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Zum journalistischen Leitbild von t-online.CDU-Politiker Thorsten Frei "Das ist gescheiterte Integration"
Der CDU-Politiker Thorsten Frei fordert im Interview mit t-online bedingungsloses Einstehen für Israel, verurteilt gescheiterte Integration in Deutschland und warnt davor, Geflüchtete aus Gaza aufzunehmen.
Thorsten Frei beugt sich ein Stück vor. Er verzieht die Mundwinkel nach unten. Dann sagt er: "Das ist völlig inakzeptabel. Eine Schande. Die Zustände, die wir momentan auf deutschen Straßen erleben, sind unerträglich." Es geht um die pro-palästinensischen Demonstrationen, die in diesen Tagen regelmäßig eskalieren.
Seit dem terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober sind Zehntausende auf die Straße gegangen. Davon unzählige Anti-Israel-Demonstranten. Nicht so sehr im baden-württembergischen Donaueschingen, wo der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion herkommt. Dafür umso mehr in Großstädten, in Berlin, München, Frankfurt oder Köln.
Auch in der Ampel ist man erschüttert. Scholz spricht von einer "klaren Haltung", stellt sich an die Seite Israels und unterstreicht, es gebe in Deutschland keinen Platz für Antisemitismus. Der Rechtsstaat werde bei Gesetzesverstößen klar durchgreifen.
Frei reicht das alles nicht. Im Interview fordert er Solidarität mit Israel "ohne Wenn und Aber", schlägt vor, Gesetze zu ändern und warnt davor, Geflüchtete aus dem Gazastreifen aufzunehmen.
t-online: Herr Frei, die Sicherheit des Staates Israel und seiner Bürgerinnen und Bürger ist deutsche Staatsräson. Was bedeutet dieser Satz für Sie?
Thorsten Frei: Dieser Satz bedeutet, dass wir unverbrüchlich zum Staat Israel stehen. Er bedeutet, dass wir alles uns Mögliche tun müssen, um jüdisches Leben auch in Deutschland zu schützen und dafür zu sorgen, dass Juden ganz normal in unserem Land leben können.
Kann und muss die Solidarität gegenüber Israel bedingungslos, also ohne rote Linien sein?
Selbstverständlich hat Israel das Recht, alles dafür zu tun, sich gegen diese terroristischen Angriffe zu schützen. Der Staat hat gezeigt, dass er verantwortungsvoll, aber eben auch konsequent mit der Herausforderung umgeht. Wir müssen die Israelis uneingeschränkt unterstützen, auch moralisch.
Heißt, Sie halten es für einen Fehler, wenn Deutschland, wenn der Bundeskanzler in diesen Tagen in dem Zusammenhang an das Völkerrecht erinnert?
Es muss klar sein, dass wir auch in diesen schwierigen Zeiten zu Israel stehen. Deswegen ist es jetzt nicht der Zeitpunkt, um Politik mit dem erhobenen Finger zu betreiben. Als funktionierende Demokratie und Rechtsstaat benötigt Israel keinen Nachhilfeunterricht in Sachen Völkerrecht. Das ist doch selbstverständlich. Angesichts des Terrorangriffs vom 7. Oktober müssen wir vielmehr unsere volle Solidarität gegenüber Israel in den nächsten Tagen und Wochen beweisen, wenn es vielleicht auch weniger schöne Bilder aus der Region geben wird. Auch dann muss vollkommen klar sein, dass wir ohne Wenn und Aber engste Partner Israels sind.
Frei spricht von "gescheiterter Integration"
Was bedeutet es für Deutschland und die deutsche Verantwortung, wenn Judensterne an Hausfassaden geschmiert werden?
Das ist völlig inakzeptabel. Eine Schande. Die Zustände, die wir momentan auf deutschen Straßen erleben, sind unerträglich. Wir brauchen konsequente Antworten des Rechtsstaates. Und wenn nötig, müssen wir Gesetze nachschärfen. Nur so können wir dafür sorgen, dass so etwas in Deutschland unterbunden wird. Es gehört aber auch ein klarer Blick auf das Problem dazu.
Können Sie das konkreter machen?
Die Innenministerin Nancy Faeser hat bislang so getan, als wäre Antisemitismus ein ausschließlich rechtsextremes Problem. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es auch linksextremistischen Antisemitismus gibt, wie er sich etwa in der BDS-Bewegung äußert. Hinzu kommt: Wir erleben jetzt verstärkt einen eingewanderten islamistischen Antisemitismus. Deshalb müssen neben den Regeln des Strafrechts und des Versammlungsrechts insbesondere auch die Regelungen des Aufenthaltsrechts in den Blick genommen werden. Es darf nicht sein, dass jemand Schutz suchend nach Deutschland kommt und dann wesentliche Werte unseres Landes mit Füßen tritt. Wer Hassparolen gegen Juden schreit oder gar Brandsätze auf Synagogen und Tora-Schulen wirft, verwirkt sein Gastrecht.
"Ich kann es sehr gut nachvollziehen, wenn Juden sich in diesen Tagen in Deutschland nicht sicher fühlen. Das ist ein unerträglicher Zustand, für uns alle."
Thorsten Frei
Können sich Juden aktuell sicher in Deutschland fühlen?
Es gibt derzeit eine erhöhte abstrakte Gefährdungslage. Darauf haben die Sicherheitsbehörden bereits mit verschärften Sicherheitsmaßnahmen reagiert. Aber: Sicherheit ist ein subjektives Gefühl. Ich kann mich sicher nicht eins zu eins in die Lage der Betroffenen hineinfühlen. Aber ich kann es sehr gut nachvollziehen, wenn Juden sich in diesen Tagen in Deutschland nicht sicher fühlen. Das ist ein unerträglicher Zustand, für uns alle. Es ist unsere Verantwortung, für die Sicherheit aller Jüdinnen und Juden im Land zu sorgen.
Wenn jüdische Fußballvereine ihre Spiele absagen müssen, weil die Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist, wenn jüdische Kinder unter noch schärferen Sicherheitsvoraussetzungen die Schule besuchen müssen als sonst, wenn Jüdinnen und Juden am ganz normalen gesellschaftlichen Leben nicht mehr ohne Personenschutz teilnehmen können, dann ist das eine Situation, ein gesellschaftliches Klima, wie wir es nicht hinnehmen dürfen. Wir müssen alle rechtsstaatlichen Kräfte anspannen, um diese Situation so schnell wie möglich zu beenden.
Erleben wir gerade die Konsequenzen gescheiterter Integration?
Ja, das ist gescheiterte Integration. Diese Menschen sind nicht integriert in unsere Gesellschaft. Und um da bloß nicht falsch verstanden zu werden: Wir dürfen nicht so tun, als gäbe es in der deutschen Gesellschaft keinen Antisemitismus. Das wissen wir, und dagegen müssen wir mit aller Konsequenz vorgehen. Aber wir dürfen nicht akzeptieren, dass Antisemitismus auch noch einwandert. Das können und müssen wir verhindern.
Man kann Deutschland nicht nur gut finden, wenn es einem mit konsularischer Hilfe im Ausland zur Seite steht. Und man kann Deutschland nicht nur gut finden, wenn das Land einem im Gewand des generösen Sozialstaats begegnet. Wer Teil unserer Gesellschaft werden will, wer hier leben will, der muss unsere Werte im Ganzen akzeptieren. Und dazu gehört auch unsere Geschichte, unsere Verantwortung für die Shoa, unsere Verantwortung für die Juden in Deutschland und den Staat Israel. Und wer sich dazu nicht bekennen kann, der hat in unserem Land nichts verloren.
Gegen Ausschreitungen: Frei schlägt vor, Strafrahmen anzuheben
In seiner Regierungserklärung hat der Bundeskanzler am Donnerstagmorgen eine "klare Kante" gegen Antisemitismus angekündigt. Handelt er, handelt die Bundesregierung entsprechend konsequent genug?
Der Kanzler hat eine kraftvolle Regierungserklärung gehalten, die allerdings noch nicht übereinstimmend mit der Politik seiner Regierung ist. Das gilt auch für die anderen Themenbereiche, die Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung angesprochen hat. Da fallen Reden und Handeln eklatant auseinander.
Wie kann "hartes Durchgreifen", das auch Ihr Parteivorsitzender Friedrich Merz fordert, aussehen?
Da gibt es einige Möglichkeiten. Wenn man sich zum Beispiel den Paragrafen zur Volksverhetzung anschaut. Da könnte man den Strafrahmen anheben, also als Mindeststrafe nicht drei Monate Freiheitsentzug, sondern sechs Monate. Das würde insgesamt zu einer härteren Bestrafung führen – und härtere Strafen führen zu einer erhöhten Zahl von Ausweisungen. Hier greifen Strafrecht und Aufenthaltsrecht ein Stück weit ineinander und bedingen sich gegenseitig.
Das würde uns helfen, nicht nur angemessene Strafen zu finden, sondern vor allem auch dafür zu sorgen, dass solche Menschen schneller abgeschoben werden können. Und dann gilt natürlich: Gesetze sind immer nur so wirkungsvoll, wie sie angewendet werden. Dazu gehört, wie schnell und konsequent das passiert. Deswegen ist ein wesentliches Anliegen, dass man die Möglichkeiten des beschleunigten Verfahrens deutlich ausweitet.
Wie wollen Sie das machen? Die Gerichte sind jetzt schon überlastet.
Am Ende hängt es vor allem von der Personalausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften ab. Uns muss klar sein, dass ein konsequenter Rechtsstaat nur dann wehrhaft ist, wenn er entsprechend ausgestattet ist. Und deswegen muss hier künftig mehr investiert werden.
Der Bundeskanzler sagt "Die Hamas ist nicht Palästina". Wie sehen Sie das? Kann und sollte man klar zwischen denen, die Pro-Palästina und denen, die Anti-Israel demonstrieren, unterscheiden?
Die pro-palästinensischen Demonstrationen, die wir derzeit erleben, billigen und unterstützen ausdrücklich die Hamas und ihr Handeln. Wer sich daran beteiligt, akzeptiert den Terror und richtet sich gegen Israel. Da kann man nicht differenzieren.
Gilt das auch für den Gazastreifen?
In der Region selbst ist es natürlich richtig, dass die Hamas nicht für alle Palästinenser spricht. Aber sie ist die faktische Regierung im Gazastreifen.
Gibt es aus Ihrer Sicht auch eine Verantwortung gegenüber den Zivilisten im Gazastreifen? Aktuell hängen unzählige dort fest. Anliegerstaaten wie Jordanien und Ägypten haben in aller Deutlichkeit gesagt, sie werden keinen bei sich aufnehmen. Kann es einen deutschen Beitrag bei der Unterbringung geben?
Nein, ich sehe da keine Verantwortung von Deutschland und Europa. Es ist aus meiner Sicht die Aufgabe der Nachbarstaaten, sich um die Aufnahme und Unterstützung der dortigen Flüchtlinge zu kümmern. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass die Nachbarstaaten sagen, das ginge sie nichts an. So wie sich Deutschland um Flüchtlinge aus der Ukraine kümmert, müssen auch im Nahen Osten die Nachbarn füreinander Sorge tragen. Überdies sind die Kapazitäten in Deutschland ausgeschöpft. Ich sehe deshalb weder die Möglichkeit noch die Notwendigkeit, dass Deutschland sich in diesem Bereich engagiert.
"Wir brauchen jetzt praktische Konsequenzen, keine Absichtserklärungen."
Thorsten Frei
Würden Sie es für einen Fehler halten, wenn die Regierung sich bereit erklärte, Flüchtlinge aus dem Gazastreifen aufzunehmen?
Das wäre ein großer Fehler.
Frei über die Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzler
Es ist jetzt eine Woche her, dass der Bundeskanzler, unter anderem mit Friedrich Merz, über Lösungen für die Migrationskrise gesprochen hat. Bislang wissen wir nur, dass die Atmosphäre gut war. Muss nicht zeitnah etwas Konkretes aus dem Treffen folgen?
Der Bundeskanzler muss entscheiden, wie er mit der Situation umgehen will. Unsere Hand ist und bleibt ausgestreckt. Wir haben unsere Punkte definiert und konkretisiert. Wir brauchen jetzt praktische Konsequenzen, keine Absichtserklärungen. Es reicht nicht, wenn wir sagen, wir wollen Asylverfahren schneller machen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Wir müssen definieren, mit welchen gesetzgeberischen und technischen Maßnahmen man diese Ziele erreichen will.
Gibt es Maßnahmen, die Sie für unverzichtbar halten?
Die Asylzahlen müssen runter, drastisch. Dafür gibt es nicht die eine Maßnahme. Notwendig ist ein ganzes Maßnahmenbündel. Und deswegen würde ich mich nicht auf einen zentralen Punkt konzentrieren. Wenn Sie mich fragen, was ich für unverzichtbar halte: Wir sollten das offene Zeitfenster der GEAS-Reform auf europäischer Ebene nutzen, um Asylverfahren auslagern und in sicheren Drittstaaten durchführen zu können. Dafür sollten wir eine rechtliche Verankerung auf europäischer Ebene schaffen. Das wäre die zentrale Chance, Migration wirklich zu begrenzen.
Markus Söder hat Kanzler Scholz am Freitagmorgen eine Große Koalition angeboten. Ist die CDU auch bereit dafür?
Die Frage stellt sich zurzeit nicht. Die Bundesregierung hat einen klaren Auftrag. Sie bleibt aufgerufen, die schwere Migrationskrise mit ihrer Mehrheit zu lösen.
Letzte Frage – gibt es etwas, wofür Sie Olaf Scholz in diesen Tagen loben wollen?
Ich finde, dass Scholz in den ersten Tagen nach dem verbrecherischen Angriff der Hamas auf Israel gut reagiert hat. Er hat in seiner Regierungserklärung vergangene Woche die richtigen Worte gefunden. Und er hat anders als in der Vergangenheit auch schnell reagiert und hat diesmal als erster Regierungschef Israel besucht. Da hat er in den ersten Tagen aus meiner Sicht in diesem Thema keine Fehler gemacht.
Herr Frei, vielen Dank für das Gespräch.
- Interview der Redaktion