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Daniel Günther kritisiert und warnt CDU-Kollegen: "Zu lange ausgeruht"


Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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CDU-Ministerpräsident kritisiert Partei
"Haben uns zu lange auf dem Wohlstand ausgeruht"


Aktualisiert am 25.06.2023Lesedauer: 9 Min.
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Daniel Günther: Der CDU-Ministerpräsident fordert sachliche Diskussionen statt Beschäftigung mit Nebensächlichkeiten. (Quelle: IMAGO/Florian Gaertner/photothek.de)
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Er singt "Layla", aber erntet keinen Shitstorm. Er kritisiert die CDU-Spitze und lächelt dabei. Ein Gespräch mit Ministerpräsident Daniel Günther über die richtigen Töne.

Sie ist dann doch ein wenig trostlos, die Staatskanzlei in Kiel. An der ein oder anderen Stelle würde frische Farbe ganz guttun. Und auch sonst erinnert die Nachkriegsnüchternheit im Innern eher an ein Bürgeramt im Nirgendwo.

Wenn man es nicht wüsste, würde man nicht glauben, dass hier der erfolgreichste Ministerpräsident der CDU arbeitet. Daniel Günther hat bei der schleswig-holsteinischen Landtagswahl im vergangenen Jahr 43,4 Prozent geholt. Ein Ergebnis, das selbst CSU-Chef Markus Söder hochgradig neidisch macht.

Günther gehört zum eher liberalen Flügel seiner Partei und regiert recht geräuschlos mit den Grünen. Sofern er bundespolitische Ambitionen haben sollte – was er gern dementiert –, versteckt er sie zumindest besser als Hendrik Wüst, sein Kollege aus Düsseldorf. Mich, so Günthers Botschaft, interessiert vor allem die Landespolitik.

Heute soll es aber vor allem um Bundespolitik gehen. Gerade ist Kieler Woche. Deshalb hängt über Günthers Stuhl eine Krawatte mit Segelmotiven – und draußen ziehen die Dreimaster vorbei. Als Günther einen Tag nach dem Interview im Bayernzelt den umstrittenen Song "Layla" mitgrölt, gibt es später nur ein allgemeines Statement. Nachfragen von t-online will er nicht beantworten.

t-online: Herr Günther, Sie haben kürzlich Ihre Partei gewarnt, sie solle den Menschen "keinen Scheiß erzählen". Wer in der CDU macht das denn?

Daniel Günther: Meine Aussage bezog sich auf die Frage, wie sich die CDU öffentlich positionieren soll. Der Satz hat das zugespitzt, was mir wirklich ein Anliegen ist: Ich bin der Ansicht, dass wir als CDU uns um die wichtigen Themen kümmern sollten, die die Menschen in unserem Land beschäftigen – und nicht um Nebensächlichkeiten.

Wer konzentriert sich in Ihrer Partei denn auf Nebensächlichkeiten?

Niemand, aber das soll ja auch so bleiben.

Also auch nicht Ihr Parteichef Friedrich Merz?

Nein. Friedrich Merz gelingt es als CDU-Vorsitzendem sehr gut, die Partei in der Mitte aufzustellen und er füllt seine Rolle als Oppositionsführer aus. Die von Ihnen zitierte Aussage war eine allgemeine Empfehlung und gibt wieder, wie man meiner Ansicht nach in der Politik kommunizieren sollte, um die Menschen nicht zu verprellen. Und sie ist übrigens zeitlos. Das Gleiche habe ich schon gesagt, als Angela Merkel noch Parteivorsitzende war. Und da hat mir ja auch niemand unterstellt, dass ich die Kanzlerin adressiere.

Sie haben also ein allgemeines Plädoyer gegen Populismus gehalten?

Die demokratischen Parteien, egal ob Opposition oder Regierung, sollten sich um das kümmern, was für die Zukunft des Landes und für das Leben der Menschen wirklich relevant ist. Die Skandalisierung von Nebensächlichkeiten bringt uns als Gesellschaft jedenfalls nicht weiter.

Fürchten Sie nicht, dass Sie mit Ihrer drastischen Wortwahl selbst auf der populistischen Klaviatur spielen?

Das ist für mich kein Populismus, das ist eine klare Sprache, die jeder versteht.

Ihre unmissverständlichen Worte verdeutlichen auch, dass Sie sich offenbar ernsthaft Sorgen über die Politik der CDU auf Bundesebene machen.

Das mache ich nicht, dazu gibt es überhaupt keinen Anlass. Die CDU ist inhaltlich und personell sehr gut aufgestellt. Es gelingt uns nur zurzeit nicht ausreichend, den Menschen zu vermitteln, was wir anders machen würden, und mit unseren Angeboten zu überzeugen. Da sehe ich aber bei allen Luft nach oben.

Inwiefern?

Die Ampel verspielt sehr viel Vertrauen in der Bevölkerung, weil die Koalitionspartner zu sehr von ihren eigenen Parteiinteressen gelenkt sind und zu wenig davon, was insgesamt gut für das Land ist. Die Union als größte Oppositionspartei schafft es allerdings auch nicht, von diesem Vertrauensverlust zu profitieren und es gelingt uns allen gemeinsam aktuell nicht, die Umfragewerte der AfD wieder zu senken.

Was würden Sie konkret anders machen?

Wenn man das Heizungsgesetz der Ampel – meiner Meinung nach zu Recht – sachlich kritisiert, sollte man gleichzeitig sagen, wie die eigene Antwort darauf aussieht. Denn vor der Herausforderung, dass der Wärmebereich emissionsfrei werden muss, stehen wir ja nun mal. Und als CDU müssen wir feststellen, dass bei den Menschen nicht ausreichend angekommen ist, wie unsere Alternative dazu aussieht. Das ist auch deshalb sehr schade, weil ich sie überzeugend finde.

Dann nutzen Sie die Chance: Was will die CDU?

Um ein Beispiel zu nennen, hätten wir von vorneherein – wie wir es übrigens als Landesregierung in Schleswig-Holstein getan haben – als Erstes die Kommunen zur Aufstellung von Wärmeplänen anhalten müssen, um dann da, wo es künftig keine Wärmenetze geben wird, individuelle Lösungen der Wärmeversorgung zu finden, die sozialverträglich ausgestaltet werden. So wie es die Ampel nun auch versucht noch nachzusteuern.

Sie kennen Robert Habeck gut aus seiner Zeit als Landesminister in Schleswig-Holstein. Hätten Sie gedacht, dass er so gravierende handwerkliche Fehler macht wie beim Heizungsgesetz?

Robert Habeck kann wie kaum ein zweiter Politiker Menschen erreichen und Dinge sehr gut erklären. In diesem Fall ist das leider nicht ganz so gut gelungen, weil aber auch schlicht handwerklich nicht gut gearbeitet wurde.

Und was ist schiefgelaufen?

Wie gesagt: handwerkliche Fehler im Gesetz und eine Kommunikation, die sehr darauf ausgerichtet war, die eigene Basis bei den Grünen anzusprechen und nicht die breite Öffentlichkeit. Das hat bei großen Teilen der Bevölkerung leider zu Verunsicherung geführt.

Die Wortwahl Ihrer Parteifreunde im Umgang mit Robert Habeck war nicht gerade zimperlich. Von einem "Heizungsverbot" war die Rede – und im Zusammenhang mit seinem inzwischen zurückgetretenen Staatssekretär Patrick Graichen von "grünen Clan-Strukturen".

Von dieser Wortwahl halte ich nicht viel. Grundsätzlich sollten wir gegenseitige, unsachliche Anschuldigungen tunlichst vermeiden. Wenn man sich populistischer Sprache bedient, egal in welchem Lager man steht, zahlt das jedenfalls nicht bei den demokratischen Parteien ein.

Was raten Sie Parteikollegen, die gern mal populistische Thesen – etwa in der Asylpolitik – testen?

Wer irgendeine steile These raushaut, freut sich vielleicht kurz darüber, dass manche von den eigenen Leuten besonders laut klatschen. Aber anschließend merkt man relativ schnell, dass es falsch gewesen ist und man der politischen Stimmung im Land keinen Dienst erwiesen hat.

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Sie sind doch sicher auch mal in die Falle getappt?

In der Funktion als Oppositionsführer habe ich natürlich auch mal zugespitzter formuliert. Aber unter dem Strich wird es von vielen Menschen – unabhängig davon, was sie normalerweise wählen – als extrem wohltuend wahrgenommen, wenn man sich darauf fokussiert, was man selbst macht und welche Ansichten man vertritt.

Auch in der Opposition?

Ja. Gerade wenn man nicht regiert, muss man den Leuten erklären, was man anders als die Regierung machen würde, darf aber natürlich auch sachlich hart kritisieren. Das ist am Ende sinnvoller und auch viel erfolgreicher, als sich im Wettstreit um die härteste und herabwürdigendste Formulierung zu verkämpfen. Ich jedenfalls habe mich noch nie abends darüber geärgert, dass ich eine Chance verpasst habe, jemandem eins auf den Deckel zu geben.

Was uns auffällt: Sie haben noch gar nicht übers Gendern gesprochen.

Dazu habe ich ja eigentlich alles gesagt.

Wir sind trotzdem auf Ihre Meinung gespannt.

Jede und jeder soll so sprechen, wie er oder sie es für richtig hält und niemandem sollte etwas vorgeschrieben werden. Ich glaube, die Debatte bringt uns auch nicht wirklich weiter.

Gendern Sie?

Ich finde, dass man von Politikerinnen und Politikern eine geschlechtersensible Sprache erwarten kann. Ich persönlich achte immer darauf, dass beide Geschlechter adressiert werden. Aber es sollte jede und jeder so halten können, wie er oder sie es möchte, und das Thema nicht hochstilisieren und polarisieren.

Vielleicht treiben Themen wie Gendern viele Menschen einfach um.

Sprache ist natürlich immer sensibel. Deswegen sollte man Lösungen finden, die für alle gangbar sind. Aber das kann man ja auch unaufgeregt tun. Die Leute haben doch an der CDU immer geschätzt, dass wir nicht polarisieren, sondern bodenständig und verlässlich sind, vielleicht manchmal sogar ein bisschen langweilig. Aber eben als eine Partei, die immer staatspolitische Verantwortung wahrgenommen hat – und sich deshalb um die relevanten Themen kümmert.

Welche Themen könnten das denn sein?

Da könnte ich unzählige Themen nennen. Um nur ein paar zu nennen: die innere Sicherheit, die Frage, wie wir in Sachen Planungs-, Genehmigungsbeschleunigung gerade auch bei Großprojekten endlich vorankommen, oder die Bildungspolitik. Wir haben uns in Deutschland zu lange auf unserem Wohlstand ausgeruht. Wer, wenn nicht die CDU als wirtschaftsfreundliche Partei, kann dieses Problem adressieren. Und gerade aus dieser Rolle kann uns auch bestens der Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie gelingen. Zumal eine Partei, für die der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen eines der Kernanliegen ist, überzeugende Antworten und Lösungen für die drängenden Fragen der Klima- und Energieziele haben muss. Der Strauß an Themen ist also riesig …

… aber er wird von den Spitzenvertretern der CDU nicht genug gepflegt?

Doch, aber das soll auch so bleiben, da es eine Vielzahl an Themen gibt, die ich für viel wichtiger erachte als andere …

… wie Gendern …

… nennen wir sie Themen, auf denen nicht unser Schwerpunkt liegen sollte.

Noch mal: Werden die von Ihnen genannten Themen ausreichend von der Parteispitze beackert?

Das eine ist ja, was an Themen in der Partei bearbeitet wird. Da stecken wir gerade mitten in dem Prozess, ein neues Grundsatzprogramm aufzustellen – und da werden natürlich alle relevanten Themen aufgerufen. Das andere ist, ob wir derzeit mit unseren Themen so durchdringen, dass wir als Alternative zur Ampel wahrgenommen werden. Und da scheint mir mit Blick auf die Umfragewerte noch Luft nach oben zu sein.

Können Sie nachvollziehen, dass Sie mit Ihren Aussagen als innerparteilicher Kritiker der Parteiführung wahrgenommen werden?

Ich glaube nicht, dass dem so ist.

Der Eindruck in Berlin ist, dass vor allem Sie und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst versuchen, Friedrich Merz zu schwächen.

Auch das glaube ich nicht.

Das glauben wir aber für Sie mit.

Hendrik Wüst und ich vertreten die Positionen, mit denen wir seit Jahren erfolgreich in unseren Bundesländern Politik machen – und auch deshalb werden wir sie weiter vertreten. Ich kenne niemanden, der es kritisch findet, dass sich erfolgreiche Ministerpräsidenten zu Wort melden.

Bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr haben Sie 43,4 Prozent geholt. Sie sind damit der erfolgreichste Ministerpräsident der Union. Sind Sie damit ein Vorbild für andere?

Ach, wissen Sie, das müssen andere beurteilen.

Wir fragen jetzt aber Sie.

Jedenfalls wird unser Stil, den wir hier im Norden pflegen, sicher wahrgenommen: Dem politischen Gegner sachlich begegnen, mit anderen Parteien vernünftig reden, an Lösungen der echten Probleme arbeiten.

Der Vorwurf, den Sie sich früher anhören mussten, lautet: Mit seiner liberalen Politik schafft Daniel Günther erst den Platz für die AfD.

Den Vorwurf höre ich heute nicht mehr. Schleswig-Holstein ist das einzige Bundesland, in dem die AfD nicht mehr im Landtag sitzt.

Taugt Ihre Erfahrung auch als Empfehlung für andere?

Man kann die unterschiedlichen Gegebenheiten nicht eins zu eins übertragen. Ich würde mir nie anmaßen zu behaupten, mein in Schleswig-Holstein praktizierter Politikstil würde auch in einem anderen Bundesland funktionieren. Ich kann nur sagen, dass mich noch nie ein Bürger oder eine Bürgerin angesprochen und sich beklagt hat: "Mensch, das ist ja schade, dass Sie so wenig auf den politischen Gegner draufhauen."

Sie machen keinen Hehl daraus, dass Sie die Bundespolitik unattraktiv finden – und für Sie das Beste an einem Trip nach Berlin ist, dass Sie danach wieder nach Hause fahren können. Ist es wirklich so schlimm?

Ich finde es lediglich bedauerlich, dass es in Berlin kaum möglich ist, über Parteigrenzen hinweg Gespräche zu führen, ohne dass die Inhalte an die Medien durchgestochen werden. Es muss doch auch in der Spitzenpolitik geschützte Räume geben, in denen man offen miteinander redet, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt. Wenn wir uns der Möglichkeit berauben, in kleinen Kreisen mal eine Idee zu entwickeln, dem politischen Gegner auch mal zu signalisieren, warum man sich bei bestimmten Themen anders positioniert, sondern es danach sofort gleich zu einem Streit durch öffentliche Berichterstattung kommt ...

… dann?

Dann läuft definitiv etwas schief, weil es schlicht an Vertraulichkeit fehlt.

In Schleswig-Holstein gibt es diese geschützten Räume noch?

Ja. Und ich erzähle immer gerne, wie gut wir damit fahren.

Olaf Scholz setzt darauf, dass die Union Friedrich Merz als Kanzlerkandidaten aufstellt und die Wähler bei der nächsten Wahl sagen: "Da finden wir den Kanzler aber dann doch besser." Geht dieses Kalkül des Kanzlers auf?

Über das Kalkül von Olaf Scholz zu spekulieren, ist nicht meine Sache.

Wir dachten, Sie sagen: "Ich antworte nicht auf 'Was wäre wenn'-Fragen."

Da sehen Sie mal: In Kiel ist vieles anders als in Berlin.

Herr Günther, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Interview mit Daniel Günther in Kiel
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