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Justizminister Buschmann: "Das ist natürlich inakzeptabel"


Interview
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Justizminister Buschmann
"Das ist natürlich inakzeptabel"

InterviewVon Sven Böll, Tim Kummert

Aktualisiert am 10.02.2023Lesedauer: 10 Min.
Justizminister Buschmann (Archivbild): "Wir müssen die richtigen Lehren für uns ziehen."Vergrößern des Bildes
Justizminister Buschmann (Archivbild): "Wir müssen die richtigen Lehren für uns ziehen." (Quelle: IMAGO/Frederic Kern)

"Die Lage im Land ist besser als die Stimmung in der Regierung." Diese deutliche Bilanz zieht nicht irgendwer, sondern Marco Buschmann. Der Justizminister verrät im Gespräch auch, wann er selbst an einem Gesetz mitschreibt.

Es sind etwas über null Grad in diesen Tagen in Berlin. Allerdings draußen und in der Sonne. In den Katakomben der Koalition dagegen, so der weitverbreitete Eindruck, herrscht seit einiger Zeit bitterkalter Dauerfrost.

Marco Buschmann muss als eines der wichtigsten Mitglieder am Kabinettstisch diesem Eindruck natürlich entgegentreten. Aber der Justizminister von der FDP lässt dann doch durchblicken, dass er sich eine etwas mildere Atmosphäre in der Ampelkoalition durchaus herbeisehnt.

Es gibt natürlich noch viele andere, noch viel wichtigere Themen als irgendeinen Koalitionskrach: Ukraine-Krieg, chinesische Spionageballons und das Erdbeben in der Türkei und in Syrien. Ein Gespräch über möglichst viel von dem, was gerade wichtig ist. Inklusive einer neuen Erkenntnis über den Arbeitsalltag des Ministers.

t-online: Herr Buschmann, was dachten Sie, als Sie die Bilder nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien sahen?

Marco Buschmann: Das ist eine entsetzliche Katastrophe. Das lässt niemanden kalt. Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun und den Menschen vor Ort so schnell und so gut wie irgend möglich helfen.

Was heißt das konkret?

Es ist unsere erste Pflicht, so viele Leben wie möglich zu retten. Die Bundesregierung ist deshalb in engem Kontakt mit dem türkischen Katastrophenschutz. Deutschland hat bereits sehr viele Hilfskräfte geschickt, vom THW bis zur Bundespolizei. Die Bundeswehr unternimmt Hilfsflüge. Nicht nur das Erdbeben ist eine Gefahr, sondern auch seine Folgen: Wenn die Wasserversorgung unterbrochen ist, können sich Krankheiten schneller ausbreiten.

Haben Sie den Eindruck, dass die Solidarität gegenüber der Türkei größer ist als gegenüber Syrien?

Das Leid der Menschen in Syrien erschüttert uns keine Spur weniger als das der Menschen in der Türkei. Auf beiden Seiten der Grenze leiden Menschen. Und wir strengen uns nach Kräften an, allen betroffenen Menschen zu helfen. Wegen des Kriegs in Syrien und des Regimes von Assad ist das in Syrien erheblich schwieriger als Hilfe in der Türkei. Aber es gibt Hilfsorganisationen vor Ort, mit denen Deutschland schon seit Längerem zusammenarbeitet.

Jurist und Vertrauter von Lindner

Marco Buschmann, 45 Jahre alt, kam 2009 erstmals in den Deutschen Bundestag. Er ist studierter Jurist, war unter anderem Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion und ist seit Dezember 2021 Bundesjustizminister. Buschmann gilt als einer der engsten Vertrauten von Parteichef Christian Lindner.

In den vergangenen Tagen machten auch chinesische Spionageballons Schlagzeilen. Wie gefährlich ist China?

Es ist ein großes und mächtiges Land, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch. China formuliert offen geostrategische Ansprüche und ist längst nicht mehr nur Partner, sondern auch Wettbewerber und systemischer Rivale. Wenn China meint, die Souveränitätsrechte anderer Staaten verletzen zu können, dann ist das natürlich inakzeptabel. Die USA dürfen sich im Rahmen des internationalen Rechts gegen die Verletzung ihres Luftraums wehren.

Müssen wir vor China Angst haben?

Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Wir müssen aber die richtigen Lehren für uns ziehen: Die Demokratien auf der Welt müssen intensiver denn je zusammenarbeiten, um auf die Herausforderung, auch durch China, angemessen reagieren zu können. Und unsere Antworten müssen so viel Gewicht haben, dass es nicht zu harten oder heißen Konflikten kommt. Denn die kann niemand wollen – auch die Chinesen nicht.

Deutschland und Europa sind derzeit mehr auf die Ukraine als auf China fokussiert. Tun wir alles, was möglich ist, um der Ukraine zu helfen?

Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine ist völkerrechtswidrig und barbarisch. Die Ukraine soll diesen Krieg gewinnen. In der Europäischen Union sind wir die Nation, die zivil und militärisch die meiste Hilfe leistet.

Wir sind auch das bevölkerungsreichste Land.

Wir leisten bereits einen sehr zentralen Beitrag – und ich halte das für richtig. Ich war selbst in der Ukraine und habe erlebt, dass die Menschen dort die deutsche Hilfe sehr schätzen. Die Ukraine kann sich auf uns verlassen.

Manch einer bei uns hat den Eindruck, die Ukraine sei maßlos: Kaum ist die Lieferung von Panzern beschlossen, fordert die Regierung in Kiew Kampfjets.

Die Ukraine ist nicht Täter, sondern Opfer eines brutalen völkerrechtswidrigen Angriffskriegs. Täglich sterben Ukrainerinnen und Ukrainer, die ihr Land verteidigen wollen. Dass die Regierung eines solchen Staates sich möglichst viele Waffen wünscht, um ihren tapferen und legitimen Selbstverteidigungskampf weiterzuführen, kann man ihr nun wirklich nicht vorwerfen.

Das klingt, als würde ein "Aber" folgen.

Deutschland darf nicht Kriegspartei werden. Und unsere eigene Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit muss gewahrt bleiben. Beides ist gegenwärtig gesichert und muss auch so bleiben. Wir müssen deshalb immer sachlich abwägen, was wir tun können. Diese Abwägung erfordert manchmal eine fast übermenschliche Nüchternheit. Aber es ist notwendig, so vorzugehen.

Deutschland will nach langer Diskussion nun Leopard-Panzer liefern. Sind Sie zuversichtlich, dass die anderen EU-Länder bald nachziehen?

Wir leisten mit der Lieferung der Leopard-Panzer einen weiteren wichtigen Beitrag zur Unterstützung der Ukraine. Es war gut und richtig, das im Kreis unserer engsten Partner entsprechend eng abzustimmen. Ich hoffe und bin zuversichtlich, dass auch unsere europäischen Partner die Ukraine in entsprechender Weise unterstützen.

Sie hoffen es – oder sind Sie sich sicher?

Ich gehe davon aus, dass auch andere europäische Länder bald weitere substanzielle Unterstützung an die Ukraine leisten werden.

Der Winter ist bald vorbei – und Deutschland ist viel besser durchgekommen, als selbst die größten Optimisten vorhergesagt haben. Da könnte sich die Ampel doch eigentlich ein wenig freuen. Aber man weiß nicht, ob die Stimmung in der Koalition noch schlecht oder schon mies ist. Wie kann das sein?

Ich teile die Analyse, dass wir das Land gut durch den Winter gebracht haben. Die Lage im Land ist besser als die Stimmung in der Regierung. Ich stelle mir diese Frage auch, warum das so ist.

Und ihre Antwort lautet?

Ich möchte nichts beschönigen, denn für viele Menschen und Unternehmen gibt es derzeit Härten. Aber ich denke schon, dass man objektiv sagen kann, dass die Regierung im Ergebnis erfolgreich arbeitet. All die Prognosen der Kassandra-Rufer sind nicht eingetroffen – seien es die Vorhersagen einer Kernschmelze der Industrie oder eines Wut-Winters.

Das erklärt aber noch nicht, warum in der Ampel gilt: Lage besser als erwartet, Stimmung schlimmer als befürchtet.

Wir sind drei Parteien in der Regierung, die so noch nie zusammengearbeitet haben. Wir sind keine einäugige Koalition, in der alle Partner aus der gleichen Perspektive auf die Probleme schauen. Vielmehr haben wir durch drei unterschiedliche Partner einen 360-Grad-Blick. Der führt manchmal dazu, dass man länger und intensiver über die Probleme diskutiert – aber eben auch umfassender und dadurch zu erfolgreichen Lösungen gelangt.

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In den besonders düsteren Zeiten der Regierung von Union und FDP zwischen 2009 und 2013 beschimpften sich die sogenannten Koalitionspartner gegenseitig als "Wildsau" und "Gurkentruppe". Manchmal hat man den Eindruck, dass es bald auch in der Ampel so weit sein könnte.

Da kann ich Sie wirklich beruhigen. Einzelne schrille Stimmen gibt es hier und da, keine Frage. Aber ich kann nur sagen: Im Kabinett diskutieren wir zwar auch oft intensiv, aber immer mit Stil und Anstand.

Das heißt, eigentlich ist alles bestens?

Es ist doch so: Die Schlagzeile "Hund beißt Mann" ist langweilig, "Mann beißt Hund" dagegen ist interessant. Die vielen guten Gespräche, die wir in der Ampel führen, sind für Journalisten langweilig. Wenn sich dagegen hin und wieder mal Leute etwas gegenseitig an den Kopf werfen, greifen es alle Medien auf. Das prägt das Bild, ist aber nicht repräsentativ.

Um in Ihrem Bild zu bleiben: Wie oft gilt denn in der Koalition "Mann beißt Hund"?

Es ist ja normal und selbstverständlich, dass wir unterschiedliche Perspektiven haben. Aber wir diskutieren mit Sachverstand und im Bemühen, gegenseitig Verständnis aufzubringen und die Probleme zu lösen. Dass es immer wieder einzelne Punkte gibt, bei denen man auch mal länger sprechen muss, ist ganz natürlich. Der Maßstab für gute Regierungspolitik ist doch, ob man rechtzeitig gute Entscheidungen trifft. Und das vergangene Jahr hat gezeigt, dass die Fortschrittskoalition dazu in der Lage ist: Wir waren bei jeder Herausforderung entscheidungsfähig und haben zum Teil sehr mutige und fundamentale Entscheidungen getroffen. Bislang können wir sagen, dass diese Entscheidungen auch zu funktionierenden Lösungen geführt haben.

Wir fassen zusammen: Die Stimmung in der Ampel ist deutlich besser als zu Zeiten der schwarz-gelben Koalition unter Angela Merkel. Korrekt?

Das ist sehr zugespitzt.

Ist es denn falsch?

Ich will es dabei belassen. Im Vergleich zu damals kann ich nur sagen: Sie legen nicht den höchsten Maßstab an. Aber damals hat jeder seinen Teil beigetragen.

Dass die Koalition bis zum Ende der Wahlperiode hält, ist sicher?

Da muss ich keine Sekunde überlegen: absolut sicher.

Eines der größten Streitthemen in der Ampel ist derzeit die sogenannte Vorratsdatenspeicherung, also die Frage, ob und wie lange der Staat Verbindungsdaten von Bürgern speichern darf. Sie wollen das erst nach einem Richterentscheid erlauben, Nancy Faeser ist dagegen. Sind Sie erleichtert, wenn die Innenministerin sich bald vorrangig um Hessen kümmert, weil sie dort Ministerpräsidentin werden will?

Die deutschen Regeln über die anlasslose Vorratsdatenspeicherung verstoßen gegen europäisches Recht. Das hat der Europäische Gerichtshof eindeutig entschieden. Ich will die Vorratsdatenspeicherung abschaffen und durch ein neues Instrument ersetzen. Darüber spreche ich gerade mit der Innenministerin. Ich habe ein sehr gutes Arbeitsverhältnis zu Nancy Faeser.

Das müssen Sie jetzt sagen.

Nein, keine Sorge. Erst in dieser Woche saßen wir wieder zwei Stunden zusammen und sind bei vielen Projekten, die unsere Häuser zusammen bearbeiten, gut vorwärtsgekommen. Bei der Vorratsdatenspeicherung ist für mich klar: Wir dürfen Menschen nicht unter einen Generalverdacht stellen. Mit Quick Freeze habe ich deshalb eine Alternative vorgeschlagen, die effektiv und zugleich verhältnismäßig ist. Sie ist außerdem rechtssicher. Darüber sind sich auch alle einig.

Alle – bis auf Frau Faeser.

Ich bitte Sie! Auch Frau Feaser bezweifelt nicht die Rechtssicherheit und juristische Sauberkeit meines Vorschlags, sondern sie ist politisch einer anderen Auffassung. Wir wollen da bald zu einer Lösung kommen.

Würden Sie sie denn vermissen, wenn sie die Wahl in Hessen gewinnen würde?

Ich will, dass wir gute Lösungen finden. Am besten möglichst viele und möglichst schnell. Da geht es um Sachfragen, nicht um eine persönliche Dimension.

Aber Sie und Frau Faeser sind unterschiedlicher Meinung.

Das Innenministerium ist traditionell das Haus der Sicherheit, das Justizministerium traditionell das Haus der Freiheit. Natürlich gibt es da Reibungspunkte, aber ich schätze den Umgang mit Nancy Faeser.

Die SPD ist im Moment insgesamt nicht besonders gut auf Sie zu sprechen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, sagte über Sie: „Wir wünschen uns, dass er die Schlagzahl bei den Projekten erhöht, die im Koalitionsvertrag stehen.” Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Mein Eindruck ist, dass vor der Berlin-Wahl bei manchen der Puls ein wenig arg gestiegen ist. Da wird der Versuch unternommen, von den dortigen Problemen des Senats abzulenken. Die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt ist dramatisch, weil jahrelang zu wenig gebaut wurde. Für die eigenen Fehler und die schlechte Lage sucht man nun kurz vor den Wahlen einen Sündenbock – da ist man aber bei mir falsch. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir pro Jahr 400.000 neue Wohnungen fertigbauen wollen. Dem hinken wir leider deutlich hinterher. Ich würde mir wünschen, dass wir hier die Schlagzahl erhöhen. In meinem Ministerium arbeiten wir in hohem Tempo an vielen Themen.

Auf einer Skala von 1 (extrem langsam) bis 10 (am schnellsten): Wie zügig arbeitet denn Ihr Ministerium?

Ich scheue keinen Vergleich zu anderen Ministerien: Da gebe ich meinem Haus eine 10. Ich will, dass wir das Tempo hochhalten.

Die Kritik von Herrn Fechner klang mehr nach einer 3.

Langsamkeit lasse ich mir nicht vorwerfen. Niemand konnte sich etwa vorstellen, wie schnell wir den Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch abgeschafft haben.

… der bislang die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellte.

Genau. Da habe ich sogar selbst am Gesetzentwurf mitgeschrieben, um das Verfahren zu beschleunigen.

Im Justizministerium schreibt der Minister die Gesetze noch selbst?

Das war natürlich die Ausnahme. In der Regel gehen die Dinge ihren normalen Weg über die Fachebene. Und das ist auch gut so für die Qualitätssicherung. Aber in diesem Fall wusste ich genau, welche Änderung ich in der sehr guten Vorlage meiner Fachebene haben möchte, und mir war auch klar, wie ich es formulieren musste. Also habe ich mir die zusätzliche Runde gespart.

Wenn sich die Koalition nicht auf eine Planungsbeschleunigung einigen kann, machen Sie wenigstens Ihre eigene?

So würde ich das nicht formulieren. Aber wenn Sie das sagen wollen – meinetwegen.

Die Koalition will den Ausbau der Infrastruktur beschleunigen. Die FDP möchte allerdings, dass das auch für Autobahnen gilt, die Grünen sind dagegen.

Ja, wir wollen schneller werden. Und zwar insgesamt. Wir müssen schneller Windräder und Stromnetze bauen, aber auch unsere Infrastruktur stärken. Deshalb muss das eben auch für den Ausbau der Autobahnen gelten. Die Entscheidung für eine Straße ist ja keine Entscheidung gegen Klimaschutz. Denn auch Wasserstoff- und Elektroautos brauchen Straßen.

Warum einigen Sie sich mit Grünen und SPD nicht erst einmal über alles andere und verhandeln später über die Autobahnen?

Wenn es in der ersten Verhandlung keine Lösung in dieser Frage gibt, wieso sollte es dann ein paar Wochen oder Monate später eine geben? Wir haben das ja übrigens eigentlich schon entschieden – schauen Sie mal in den Koalitionsvertrag. Da haben wir vereinbart, dass wir die Planungsverfahren mindestens um die Hälfte verkürzen wollen.

Die FDP will mehr Tempo, wirkt aber wie der Bremsklotz der Koalition. Ist das nicht kurios?

Das Gegenteil ist richtig. Wir haben viele wichtige Vorhaben im Koalitionsvertrag – und wollen nun nicht hinter die Ziele, die wir uns dort gesetzt haben, zurückfallen.

Angesichts Ihrer Erfahrung mit SPD und Grünen auf Bundesebene: Würden Sie Ihren Berliner FDP-Kollegen empfehlen, nach der Wahl am Sonntag eine Ampelkoalition auf Landesebene einzugehen?

Darauf gibt es zwei Antworten.

Lassen Sie uns raten: Das entscheiden die Parteifreunde vor Ort.

Genau. Und die zweite heißt: Generell gilt, dass eine Landesregierung mit FDP besser ist als ohne.

Herr Buschmann, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Interview mit Marco Buschmann in Berlin
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