Knapp daneben Friedrich Merz lässt ARD abblitzen
Statt nach dem ARD-Sommerinterview die üblichen Wählerfragen zu beantworten, hat der CDU-Chef sich ein eigenes Format gebastelt. An seiner Stelle musste ein Parteikollege vor die TV-Kameras.
Der Blick geht auf die Spree, die Fragen mitten ins Schwarze: Bei den diesjährigen Sommerinterviews der ARD müssen die bekanntesten Politikerinnen und Politiker des Landes ihren Blick einmal mehr auf die Lage der Nation richten, die drängendsten Probleme benennen und ihre Lösungsansätze präsentieren.
Im Anschluss werden sie dann von ARD-Journalisten befragt, die als Sprachrohr der Zuschauerinnen und Zuschauer die Fragen von den Sofas und Sonnenliegen des Landes weitergeben.
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Je nach Gast spannt sich das Themenspektrum von "Machen Sie nur noch Politik für Leistungsempfänger und Ökos?" über "Ab welchem Bruttoeinkommen ist man für Sie reich?" bis zu "Was kann das Land Berlin besser als Bayern?". Das Zusatzformat nennt sich Social-Media-konform "#fragselbst" und findet – anders als die Interviews – live statt.
So nah, unvermittelt und im Zweifel ungeschönt, kommt man Spitzenpolitikern in Deutschland eher selten. Entsprechend viel gibt es für sie dort zu verlieren: ungelenke Antworten, entlarvende Formulierungen oder Ausweichmanöver werden gut ausgeleuchtet für alle Ewigkeit auf YouTube festgehalten.
Absage aus der CDU-Parteizentrale
Dieser Herausforderung haben sich in den vergangenen Wochen bereits mehrere große Namen aus der Bundespolitik gestellt: Olaf Scholz (SPD) und Markus Söder (CSU) waren dabei, Ricarda Lang (Grüne), Janine Wissler (Linke) und Saskia Esken (SPD) haben ebenfalls mitgemacht. Christian Lindner (FDP) und Alice Weidel (AfD) werden im September erwartet. Als einziger bisher beim Interview, aber nicht im anschließenden Kreuzfeuer der Wählerfragen: Friedrich Merz.
Der CDU-Parteivorsitzende stand am Sonntag laut eigener Aussage "für dieses Format nicht zur Verfügung", so die ARD. Als Ersatz schickte die CDU ihr Präsidiumsmitglied Jens Spahn, der von 2018 bis 2021 Gesundheitsminister war. Während dieser rund 20 Minuten lang vor den Fernsehkameras stand und am Ende noch spaßhaft anbot, auch am kommenden Sonntag den Termin von Christian Lindner wahrnehmen zu können, war Friedrich Merz wenige Meter weiter in Eigenregie auf Sendung.
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Statt den digitalen Bürgerdialog der ARD zu nutzen, veranstaltete er ein "Community Q&A": Ebenfalls mit Spree-Kulisse im Regierungsviertel ließ der CDU-Parteivorsitzende sich von einer Moderatorin befragen, die die Partei selbst organisiert hatte.
Kritik an "Feigheit"
Ihre Fragen seien über die Kanäle von Friedrich Merz und der CDU in den sozialen Medien gesammelt worden. In Kombination mit Merz' Absage an die ARD sorgte die CDU-Initiative für einige Aufregung. "Offenbar versteht Merz nicht, was bürgernahe politische Kommunikation im 21. Jahrhundert bedeutet", kritisierte unter anderem der Politikberater und einstige Wahlkampfleiter der Europäischen Grünen, Johannes Hillje, auf der Plattform X (vormals Twitter). Zahlreiche andere Nutzer warfen Merz vor, feige zu sein, da er sich nur den Fragen der CDU-Wählerschaft stelle – und auch dies mutmaßlich nur nach Vorbereitung.
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Einige sprangen Merz jedoch auch zur Seite. Der Politiker habe ebenso ein Recht darauf, an einem bestimmten Format nicht teilzunehmen, wie ein Sender oder Verlag darüber entscheiden könne, wer eingeladen werde, betonte beispielsweise Maurice Conrad.
Dieses Argument greift jedoch an einer Stelle zu kurz: Einerseits hat die ARD Politiker und Politikerinnen aller im Bundestag vertretenen Parteien eingeladen, andererseits gilt für die öffentlich-rechtlichen Sender ein Bildungsauftrag, da sie steuerfinanziert sind. Dieser schreibt vor, dass die Sender politisches Wissen vermitteln müssen, um Wählerinnen und Wähler unter anderem für eine Entscheidung bei Wahlen umfassend zu informieren. Wenn sich der Vorsitzende der größten Oppositionspartei des Landes einem solchen Format entzieht – insbesondere, wenn es um direkte Fragen der Wahlberechtigten geht –, lässt sich das durchaus sehr kritisch sehen.
Die letzten beiden ARD-Termine für Sommerinterviews und das anschließende Frageformat #fragselbst finden am 3. September sowie am 10. September statt. Zum Monatsanfang kommt der FDP-Parteivorsitzende Christian Lindner, den Abschluss macht in diesem Jahr die Bundesvorsitzende der AfD, Alice Weidel.
- ard.de: "Eure Fragen an Olaf Scholz, Bundeskanzler | Frag selbst 2023"
- ard.de: "Eure Fragen an CSU-Chef Markus Söder | Frag selbst 2023"
- ard.de: "Eure Fragen an SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken | Frag selbst 2023"
- ard.de: "Eure Fragen an Linken-Chefin Janine Wissler | Frag selbst 2023"
- ard.de: "Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang im ARD-Sommerinterview"
- ard.de: "Eure Fragen an Jens Spahn (CDU) | Frag selbst 2023"
- twitter.de: Konten von @JHillje, @realarminpeter, @_FriedrichMerz, @Maurice_Conrad