Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Putins Ukraine-Erpressung Für das höllische Nord-Stream-Problem gibt es nur eine Lösung
Die Gaspipeline zwischen Wyborg und Lubmin ist ein Baby der SPD. Im neuen Kalten Krieg, den Wladimir Putin ausgerufen hat, kann Deutschland aber gar nicht anders, als auf die Inbetriebnahme zu verzichten.
In diesen Tagen lässt sich erstmals die Methode Scholz studieren: Vorsichtig wirft er kleine Steine ins Wasser und beobachtet die zarten Wellen, die er damit erzeugt. Über die Gaspipeline Nord Stream 2 sagte er, die Entscheidung über die Inbetriebnahme obliege der Bundesnetzagentur, einer Behörde, die nach behördlichen Richtlinien arbeitet und nicht etwa ihm, dem Bundeskanzler.
Die Außenministerin gab einen anderen Hinweis. Nord Stream 2 müsse europäisches Recht einhalten, wozu gehöre, dass ein Gasproduzent nicht zugleich Pipelines betreiben darf. Auch Annalena Baerbock lässt ein Steinchen zu Wasser und beobachtet unschuldsvoll den Wellenschlag.
Beide betreiben die Reduktion des Komplexen. Darin liegt der übliche Vorgang in der Politik, die tagaus, tagein aus komplexen Problemen besteht, die zur besseren Behandlung aufs Verständliche heruntergebrochen werden. Routine sozusagen. Der Vorteil liegt darin, dass die Handelnden hinter den Problemen zuerst einmal verschwinden, indem sie sich auf Technisches berufen – eben auf die Bundesnetzagentur oder Europarecht.
Schröders vergiftetes Erbe
Natürlich glauben weder der Bundeskanzler noch die Außenministerin daran, dass sie damit durchkommen. Eine Etappe ist das, nicht mehr. So weit waren die Vorgänger in beiden Ämtern auch schon, sie wollten sich ähnlich herausreden und sind genau so daran gescheitert.
Nord Stream 2 ist zu einem höllischen Problem für die deutsche Regierung geworden und zudem ist es ein tückisches Erbe der SPD. Der Urheber arbeitet heute für den russischen Monopolisten Gazprom und heißt Gerhard Schröder. In seinen letzten Amtstagen als Bundeskanzler unterzeichnete er 2005 die Verträge. Durch den Übertritt in die Gazprom-Dienste kurz darauf war dieses Erbe von Anfang an vergiftet.
Zugegeben lagen die Verhältnisse damals anders. Wladimir Putin veränderte sich seither zu neuer Kenntlichkeit. Heute ist das Problem beispiellos komplex und liegt längst nicht mehr in deutschen Händen allein.
Auch der Westen verpasste viele Chancen
100.000 Soldaten hat Russland an die Grenze zur Ukraine verlagert. Warum wohl? Um den Westen zu erpressen. Entweder ihr verzichtet auf jedwede Einmischung in der Ukraine (und Georgien dazu) oder wir sorgen für klare Verhältnisse – diese Botschaft sendet Putin. Oder noch deutlicher: Entweder ihr sichert uns vertraglich zu, dass die Ukraine genauso wie Georgien in unserer Einflusszone liegt oder wir nehmen uns, was zu uns gehört und ihr könnt gar nichts dagegen machen. Oder wollt ihr etwa deswegen einen großen Krieg anfangen?
Zur ganzen Wahrheit gehört, dass einmalige Chancen zu dauerhaftem Frieden und friedlicher Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Westen vertan wurden, wobei in der ersten Etappe der Westen fahrlässig handelte. Nach der Wiedervereinigung war vieles möglich, sogar die Aufnahme Russlands in die Nato schien nicht ausgeschlossen zu sein. Noch am 25. September 2001 hielt Putin im Bundestag eine viel beachtete Rede, in der er den Kalten Krieg endgültig für beendet erklärte.
Dann die Rosenrevolution in Georgien 2003. Dann die Orange Revolution in der Ukraine 2004/05. Demokratie und Orientierung nach Westen. Beitritt zur EU und/oder Nato als Absicherungswunsch. Wohlwollen im Westen. Schwenk in Moskau mit Verratsvorwürfen. Kurzer Krieg gegen Georgien. Annexion der Krim und Stellvertreterkrieg in der Ostukraine.
Die Pipeline erzeugt Misstrauen überall
Eigentlich gab es schon 2005 gute Gründe, keinen weiteren Vertrag zur direkten Lieferung von Gas, an der Ukraine vorbei, nach Deutschland abzuschließen. Jetzt ist das Röhrensystem fertig, kostete acht Milliarden Euro. Lubmin, der Ankunftsort, liegt in Mecklenburg-Vorpommern, wo Manuela Schwesig als Ministerpräsidentin mit riesigem Interesse an der Inbetriebnahme amtiert und in Berlin regiert Olaf Scholz. Nord Stream 2 ist ein Baby der SPD und deshalb muss der Kanzler irgendwann sagen: Ich würde das Ding gerne wollen, aber ich kann nicht.
Die Europäische Union stellte das Junktim auf, dass Produzent und Netz nicht in einer Hand liegen dürfen. Eine Lex Putin. Polen und die baltischen Staaten sind entschieden dagegen, dass Deutschland Deals mit Russland in dieser Dimension eingeht. Die USA sind gegen Nord Stream 2, vermeiden aber einen Grundsatzkonflikt mit der Bundesregierung. Die Pipeline ist ein deutscher Sonderweg, der Misstrauen allüberall erzeugt.
Ein enormes strategisches Problem. Ein außenpolitisches Problem, das die Beziehungen innerhalb von Nato und EU verschlechtert. Abhängigkeit von einem auf Erpressung gepolten Autokraten. Ein Problem zwischen Ost und West im neuen Kalten Krieg. Die Ukraine als Spielball der Weltpolitik.
Mehr Komplexität geht nicht. Deutschland muss sich entscheiden. Auf den Bundeskanzler kommt es an. Unter diesen Umständen muss sich Olaf Scholz aus übergeordneten Interessen gegen das Baby der SPD wenden. Diesmal gilt, was selten gilt: Diese Entscheidung ist alternativlos.