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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zahl des Tages Null Platz für die Ruhe in Frieden
Wer einen Angehörigen verliert, muss diesen bestatten lassen. Für einen wachsenden Teil der Bevölkerung wird das zur Herausforderung – es fehlt der Platz.
Für die meisten Menschen in Deutschland endet der letzte Weg auf einem der mehr als 32.000 Friedhöfe. Urnen auf dem Kaminsims sind hierzulande ebenso verboten wie zu Diamanten gepresste Asche oder eine Beisetzung im eigenen Garten. Am Friedhof kommt man also - außer in Friedwäldern oder durch eine Bestattung auf See - kaum vorbei. Das ist vor allem für Muslime in der Bundesrepublik ein Problem. Denn obwohl inzwischen rund sieben Prozent der Bevölkerung islamischen Glaubens sind, existiert in ganz Deutschland kein einziger islamischer Friedhof.
Wer seine Verstorbenen nach islamischem Ritus beerdigen möchte, muss also hoffen, dass christliche oder städtische Friedhöfe hierfür explizit Platz machen. So wie jüngst in Berlin-Neukölln, wo am Freitag auf dem evangelischen Emmaus-Friedhof ein Gräberfeld für 500 Musliminnen und Muslime eröffnet wurde: Hier können Tote nun in Tüchern beerdigt werden, die Gräber sind nach Mekka ausgerichtet.
Eineinhalb Stunden Anfahrtszeit
Gerade in dicht besiedelten Städten mit einem hohen muslimischen Bevölkerungsanteil ist die Platznot teils groß. Von den Behörden kommen jedoch kaum praktikable Lösungsvorschläge, wie das Beispiel Berlins zeigt. In der ganzen Stadt wurden Angehörige bis vor Kurzem auf das letzte muslimische Gräberfeld verwiesen, das zu diesem Zeitpunkt noch freie Plätze hatte; den Landschaftsfriedhof Gatow, der fast schon in Brandenburg liegt. Mit Bus und Bahn dauert die Anfahrt aus Bezirken wie Neukölln knapp eineinhalb Stunden.
Die neue Ecke des Emmaus-Friedhofs dürfte für kürzere Wege und etwas Entlastung sorgen, doch eine langfristige Lösung ist sie nicht. Laut dem Berliner Senat könnte die letzte Ruhe in "christlicher" Erde sowie nahe Kreuzen oder Glockengeläut teils auf ein "Akzeptanzproblem" stoßen. Doch vor allem dürften einige hundert Zusatzgräber kaum den Bedarf decken.
Auf nun zwei Orte für islamische Bestattungen im Stadtstaat kommen laut Schätzungen rund 340.000 muslimische Berlinerinnen und Berliner. In Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg ist der muslimische Anteil der Einwohner ebenfalls vergleichsweise hoch – aber islamische Friedhöfe gibt es auch hier nicht.
Sargpflicht ade
Dass dies erst seit einigen Jahren wirklich problematisch ist, liegt an einem Generationenwechsel und an Gesetzesänderungen: Während die ersten Einwanderungsgenerationen häufig in ihrem Geburtsland bestattet werden wollten, fühlen sich nachfolgende Generationen deutlich stärker in Deutschland zu Hause und möchten auch hier beerdigt werden.
In vielen Bundesländern wurde daher auch erst in den vergangenen Jahren die Sargpflicht abgeschafft, im Frühling 2021 zuletzt in Bayern. Nur Sachsen und Sachsen-Anhalt erlauben noch keine Tuchbestattung, planen jedoch entsprechende Lockerungen.
In Nordrhein-Westfalen ist man derweil schon deutlich weiter. Seit 2014 können Kommunen hier das Recht auch auf islamische Vereine und Gemeinschaften übertragen, einen religiösen Friedhof zu gründen und zu betreiben. In den meisten Bundesländern gilt das bisher nur für gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften: evangelische, katholische und jüdische Gemeinden, nicht aber die eher lose organisierten Moscheen.
Erste islamische Friedhöfe in der Bundesrepublik
In Wuppertal ist daher nun der erster islamische Friedhof Deutschlands in Planung. Das Areal ist bereits ausgesucht, die Spendenaktion läuft und sowohl die Stadt als auch die Sparkasse haben finanzielle Unterstützung zugesagt. Doch trotz der ursprünglich für 2018 geplanten Eröffnung hat sich bisher kaum etwas getan.
Zwar sind bislang etwas mehr als 210.000 Euro zusammengekommen, doch das dürfte wohl nicht reichen. In Düsseldorf, wo ein halb so großes Projekt geplant ist, gehen die Organisatoren von Kosten um 2 Millionen Euro aus.
Sollten diese Friedhöfe tatsächlich entstehen, hätte das nicht nur eine große symbolische Bedeutung für Musliminnen und Muslime in Deutschland, sondern auch einen praktischen Vorteil. Nach islamischem Ritus darf eine Grabstätte auch nach Jahrzehnten nicht neu belegt werden.
Dieses Ewigkeitsrecht ist bei christlichen und städtischen Friedhöfen jedoch kaum machbar; dort müssen Muslime sich damit begnügen, dass die Erde vor einer Bestattung auf mögliche Knochenreste durchsiebt wird. Auf eigenen islamischen Friedhöfen könnten es hingegen tatsächlich für immer heißen: Ruhe in Frieden.
- Studie: "Muslimisches Leben in Deutschland"
- Berliner Senat: "Islamische Bestattungen in Berlin"
- Berliner Senat: "Islamische Bestattungen in Berlin - Flächenpotentiale"
- Kreis der Düsseldorfer Muslime: "Islamische Grabstätte"
- Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen: "Fragen und Antworten zum novellierten Friedhofs- und Bestattungsgesetzes"
- Islam-IQ: "25 Prozent Christen - 9 Prozent Muslime"
- Webseite der Muslimischen Friedhöfe Wuppertal
- Deutschlandfunk Kultur: "Platzmangel auf den Friedhöfen"
- taz: "Kein Platz zum Sterben"