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Zum journalistischen Leitbild von t-online.SPD-General kontert Kritik Kühnert: Söder will "Schulhofprügelei" mit Scholz
Hilft der "Doppelwumms" gegen horrende Strompreise? SPD-Generalsekretär verteidigt das Vorhaben der Regierung – und kontert den Spitzen der Opposition.
Als "Doppelwumms" bezeichnete Kanzler Olaf Scholz vor Kurzem den 200 Milliarden Euro schweren Rettungsschirm, den die Bundesregierung gegen die steigenden Energiepreise aufspannen will. Aber wirkt dieser vermeintliche "Doppelwumms" tatsächlich – und müssen sich Bürger und Bürgerinnen keine Sorgen machen, so wie Scholz das suggeriert? Darüber diskutierten Sonntagabend bei "Anne Will" unter anderen Mitglieder der Bundesregierung sowie der Opposition.
Die Gäste
- Kevin Kühnert (SPD), Generalsekretär
- Christian Dürr (FDP), Vorsitzender der Bundestagsfraktion
- Andreas Jung (CDU), Stellvertretender Bundesvorsitzender und energiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion
- Sabine Werth, Gründerin und Vorsitzende Berliner Tafel e.V.
- Antje Höning, Leiterin der Wirtschaftsredaktion Rheinische Post
Zu Beginn der Sendung kam zunächst die Gründerin und Vorsitzende der Berliner Tafel, Sabine Werth, zu Wort. Werth sprach von einer zunehmenden Verarmung von Teilen der Bevölkerung: "Wir merken, dass viele Menschen mit dem Satz zu uns kommen: ‘Ich hätte nie gedacht, dass ich mal zur Tafel kommen muss, aber nach Corona sind meine Ersparnisse aufgebraucht’“.
Ihre Prognose bezüglich der Energiekrise: "Die Energiepreise werden sich erst auswirken. Im Moment ist die Panik einfach groß. Die Leute wissen nicht, welche Erhöhungen kommen werden”. Optimismus in der Bevölkerung bezüglich des Rettungsschirms der Ampelregierung sieht sie nur teilweise.
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Kühnert: Die vier Ziele des Rettungsschirms
SPD-Generalsekretär Kühnert erklärte, ihm sei bewusst, dass es eine gewisse Skepsis bezüglich der Ankündigung der Bundesregierung gäbe. Man habe aber eine Zusicherung abgegeben und sich auf einen Rettungsschirm geeinigt, der vier Ziele verfolge: "Erstens, die Unterstützung einer Strompreisbremse auf Grundbedarf. Zweitens, das Gleiche für Gas, sowohl für Privathaushalte, Betriebe, Industrie und für soziale Einrichtung zu schaffen. Drittens, die Gasimporteure – wie zum Beispiel Uniper – absichern zu können, eben Liquiditätshilfen für Unternehmen."
Dafür habe man ein Spielfeld von 200 Milliarden abgesteckt, über dessen genaue Details gerade eine Kommission tage. Auf eine Relativierung von Robert Habeck, in der der Vizekanzler erklärte, dass man ums Sparen nicht umhin kommen werde, reagierte der SPD-Mann gelassen. Natürlich sei auch Sparen angesagt – "auch wenn wir jetzt Grundbedarf durch diese enormen Mittel wieder bezahlbar machen".
Andreas Jung: "Wir haben jetzt die Preisexplosion"
Der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, Andreas Jung, übte indes schwere Kritik an der Bundesregierung. "Erst jetzt, zu Beginn der Heizperiode, formuliert die Regierung Ziele – nachdem sie den ganzen Sommer damit vertan hat, sich an der Gasanlage abzuarbeiten". Die Ampelkoalition habe damit "ein Maximum an Chaos" verursacht. Jetzt müssen konkrete Lösungen her, diese gäbe es aber nicht, so Jung: "Aber wir haben jetzt die Preisexplosion, wir haben jetzt die Existenznot".
Kühnert konterte mit Vorwürfen an die bisherige Politik der CDU und versprach rasche Lösungen. "Die Menschen werden das, was sie an Betriebskosten in den Briefkasten bekommen haben, so nicht zahlen müssen."
Dürr: "Für diese Krise haben wir keine Blaupause"
FDP-Mann Dürr versuchte etwas zu beschwichtigen. "Für diese Krise haben wir keine Blaupause. Das ist nicht einfach für alle Beteiligten", erklärte er. "Diese hohen Gaspreise kann sich niemand leisten. Kein Privathaushalt, kein mittelständisches Unternehmen. Dieser Abwehrschirm hat das Ziel, beim Hauptproblem anzusetzen: bei den hohen Preisen." Dürr habe sich bei der Gasanlage durchaus schnellere Ergebnisse gewünscht. Man setze aber mit den neuen Maßnahmen an der Wurzel des Problems an.
Für ihn gibt es drei wichtige Punkte: Erstens müsse man "an die Menge ran. Wir haben zu wenig Energie, da ist viel schief gelaufen." Zweitens: "Wir setzen direkt bei den Preisen an. Damit ist der Rettungsschirm gemeint." Als Punkt drei versprach er: "Da wo noch Bedürftigkeit ist, wird es weitere Wirtschaftshilfen geben."
Fundamentalkritik gab es von der Journalistin Antje Höning. "Mich wundert, dass die Liberalen an den Preisen herumdoktern. Preise sind ein wichtiges Signal, dass die Leute sparen". Die Regierung würde mit dem Rettungsschirm einen Sparanreiz für die Bevölkerung wegnehmen. "Ein zweites großes Problem der Gas- und Strompreise ist, dass die Bundesregierung mit der Gießkanne durchs Land läuft und verteilt", attestierte Höning. Dadurch würden auch Menschen Hilfe erhalten, die keine brauchen: "Ein Bayer-Chef braucht keinen Tankrabatt".
Kühnert: Rettungsschirm wirkt sofort und direkt
Kühnert erklärte daraufhin: "Die Alternativen haben wir in den letzten Monaten ausprobiert. Direktzahlungen oder Instrumente wie das Wohngeld. Die haben aber alle ein Problem: Sie kommen nachgelagert, nachdem die Kosten bereits entstanden sind. Die Rechnung ist immer bereits da." Der Rettungsschirm wirke hingegen sofort und direkt.
Jungs Kritik, Scholz habe es versäumt, sich ausführlich mit den einzelnen Ländern zu beraten, ließ Kühnert nicht gelten. "Was uns jetzt nicht hilft, ist eine längliche Problembeschreibung von irgendwelchen Sitzungen, die man abhalten hätte können." Der Bundeskanzler solle lieber effektiv mit einer Kommission arbeiten: "Wir haben einen Schuss frei und der muss sitzen".
Auch Dürr hält Gipfeltreffen von Landespolitikern als wenig zielführend. Das habe man während Corona an der großen Koalition gemerkt: "Da haben einige Candy Crush gespielt und danach gab’s Gründonnerstag", so der FDP-Mann.
Kühnert kritisiert Söder: Will eine Schulhofprügelei anzetteln
Kühnert hatte an diesem Abend auch eine Spitze gegen CSU-Chef Markus Söder parat. Dieser nehme "das ganze Entlastungspaket im Bundesrat Geiselhaft, weil er eine kleine Schulhofprügelei mit Olaf Scholz anfangen möchte". Dies sei unverantwortlich.
Von Gastgeberin Anne Will am Ende der Sendung darauf angesprochen, wann die Bevölkerung mit tatsächlichen Ergebnissen rechnen könne, betonte er einmal mehr: "Die Kommission wird in den nächsten ein, zwei Wochen zu ihren Ergebnissen kommen. Dann können wir sehr schnell zu einer Umsetzung kommen, wir können auch Dinge auch rückwirkend anwenden, dazu sind wir in der Lage. Insofern wird das jetzt sehr kurzfristig für die Menschen spürbar sein."
- ard.de: "Anne Will" vom 2. Oktober 2022