"Haben nicht das beste Bild abgegeben" Grünen-Chefin Lang zeigt sich selbstkritisch
Bei "Anne Will" wurde über die Folgen der Niedersachsen-Wahl für die Bundespolitik diskutiert – aber ohne Vertreter der abgestraften FDP. Die Sieger gaben sich demütig.
"Wahlen in unsicheren Zeiten – Bekommt die Ampel die Quittung für ihre Krisenpolitik?" lautete das Thema der gestrigen "Anne Will"-Ausgabe. Weil aber zwei der drei Berliner Koalitionsparteien voraussichtlich die nächste Landesregierung in Hannover bilden werden, ließ sich die Frage in dieser Form nicht beantworten.
Nicht nur die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach diagnostizierte einen "Amtsinhaberbonus" des bestätigten SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil und sah "landespolitische Anteile" in dem Wahlergebnis.
Auch SPD-Chef Lars Klingbeil betonte, dass Stephan Weil zur Wahl gestanden habe, und Jens Spahn, stellvertretender Unionsfraktionsvorsitzender, räumte ein, man müsse anerkennen, dass es Weil gelungen sei, die Wahl auf seine Person zu fokussieren. Die CDU dagegen sei nach der verlorenen Bundestagswahl "noch nicht wieder in der Kompetenzvermutung".
- Lars Klingbeil, SPD-Vorsitzender
- Ricarda Lang, Grünen-Vorsitzende
- Jens Spahn, stellvertretender Unions-Fraktionsvorsitzender
- Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin
- Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur "Die Welt"
Der stellvertretende "Welt"-Chefredakteur Robin Alexander befand, das Ergebnis der Grünen sei "nicht so gut, wie's aussieht" und verwies auf Umfragewerte von 20 Prozent im August. Statt ihrem Ziel näher zu kommen, die SPD strukturell als Führungskraft im linken Lager abzulösen, sei die Partei nun wieder in der alten "Juniorrolle". Frust über die Ampelregierung habe indes nicht für die CDU zu Buche geschlagen, sondern für die AfD.
FDP nicht in der Runde vertreten
Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang gab zu, dass ihre Partei sich "ein paar Prozent mehr" gewünscht hätte, stritt aber auf Anne Wills Nachfrage zur "vermurksten Gasumlage" ab, dass die Performance von Robert Habeck einen größeren Erfolg verhindert habe. Der Vizekanzler übernehme gerade "Verantwortung für multiple Krisen" und habe gezeigt, dass er seinem Amt auch in stürmischer Zeit gewachsen sei.
Da kein Vertreter der abgestraften Liberalen in der Runde zugegen war, musste das Christian-Lindner-Zitat "Wir überdenken die Rolle der FDP in der Koalition" per Einspieler in die Diskussion gebracht werden. Journalist Alexander sah in der Versuchung, "Profil gegen die eigenen Koalitionspartner aufzubauen", eine "große Falle für die FDP", denn für die Wähler sei eine Partei "entweder Regierung oder Opposition".
Auch Politologin Julia Reuschenbach äußerte Zweifel, ob es in der Ampel "noch viel Platz nach oben gibt für Profilierungsoptionen", schließlich sei das Bündnis seinem Stil-Anspruch zuletzt ohnehin schon nicht mehr gerecht geworden.
Lang: "Wir haben in den letzten Wochen nicht das beste Bild abgegeben"
Ricarda Lang zeigte sich selbstkritisch: "Ja, wir haben in den letzten Wochen nicht das beste Bild abgegeben, was den Umgang miteinander angeht", so die Grünen-Chefin. Jetzt aber müsse die Ampel "liefern, wenn es darum geht, die Gaspreise zu deckeln, Unternehmen zu unterstützen und die erneuerbaren Energien auszubauen".
Hier meldete sich Jens Spahn zu Wort und monierte, dass "seit Monaten nicht entschieden" werde, obwohl es seit März Konzepte zum Gasgrundbedarf gebe. Stattdessen streite die Regierung "jeden Tag". Ob Kernenergie oder Schuldenbremse – an keiner Stelle sei sich die Ampel einig.
Klingbeil wirft der Opposition einen "Krawallkurs" vor
Dem trat Lars Klingbeil mit einer Aufzählung des bisherigen Regierungshandelns entgegen: Seit Ende Februar habe man das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr, drei Entlastungspakete mit knapp 100 Milliarden Euro Volumen, die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro und zuletzt 200 Milliarden Euro für die Gaspreisbremse beschlossen. Friedrich Merz sei dagegen in der Anfangsphase des Ukraine-Kriegs mit dem Vorschlag hervorgetreten, deutscherseits die Gaspipelines zuzudrehen, "damit wir es Putin mal richtig zeigen". Wäre das gemacht worden, "würden wir jetzt nicht über 200 Milliarden, sondern viel mehr reden".
Jens Spahns Empfehlung, nicht selbstzufrieden zu sein, wies Klingbeil zurück: "Niemand ist hier selbstzufrieden." Stattdessen warf er der Opposition einen "Krawallkurs" vor.
Von dort war der Weg nicht mehr weit zu Friedrich Merz' Wort vom "Sozialtourismus" ukrainischer Flüchtlinge, für das er sich zwischenzeitlich entschuldigt hat, sowie vom "Pull-Faktor", den seiner Meinung nach das Bürgergeld darstellt. "Wir wollen Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, nicht in die Sozialsysteme", bekräftigte Jens Spahn die Position seines Parteichefs. Es sei wichtig, diese Debatte zu führen und sie nicht "den Vereinfachern" zu überlassen. "Man stärkt die AfD, wenn man rechte Narrative benutzt", warnte dagegen Ricarda Lang. "Populismus hat Methode", so die Grünen-Chefin.
Klingbeil: Maßnahmen sollen dieses Jahr noch greifen
Im letzten Teil der Sendung wurde dann über die für den heutigen Montag anvisierten Ergebnisse der Expertenkommission zur Gaspreisbremse spekuliert. "Kann es passieren, dass die Kommission nur eine Einmalzahlung vorschlägt?", wollte die Moderatorin im Hinblick auf entsprechende Äußerungen der Wirtschaftsweisen und Kommissionsvorsitzenden Veronika Grimm wissen.
Er setze darauf, dass es eine "Mischung sein wird aus Sparanreizen und finanzieller Entlastung", erklärte dazu Lars Klingbeil, und er gehe davon aus, dass die Maßnahmen dieses Jahr noch greifen.
- "Anne Will" vom 9.10.2022