterstützt. Ich hätte allerdings nie gedacht, dass im liberalen und linken Berlin erst eine konservative Regierung kommen musste, damit eine liberale Moschee Anerkennung in der Landesregierung erfährt.

Was heißt das?

Es ist unfassbar, wie aus der Politik gegen uns Stimmung gemacht wurde. Ich denke da an den SPD-Vorsitzenden Raed Saleh und an Sawsan Chebli. Auch die damalige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hat uns fallen lassen. Die Grünen-Abgeordnete Bettina Jarasch verbreitete, ich würde mit Rechten kooperieren, weil ich einen Vortrag bei der FPÖ-Akademie gehalten habe.

War da etwas dran?

Ich habe mein ganzes Leben lang versucht, mit Leuten anderer Ansichten in den Dialog zu treten. Ich habe mit erzkonservativen Muslimen gesprochen: mit Milli Görus, mit der Ditib, mit den Grauen Wölfen und vielen anderen. Kritisiert wurde nur mein Vortrag bei der FPÖ. Politiker sprachen uns ab, dass es uns um die Sache ging. Wir seien eine "Provokation" für Muslime. "Islamhasser" wurden wir genannt.

Wie kam es überhaupt an diesen Punkt?

Wegen meines Einsatzes als Anwältin gegen Zwangsheiraten und Ehrenmorde stand ich bereits seit 2006 unter Polizeischutz. Die Drohungen haben mir damals den Boden unter den Füßen weggerissen. Ich war am Ende und musste meine Kanzlei schließen, habe mich zurückgezogen. Aber die Themen haben mich nicht losgelassen, auch die Schicksale der Frauen nicht. Es geht nicht, dass wir immer nur im Privaten und Anonymen unsere Zuflucht suchen. Ich habe also Bücher geschrieben und schließlich 2017 diese Moschee gegründet.

Welche Folgen hatte das?

Mit Beleidigungen und Drohungen hatte ich in all den Jahren gelernt umzugehen, weil ich beschützt wurde. Mit der Moschee hat all das aber eine neue Dimension erreicht. Besonders schlimm wurde es, als wir als erste Moschee weltweit die Regenbogenfahne gehisst haben und eine Anlaufstelle für queere Muslime eingerichtet haben.

Was hat sich damals geändert?

Bis dahin waren die Anfeindungen weitgehend auf den deutschsprachigen Raum begrenzt. Dann erreichte das Ganze Gruppierungen in den islamischen Ländern selbst. Seitdem kümmert sich ein eigenes Team des Landeskriminalamts um mich.

Was bedeutet das?

Ich mache keinen Schritt mehr ohne Personenschutz.

Wie schränkt das Ihre Freiheit ein?

Ich bin sehr häuslich geworden, das ist notwendig, und trotzdem lebe ich damit in einem sehr harmonischen Frieden. Der Personenschutz gewährt mir den Luxus, frei zu denken und zu sprechen. Das ist so viel mehr wert als meine physische Freiheit. Ich bete jeden Tag für die Beamten. Ich bin voller Dankbarkeit für meine Schutzengel und dieses Land.

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Sind Sie nie wütend?

Ich bin wütend auf alle, die die Demokratie bekämpfen. Denn ich erlebe jeden Tag in meinem Leben, was wehrhafte Demokratie und Rechtsstaat bedeuten. Durch diesen Staat kann ich sagen, was ich denke. Er verteidigt meine Freiheit seit vielen Jahren Tag für Tag. Und hat es möglich gemacht, dass wir Menschen sehr konkret helfen konnten.

Wie meinen Sie das?

Viele haben sich zum Beispiel bei der Anlaufstelle für LGBTIQ+-Muslime gemeldet und waren dankbar, dass wir da sind. Unsere "Liebe ist halal"-Kampagne hat Menschen Mut gemacht. Junge Menschen haben kurz vorm Suizid gestanden, weil sie muslimisch und schwul sind oder weil sie die Liebe ihres Lebens nicht heiraten konnten wegen unterschiedlicher Konfessionen. Es hat sich also aus unserer Sicht gelohnt, ein gewisses Risiko einzugehen.

Sie scheinen eine Art Sicherheitsgefühl entwickelt zu haben – was hat sich durch die Anschlagspläne verändert?

Wir hatten uns daran gewöhnt, mit Sicherheitsvorkehrungen zu leben. Die Polizei war da und hat Schlimmeres ja offenbar auch verhindern können. Beim Islamischen Staat haben wir es aber mit Menschen zu tun, die bestialische Dinge tun. Genau wie die Hamas, als sie Israel angegriffen hat.

Völlig empathie- und emotionslos. Es ist mit Worten kaum zu beschreiben, was sie Frauen und Kindern angetan hat. Es ist für uns einfach nicht mehr abzuschätzen, ob da nicht noch weitere Radikale sind, die ähnliche Pläne haben.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview mit Seyran Ates am 21.10.2023
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