Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Verkehrsminister Wissing "Dann freut sich am Ende einer: Wladimir Putin”
Er muss einen Nachfolger für das 9-Euro-Ticket erarbeiten, die marode Bahn sanieren – und Deutschland endlich digitalisieren. Ein Gespräch mit FDP-Minister Volker Wissing über seine gigantischen Aufgaben.
Volker Wissing ist nie allein in seinem Büro. Mehrere schwarze Möpse aus Plastik sitzen immer bei ihm. Sie sind am Eingang und in einer kleinen Sitzecke postiert. Einige schauen eher skeptisch, andere vergnügt. Die Hunde-Plastiken hatte Wissing bereits, als er noch Minister in Rheinland-Pfalz war. Der 52 Jahre alte Jurist hat sie mit nach Berlin genommen, als er Bundesminister für Digitales und Verkehr wurde.
Schließlich hatte der FDP-Politiker in Mainz die Erfahrung gemacht, dass sie bei Gästen sofort für Gesprächsstoff sorgen und die Atmosphäre auflockern. Vielleicht wird es auch deshalb ein ausführliches Interview, bei dem zwischen all den ernsten Themen immer mal wieder gelacht wird.
t-online: Herr Wissing, der Bund und die Länder haben sich grundsätzlich geeinigt, dass es ein bundesweit gültiges Nahverkehrsticket für 49 Euro geben soll. Der Schönheitsfehler besteht darin, dass es noch Streit über die Finanzen gibt. Ist der 1. Januar als Startzeitpunkt überhaupt realistisch?
Volker Wissing: Wir haben uns in der vergangenen Woche über die technischen Fragen geeinigt, also etwa darüber, dass das Ticket papierlos im Abo erhältlich sein und deutschlandweit gelten soll. Das sind entscheidende Punkte, um jetzt weiterarbeiten zu können. Bislang läuft alles nach Plan.
Aus Sicht der Länder nicht.
Der Bund hat sich bereit erklärt, 1,5 Milliarden Euro für das Deutschland-Ticket zu geben. Die Länder haben bereits zugestimmt, die gleiche Summe beizutragen, knüpfen das aber an eine Erhöhung der Gelder, mit denen der Bund die Länder bei der Organisation des Nahverkehrs unterstützt. Diese Frage muss nun die Ministerpräsidentenkonferenz klären. Ich hätte die Fragen gerne getrennt voneinander gelöst.
Ein Treffen zwischen den Ministerpräsidenten und dem Kanzler findet aber wahrscheinlich erst im November statt.
Weil wir die technischen Details trotzdem weiter vorantreiben, steht einem Start möglichst zum Jahresbeginn nichts im Wege, sobald die Finanzfragen geklärt sind. Das ist zumindest meine Hoffnung.
Haben Sie die Zusage Ihres Parteifreundes Christian Lindner, dass die Einführung des 49-Euro-Tickets am Ende nicht an einer Milliarde Euro mehr für den Nahverkehr scheitern wird?
Ich halte nichts davon, öffentlich über Finanzfragen zu spekulieren.
Kann die Politik es sich denn überhaupt leisten, dass dieses Ticket noch scheitert?
Wir müssen etwas verändern, weil wir vor einer gigantischen Aufgabe stehen: Wir müssen den Verkehrssektor bis 2045 klimaneutral machen und dabei mobil bleiben. Dieses Ziel erreicht man dadurch, dass man etwas tut. Deshalb brauchen wir attraktive Angebote – und dafür müssen wir Barrieren abbauen. Solche Barrieren sind die Komplexität der Verkehrsverbünde, der Tarifdschungel, die unglaublich hohen Einstiegspreise gerade in ländlichen Regionen. Dagegen ist das neue Ticket einfach und unkompliziert. Und es ist doch toll, künftig in ganz Deutschland ohne nachzudenken in den Bus oder die Bahn steigen zu können.
Wir werten die Antwort jetzt einfach mal als: Nein, die Politik kann sich ein Scheitern nicht leisten.
Die Bürgerinnen und Bürger wollen das Ticket und warten darauf.
Das neue Ticket soll es nur digital geben. Brauchen künftig auch alle älteren Menschen ein Smartphone?
Es geht nicht darum, dass ein Smartphone die Voraussetzung ist, um den öffentlichen Personennahverkehr zu nutzen. Es gibt zum Beispiel auch Fahrausweise im Scheckkartenformat, die digital lesbar sind. Wir wollen niemanden überfordern, aber das mit dem Nadeldrucker ausgedruckte Papierticket ist nicht die Zukunft. Denn es liefert keine Daten, mit denen wir den ÖPNV verbessern können.
Sie könnten beim 49-Euro-Ticket genauer auswerten, wer es wo und wann nutzt. Fürchten Sie dabei nicht Bedenken der Datenschützer?
Nein, denn es geht nicht darum, zu erfassen, wer wann wohin fährt. Wir brauchen keine personenbezogenen Daten, aber Informationen darüber, wie Strecken genutzt werden. Nur dann können wir auch das Angebot passgenau gestalten.
Für 49 Euro pro Monat den Nahverkehr in ganz Deutschland nutzen zu können, ist nicht teuer. Aber deutlich teurer als 9 Euro. Mit wie vielen Abonnenten rechnen Sie?
Es gibt Marktanalysen, die nahelegen, dass die Hälfte derjenigen, die ein 9-Euro-Ticket gekauft haben, auch ein Ticket für 49 Euro kaufen würden. Wir haben das Ticket bewusst als Abo angelegt, damit man sich nicht jeden Monat neu für ein Ticket entscheiden muss.
Und wer sparen will, kündigt das Abo einfach während seiner Urlaube?
Es meldet ja auch kaum einer sein Auto während des Sommerurlaubs ab. Aber natürlich kann man es jederzeit zum Monatsende kündigen. Es ist wie bei anderen digitalen Dienstleistungen: Man schließt ein Abo ab und der Anbieter ist selbstbewusst genug zu sagen: Mein Angebot ist so gut, dass du als Kunde dabeibleibst. Mit diesem Selbstbewusstsein müssen wir das auch machen. Und wenn die Leute wider Erwarten unzufrieden sind, müssen wir eben unser Angebot verbessern.
Trotzdem: In Ballungsräumen sind 49 Euro nicht viel, in ländlichen Regionen, wo nur ab und zu ein Bus kommt, dagegen schon.
Das ist vor allem auch ein Ticket für den ländlichen Raum. In den Städten sind die Tickets heute schon günstiger als auf dem Land. Ein Einzelticket kostet auf dem Land schnell mehr als zehn Euro, ein Monatsticket auch mal 300 Euro. Und damit kann man dann zum Beispiel wegen der Tarifzonen nur zur Arbeit fahren, in der Freizeit aber nicht auch andere Strecken nutzen. Das beenden wir. Deshalb werden gerade auch die Menschen in ländlichen Regionen profitieren. Und weil mir das wirklich wichtig ist: Wir müssen endlich aus diesen Entweder-oder-Diskussionen rauskommen.
Was meinen Sie damit?
Wer in der Stadt lebt, braucht häufig kein Auto. Auf dem Land ist man aber darauf angewiesen. Auch wenn der Bus jede Stunde statt nur alle zwei kommt, schafft deshalb kaum jemand sein Auto ab. Es geht nicht um "Entweder Auto oder ÖPNV", sondern um beides. Wir müssen vernetzt denken: Man fährt mit dem Auto oder dem E-Bike zum nächsten Bahnhof und steigt dort in den Zug, der einen schnell in die Stadt bringt. Ich möchte den Leuten nicht verbieten, mit dem Auto zu fahren, und sie auch nicht zwingen, den Zug zu nutzen. Ich möchte die Möglichkeit, den ÖPNV zu nutzen, deutlich vereinfachen und ihn damit attraktiver machen.
Dann müssen Sie allerdings auch viele Bahnhöfe umbauen und Stellplätze für Fahrräder und Autos schaffen.
Das wird eine gigantische Aufgabe: Zum Beispiel brauchen wir an viel mehr Bahnhöfen Fahrradparkhäuser. Und die müssen digital buchbar sein. Es bringt ja niemandem etwas, wenn er ankommt und keinen sicheren, geschützten Stellplatz für sein E-Bike hat.
Was ist denn mit Menschen, die sich 49 Euro pro Monat nicht leisten können?
Die Länder und Kommunen haben wie bislang auch die Möglichkeit, mit Vergünstigungen für Teilhabe zu sorgen. Gleiches gilt natürlich für den Schülertransport, Job- und Semestertickets und Ähnliches.
Und wie könnte das konkret umgesetzt werden?
Meine Empfehlung wäre, dass all diese Fragen ausgehend vom Deutschland-Ticket geklärt werden. Von dessen Preis sollten mögliche Rabatte abgezogen werden. Sonst behalten wir am Ende das Ticket-Wirrwarr von heute. Die Menschen wollen weniger Komplexität – Angebote, die jeder auf Anhieb versteht.
Könnten auch Arbeitgeber einen Zuschuss für das 49-Euro-Ticket zahlen?
Das ist möglich. Wie vieles andere mehr, da setzen wir keine Grenzen. Mit einem Arbeitgeberzuschuss haben wir bei Job-Tickets heute schon sehr gute Erfahrungen. Entscheidend ist, dass die 49 Euro pro Ticket tatsächlich im Verkehrssystem ankommen.
Kommen wir zur Deutschen Bahn. Der Konzernvorstand hat 2021 eine fixe Vergütung von fast 3,8 Millionen Euro bekommen. Entspricht das eigentlich dem, was der FDP-Politiker Volker Wissing unter leistungsgerechter Bezahlung versteht?
Ich habe nicht über die Höhe der Vergütung entschieden. Die Bahn hat – und das ist für mich keine Floskel – enorme Priorität. Ich will mit den Menschen, die Lust und Leidenschaft haben, die Bahn zu modernisieren, wirklich etwas ändern und verbessern. Mit dem Vorstand führe ich sehr gute Gespräche und bin überzeugt, dass das ein hochmotiviertes Team ist, um das Netz zu sanieren, die Schiene zu modernisieren und damit für mehr und pünktlichere Züge zu sorgen.
Das Problem ist nur: Die Topmanager haben schon oft versprochen, dass jetzt wirklich alles besser wird. Es kam dann nur meistens anders.
Ich kenne die Probleme gut.
Aber was macht Sie so zuversichtlich, dass sich nun tatsächlich etwas verbessert?
Eines der größten Probleme in der Vergangenheit war, dass an Strecken gebaut wurde, während sie noch genutzt wurden. Das ändern wir nun: In den nächsten Jahren sperren wir nacheinander die wichtigsten Korridore für jeweils ein paar Monate, um sie nicht nur grundlegend zu sanieren, sondern gleichzeitig auch zu modernisieren – so vermeiden wir Baustellenchaos.
Ist es realistisch, dass die Sanierung der wichtigsten Schienenkorridore bis 2030 gelingt, so wie Sie es planen?
Ich gehe davon aus. Wir machen ja viel mehr, als nur die wichtigsten Korridore zu sanieren. Damit wir sie sperren können, brauchen wir rechtzeitig alternative Routen für die Züge. Deshalb sanieren wir zuerst die Nebenstrecken.
Es müssen aber zusätzlich noch einige Bahnstrecken neu gebaut werden, um schnellere Verbindungen zu ermöglichen. Was lässt sich von den LNG-Terminals lernen, die gerade binnen weniger Monate errichtet werden?
Wir können lernen, dass Planungsbeschleunigung möglich ist. Und wir ziehen auch bereits konkrete Schlüsse: Bestimmte Planungsphasen werden auch bei Verkehrsinfrastrukturprojekten deutlich verkürzt. Damit sparen wir zum Beispiel im Bereich der Schiene zum Teil mehrere Jahre ein. Die heutige Ausnahme soll also der künftige Normalfall werden. Um deutlich mehr Tempo geht es übrigens auch bei der Digitalisierung …
… die in Deutschland weiterhin stockt.
Noch, ja. In den vergangenen Jahren wurde viel geredet, dass sich endlich etwas tun muss. Aber die Basis dafür wurde nicht geschaffen.
Worauf wollen Sie hinaus?
Für eine erfolgreiche Digitalisierung braucht es einheitliche Standards. Zum Beispiel eine bundesweite digitale Identität. Wenn jedes Bundesland eine eigene definiert und der Bund auch noch eine, gibt es 17 verschiedene. Dann wird das nichts.
Der Föderalismus ist also mal wieder das Problem.
Der Föderalismus ist kein Problem, aber eine Herausforderung. Einige sagen, es sei schwieriger, im Föderalismus Digitalisierung voranzubringen. Ich sage, es ist möglich, und deswegen müssen wir es einfach tun. Wir hinken bei der Digitalisierung auch hinterher, weil wir eine seltsame Affinität zum Papier haben. Das 9-Euro-Ticket wurde rund 52 Millionen Mal verkauft, die Hälfte davon waren Papiertickets. Das kann so nicht bleiben.
Dass das Ticket für 49 Euro nicht in Papierform erhältlich sein wird, ist also der sanfte Zwang des Verkehrsministers?
Eher des Digitalministers. Manche Anstöße müssen einfach vom Bund kommen, damit es vorwärts geht. Wir wollen die Länder nicht bevormunden, sondern mit ihnen zusammenarbeiten und sie unterstützen. Es geht hier um eine historische Chance, den ÖPNV zu reformieren.
Gehen wir ein paar konkrete Punkte durch, die für eine erfolgreiche Digitalisierung ebenfalls wichtig sind. Bis wann haben alle Haushalte Zugang zu einem Breitband-Anschluss?
Bis 2030 soll Deutschland flächendeckend mit Glasfaser versorgt sein und es soll überall dort, wo Menschen sich bewegen, leben und arbeiten, auch 5G geben.
Wann ist das letzte Funkloch geschlossen?
Auch 2030. Und man muss sagen: Es sind schon deutlich weniger geworden. Nur noch 3,6 Prozent der Fläche Deutschlands sind weiße Flecken, wo es also keinen Mobilfunkempfang gibt. Diese Lücken werden geschlossen, vor allem durch eigenwirtschaftlichen Ausbau und Versorgungsauflagen. Die Mobilfunkförderung des Bundes unterstützt den Ausbau dort, wo es für die Unternehmen nicht wirtschaftlich ist.
Bis wann sind alle wichtigen Verwaltungsdienstleistungen digitalisiert?
Die Umsetzung wird von der Bundesregierung unter Hochdruck vorangetrieben. Voraussetzung für die Nutzung vieler Verwaltungsdienstleistungen online ist vor allem eine digitale Identität, damit die Bürger sich online gegenüber dem Amt auch ausweisen können. Das ist die Grundlage für die weiteren Schritte. Und die bekommen wir in dieser Wahlperiode hin.
Das heißt: Es gibt bis 2025 auch einen elektronischen Personalausweis, mit dem man etwas anfangen kann?
Die Grundlage dafür ist die digitale Identität. Und wir brauchen die Anwendungsmöglichkeiten, für die man diese eID einfach nutzen kann. Genau daran arbeiten wir.
Und jeder bekommt dann automatisch einen elektronischen Personalausweis?
Den gibt es ja jetzt schon. Er wird aber noch zu wenig genutzt. Wir wollen die digitale Identität für alle einfacher machen und auf das Smartphone holen. Und ich will das an dieser Stelle einmal ganz grundsätzlich sagen: Wir können nicht dauerhaft in der Verwaltung digital und analog parallel arbeiten, ineffiziente Doppelstrukturen passen nicht zu einem modernen Deutschland.
Lassen Sie uns abschließend noch über den Zustand der Koalition reden. Keine der Ampelparteien leidet so unter dem Bündnis wie die FDP: Vier Landtagswahlen in diesem Jahr liefen desaströs für Ihre Partei, in den Umfragen liegen sie bundesweit bei sechs bis acht Prozent. Woran liegt das?
Wir sind in diesen Krisenzeiten mit einer Fülle von schwierigen Entscheidungen konfrontiert; die Krise verlangt ungewöhnliche Schritte von uns. Das hindert uns aber nicht daran, auf der Grundlage unseres klaren politischen Profils nach vorn zu schauen. Mit Blick auf die Umfragen galt schon immer: entscheidend ist das nächste Wahlergebnis.
Sie gehen aber davon aus, dass Sie mindestens bis 2025 hier im Ministerium sitzen?
So lange dauert die laufende Legislaturperiode, also ja. Die FDP tut einer Regierung in Zeiten des Wandels gut. Denn wir wollen die Menschen in kein Korsett zwingen. Stattdessen wollen wir sie mitnehmen, indem wir gute Angebote und Anreize schaffen – wie zum Beispiel das Deutschland-Ticket. Aus einem Korsett wollen sich Bürger befreien – und das zu Recht. Als FDP wollen wir Avantgarde sein und das Land innovativ, freiheitlich und optimistisch gestalten. Das werden die Menschen am Ende honorieren. Ich sehe ein ganz anderes Problem.
Und zwar?
Unsere Demokratie wird gerade sehr stark strapaziert. Deshalb ist es so wichtig, dass wir durch diese schwierige Zeit gemeinsam gut durchkommen. Wenn die politischen Ränder stärker werden, wenn also der Extremismus in Deutschland weiter an Boden gewinnt, dann freut sich am Ende vor allem einer: Wladimir Putin.
Herr Wissing, vielen Dank für dieses Gespräch.
- Persönliches Interview mit Volker Wissing im Verkehrsministerium in Berlin