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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Anschläge im Ruhrgebiet Irans Staatsterror erreicht Deutschland
Der Generalbundesanwalt geht einer Serie von Anschlägen auf jüdische Einrichtungen nach. Verantwortlich macht er ein vom iranischen Staat gesteuertes "Operativteam". Es geht um mehr Verdächtige als bislang bekannt.
Die iranischen Revolutionsgarden haben mutmaßlich Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Deutschland in Auftrag gegeben. Der Generalbundesanwalt hat Informationen von t-online zufolge die Ermittlungen ausgeweitet und ermittelt nun gegen zahlreiche Beschuldigte wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung und weiterer Straftaten. Das geht aus einem Beschluss des Bundesgerichtshofs hervor, der t-online vorliegt.
Mindestens vier Verdächtige werden dabei einem sogenannten Operativteam zugeordnet, das Angriffe koordiniert und begangen haben soll. Drei von ihnen sollen mutmaßlich für einen Brandanschlag auf eine Schule in Bochum und Schüsse auf das Rabbinerhaus der Alten Synagoge in Essen verantwortlich sein. Zudem wird ihnen ein Anschlag auf die Synagoge in Dortmund angelastet, der im Planungsstadium scheiterte. Der vierte Verdächtige gilt den Ermittlern als Drahtzieher im Iran. Die Gruppe habe aus antisemitischen Motiven im Auftrag einer iranischen Eliteeinheit gehandelt.
Ein Verdächtiger ist bereits angeklagt
Die nächtlichen Anschläge in Bochum und Essen hatten Ende vergangenen Jahres bundesweit Aufmerksamkeit erregt. Früh räumte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) nach einer ersten Festnahme ein, dass ein Zusammenhang zwischen den Taten in Essen und Bochum bestehen könnte. Das ARD-Politikmagazin "Kontraste" berichtete wenig später unter Berufung auf Ermittler erstmals über den Verdacht, die iranischen Revolutionsgarden könnten hinter den Attacken stecken.
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Einer der Verdächtigen ist bereits seit Mitte Mai angeklagt und sitzt in Untersuchungshaft. Dem 35-jährigen Deutsch-Iraner Babak J. werden die versuchte Brandstiftung in Bochum und die Anstiftung zur schweren Brandstiftung in Dortmund zur Last gelegt. Ein Bekannter von ihm hatte J.'s Drängen abgelehnt und sich an die Polizei gewandt.
Drahtzieher auch wegen Rockermord gesucht
Den Auftrag für die Anschläge habe J. von einem Mittelsmann im Iran erhalten, der wiederum im Auftrag einer "nicht näher bekannten staatlichen iranischen Stelle" gehandelt habe, teilte die Bundesanwaltschaft damals mit. Nun gehen aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs Details zur Struktur der Gruppe und deren Auftraggebern hervor.
Als Beschuldigte namentlich benannt werden im Dokument der bereits Angeklagte J. sowie der Drahtzieher Y. im Iran. Y. soll laut übereinstimmenden Medienberichten der ehemalige Anführer der Hells Angels in Mönchengladbach sein. Seit 2021 wird er wegen des Mordes an Hells Angel Kai M. gesucht. Ein dritter Beschuldigter soll die Schüsse auf die Synagoge in Essen abgegeben haben. Im Verfahren gegen ihn hatten Ermittler im Februar zwei Wohnungen durchsucht und Beweismaterial sichergestellt.
Eliteeinheit für geheime Auslandseinsätze
Zur mutmaßlichen Tatbeteiligung des vierten Verdächtigen ist dem Beschluss nichts zu entnehmen. Es handelt sich aber nicht um den Mann, der zum Anschlag in Dortmund angestiftet werden sollte. Der gilt weiterhin als Zeuge, der J. und Y. offenbar schwer belastet hat. Y. dementierte über seinen Instagram-Account die Vorwürfe. Weitere Ermittlungsergebnisse stützen dem Beschluss zufolge allerdings die Schilderungen.
Die Gruppe habe sich spätestens im Juni 2022 zusammengeschlossen, um "in Deutschland Anschläge auf Synagogen und gegebenenfalls andere jüdische Einrichtungen zu verüben", heißt es dort. Y. habe täglich mit J. telefoniert und ihn zu den Anschlägen aufgefordert. J. soll in seiner Vernehmung eingeräumt haben, den Auftrag aus dem Iran erhalten zu haben – aus "Gründen des Selbstschutzes naheliegend" habe er aber einen anderen Namen genannt.
Y. habe mutmaßlich die Taten in Zusammenarbeit mit den sogenannten Quds-Kräften der iranischen Revolutionsgarden koordiniert. Dabei handelt es sich um eine Eliteeinheit für geheime Auslandseinsätze. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wirft ihr seit Jahren vor, in Deutschland jüdische und israelische Einrichtungen zur Vorbereitung von Anschlägen auszuspähen. Der Verfassungsschutz geht von insgesamt 160 Personen mit Bezügen zu Deutschland aus, die auch Verbindungen zu den Revolutionsgarden haben. Ob sie sich alle in Deutschland aufhalten, ist unklar.
- Eigene Recherchen
- Bundesgerichtshof: Beschluss StB 20/23
- tagesschau.de: Iran verantwortlich für Anschläge auf Synagogen?