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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Streitende Ampelkoalition Sie wollten das doch gar nicht mehr
Fast zwanzig Stunden reichten der Ampel nicht, um ihre großen Streitfragen zu lösen. Der Koalitionsausschuss ist unterbrochen. Wo hakt es?
Sie wollten keine endlosen Nachtsitzungen mehr veranstalten, weil Müdigkeit manchmal zu Murks führt. Sie wollten sich im Koalitionsausschuss nicht mehr um die Streitigkeiten der Minister kümmern, sondern nur noch um die langen Linien, die große Strategie. Und eigentlich wollten sie überhaupt weniger streiten.
Doch am heutigen Montag um 14 Uhr musste ein Koalitionsausschuss unterbrochen werden, in dem die Spitzen der Ampel doch wieder all das getan hatten: Sie hatten sich gezankt, weil sie verhärtete Streitigkeiten schlichten mussten, fast zwanzig Stunden lang über Nacht. Und am Ende stand dann nicht mal ein Ergebnis.
Man sei "in vertrauensvollen und konstruktiven Gesprächen weit vorangekommen", teilten die Parteien anschließend mit, habe die Sitzung "aber aufgrund der deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen" unterbrochen. Kanzler Olaf Scholz und mehrere seiner Minister mussten zum Flughafen, eine kleine Streitpause in Rotterdam. Es ist vielleicht besser so. Am Dienstagmorgen soll es weitergehen, etwas ausgeschlafener.
Jeder gegen jeden
Es ist der vorläufige Höhepunkt von Tagen und Wochen, die selbst für die streiterprobte Ampelkoalition besonders turbulent waren. Nicht mehr nur Grüne und FDP zofften sich. Beide kritisierten auch immer häufiger Kanzler Olaf Scholz und seine SPD dafür, durch chronische Unentschlossenheit alles nur noch schlimmer zu machen. Bei den Sozialdemokraten verloren da viele die Geduld mit den zeternden Partnern. Es war ein Jeder gegen jeden.
Man zoffte sich über Autobahnen, über Klimaschutz im Verkehr, über Heizungen, über Verbrenner, über die Kindergrundsicherung und natürlich über den Bundeshaushalt. Streitigkeiten, die sich teils über Monate aufgebaut und verhärtet hatten.
Alles im Koalitionsausschuss lösen zu können, damit rechnete ohnehin niemand in der Ampel. Allerdings rechnete auch niemand damit, nach zwanzig Stunden so gar kein Ergebnis präsentieren zu können. Wie kam es zu dieser Enttäuschung?
Ein paar Fortschritte und viel Wut
Eigentlich standen die Vorzeichen gar nicht schlecht. Zwar drang schon am Sonntagabend, kurz nachdem sich die Spitzen der Parteien, Fraktionen und der Regierung um 18.30 Uhr zusammengesetzt hatten, nach außen, dass es wohl bis tief in die Nacht hinein dauern würde.
Doch in den Tagen zuvor hatte es durchaus Fortschritte gegeben. Parteivertreter hatten sich gegenseitig ermutigt, doch vielleicht mal nach dem Gemeinsamen zu suchen statt nach dem Trennenden. Gute Idee. Kanzler Olaf Scholz verbreitete am Samstag vorsichtigen Optimismus: Er sei "zuversichtlich, dass wir jetzt einen kleinen Sprung nach vorne machen".
Es war der Tag, an dem die Ampel mal einen Erfolg verkündet hatte. Beim Verbrenner-Aus fand man eine Lösung, mit der auch die EU-Kommission leben konnte. Verkehrsminister Volker Wissing und seine FDP waren sehr zufrieden mit sich. Schon in den Tagen zuvor waren beim Streit um die Heizungen erste Kompromisslinien bekannt geworden. Auch wenn Beteiligte betont skeptisch blieben.
Besonders die Grünen hatten zuvor den Druck erhöht. Wirtschaftsminister Robert Habeck wütete. Er kritisierte die Partner für das Durchstechen seines Heizungsgesetzentwurfs, "des billigen taktischen Vorteils wegen", beklagte einen Vertrauensverlust und äußerte Zweifel, ob in der Ampel überhaupt Einigungen gewollt seien.
Schnellere Planung für Autobahnen? Ja, aber
Die Grünen beklagen sich schon länger nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand darüber, dass FDP und SPD zu wenig für den Klimaschutz täten. "Alle demokratischen Parteien haben sich dem Ziel verschrieben, dass wir 2045 klimaneutral werden", sagte etwa Parteichefin Ricarda Lang der Mediengruppe Bayern vor dem Koalitionsausschuss. "Wenn es dann aber konkret wird, ducken sich plötzlich alle weg."
Nach t-online-Informationen aus Verhandlungskreisen war es unter anderem das, woran der Koalitionsausschuss am Ende vorübergehend scheiterte. Schon vor dem Treffen war klar gewesen, dass es eine Einigung beim Streit um die Autobahnen geben muss. Denn in der Frage, ob neue Straßen künftig genauso schnell geplant werden sollen wie Bahnstrecken und Windräder, konnte sich die Ampel schon beim letzten Mal nicht einigen. FDP und weite Teile der SPD waren dafür, die Grünen strikt dagegen.
Diesmal nun sollen die Grünen bei den Autobahnen zu Zugeständnissen bereit gewesen sein – allerdings nur, wenn sich im Verkehrssektor an anderer Stelle beim Klimaschutz mehr tut. Es ist ein weiterer ewiger Streit der Ampel: Wie soll die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei den Klimazielen im Verkehr geschlossen werden?
Auf diese Frage gab es nun offenbar auch im Koalitionsausschuss keine Antwort, die die Grünen um Klimaminister Robert Habeck zufriedengestellt hätte. Wenn die Ampel am Dienstagmorgen einen neuen Anlauf unternimmt, ist ihr immerhin ein Erfolg schon so gut wie sicher: Mit deutlich mehr als zwanzig Stunden an zwei Tagen wird es ihr längster Koalitionsausschuss sein.
Und vielleicht gibt es ja sogar ein Ergebnis.
- Eigene Recherchen und Beobachtungen