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Corona in Sachsen – Wut gegen Ungeimpfte nimmt zu: "sture Böcke"


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Corona-Hotspot Sachsen
Ob geimpft oder nicht – die Wut eint die Bürger

Von Liesa Wölm, Pirna

Aktualisiert am 11.11.2021Lesedauer: 6 Min.
Leerer Marktplatz in Pirna: Viele Gastronomen sind wütend über die 2G-Regelung.Vergrößern des Bildes
Leerer Marktplatz in Pirna: Viele Gastronomen sind wütend über die 2G-Regelung.
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An wenigen Orten wütet die Pandemie so schlimm wie in der Sächsischen Schweiz. Zugleich lassen sich dort zu wenige Menschen impfen. Das zieht schärfere Maßnahmen nach sich – und viel Wut.

"Bei der 2G-Regelung mache ich nicht mit. Die Spaltung der Gesellschaft unterstütze ich nicht." Paula*, die ein kleines Café in der Altstadt von Pirna betreibt, ist wütend. Die Tische in ihrem Laden sind am Dienstagmittag leer. Aber nicht darüber zeigt sich die Gastronomin bestürzt, sondern über die Corona-Politik in Sachsen.

Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte die 2G-Regel am Montag landesweit eingeführt. Dies sei notwendig, um die "dramatische Entwicklung" der vierten Welle zu brechen, so Kretschmer.

Paula hat den Innenbereich in ihrem Café nicht nur für die Ungeimpften, sondern für alle geschlossen. "Dieses Modell kann zu einer Spaltung der Gesellschaft führen", sagt sie. "Ich glaube nicht, dass diejenigen, die sich bislang – aus guten Gründen – nicht impfen lassen haben, jetzt zur Impfstelle laufen. Ich sehe diese Maßnahme sehr kritisch." Der Besuch im Café oder Restaurant sei für die meisten kein Grund für eine Impfung, so die Besitzerin.

Die Corona-Lage in Deutschland hat sich dramatisch zugespitzt, am Donnerstag meldete das Robert Koch-Institut einen Höchstwert von mehr als 50.000 Neuinfektionen. Einige Intensivstationen sind bereits komplett ausgelastet – ohne Aussicht auf Besserung.

An kaum einem Ort ist es jedoch so schlimm wie im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Anfang der Woche verzeichnete die Region mit 924,3 die höchste Sieben-Tage-Inzidenz bundesweit.

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Landrat Michael Geisler (CDU) rechnete am Montag auf einer Pressekonferenz damit, dass die 1.000er-Marke schon bald überschritten wird. Zwar sank die Inzidenz in den vergangenen Tagen leicht (11. November: 886), entspannt hat sich die Lage dennoch nicht.

In den Krankenhäusern im Landkreis ist nur noch ein Covid-Intensivbett frei, auf der Normalstation sind es gerade mal drei (Stand: 9. November). Die Überlastung steht kurz bevor.

"Totentanz" in der Innenstadt

Ein Besuch in der Corona-Hochburg zeigt: Einige Bürger sind wütend oder traurig – aber aus unterschiedlichen Gründen. Wie die Café-Betreiberin Paula ärgert sich manch ein Gastronom über die seit Montag geltende 2G-Regelung. Nur geimpfte und genesene Bürger dürfen die Innengastronomie, Discos, Bars und Veranstaltungen in Innenräumen besuchen.

Viele Restaurant- und Café-Besitzer in Pirna bekommen das zu spüren. Die Altstadt ist am Dienstagmittag beinahe leer gefegt. Eine Touristengruppe aus Dutzenden Senioren macht an dem Tag den größten Teil der Fußgänger aus – und das trotz goldenen Herbstwetters. Vereinzelt sieht man junge Paare, Schulkinder und Familien durch die Straßen schlendern.

"Hier herrscht seit Montag Totentanz", sagt eine Café-Angestellte. Auch in ihrem Lokal sind die Tische im Innenbereich leer, nur draußen sitzt ein älterer Mann, der seinen Kaffee schlürft. Am Vormittag sei der Laden sonst voll gewesen, viele Leute seien zum Brunch gekommen, so die Servicekraft. "Nun ist das ein einziges Trauerspiel."

Maria*, die in einer Eisdiele beschäftigt ist, bestätigt diesen Eindruck: "Bei der 3G-Regelung sind schon weniger Kunden gekommen, aber seit 2G kommt kaum noch jemand." Ein Paar gibt eine Bestellung auf. Sie sind die einzigen Gäste zu dieser Zeit.

Die Gespräche drehen sich nur um ein Thema: die Pandemie. "Inzidenz", "Pflegekräfte", "ungeimpft" sind die Schlagwörter. "Corona hat alles kaputt gemacht", sagt Maria. "Und wen soll 2G retten? Die Gastronomie jedenfalls nicht." Die Kellnerin fordert die Wiedereinführung kostenloser Corona-Tests. Zehn oder mehr Euro pro Test seien zu viel.

Auch Paula, die den Innenbereich aufgrund der 2G-Regelung vollständig geschlossen hat, spricht sich für eine Rückkehr des 3G-Modells aus. "Jeder soll sich testen lassen, auch die Geimpften." Es sei nachgewiesen, dass vollständig Geimpfte das Virus ebenfalls weitertragen könnten. "Das wäre eine faire Maßnahme", so die Café-Betreiberin.

2G fruchtet nicht, wenn zu viele ungeimpft sind

Derweil sorgt sich eine Einzelhändlerin, dass die 2G-Regel bald auch in ihrem Kleidungsgeschäft gelten wird. Seit Montag ist es ihr zufolge deutlich leerer in der Altstadt. "Wir müssen den Menschen klarmachen, dass wir noch da sind", so Carina*.

Ihre Sorgen teilen derzeit viele Unternehmer in Pirna. Dabei sollte das 2G-Modell die Wirtschaft in Sachsen eigentlich vor dem Schlimmsten bewahren: einem erneuten Lockdown wie im letzten Winter. Landrat Michael Geisler (CDU) will das komplette Herunterfahren von Wirtschaft und Gesellschaft ausdrücklich vermeiden. Das Problem: 2G fruchtet nicht, wenn weiterhin zu wenige Menschen im Landkreis gegen Covid-19 immunisiert sind.

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Lediglich 52 Prozent der rund 244.000 Einwohner im sächsischen Osterzgebirge haben zwei Impfungen erhalten und sind somit höchstwahrscheinlich vor einem schweren Verlauf geschützt. Das sei kein Wert, mit dem man der Pandemie begegnen könne, sagte Geisler am Montag. Er will vier feste Impfstellen im Landkreis einrichten lassen. Zurzeit bietet das Deutsche Rote Kreuz (DRK) täglich ein bis zwei wechselnde Standorte an, an denen sich die Bürger ohne Termin eine Impfung abholen können.

"Das ist ein blödes Thema"

Zugleich steigert sich unter einigen Bürgern die Wut gegen die Menschen, die sich nicht impfen lassen. "Das sind einfach sture Böcke", meint Heinrich*, der auf einer Bank in der Altstadt die Sonne genießt. Er selbst sei doppelt geimpft und erhalte bald die Booster-Impfung. Der Mittfünfziger ist sich sicher: "2G wird die Leute auch nicht mehr überzeugen, wenn die sich das einmal so in den Kopf gesetzt haben."

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Zwei Passantinnen winken, angesprochen auf die Corona-Lage in Pirna, ab. "Das ist ein blödes Thema", sagen die Frauen und lachen beschämt. Hannah*, die gerade vom Mittagessen in einem Restaurant kommt, zeigt sich über zwei Punkte besorgt: zum einen die hohen Infektionszahlen im Landkreis, zum anderen die mögliche Spaltung der Gesellschaft. Dass die Altstadt bei strahlendem Sonnenschein so leer ist, sei sehr ungewöhnlich.

"Die Leute kriegen angesichts der hohen Zahlen Angst"

Voll ist hingegen das Gemeindezentrum in Helmsdorf, rund 20 Autominuten von Pirna entfernt, wo das DRK am Dienstag eine Impfaktion durchführt. Mehr als ein Dutzend Bürger warten am Nachmittag auf den Piks. "Die Leute kriegen angesichts der hohen Zahlen Angst", sagt ein Mitarbeiter. Allerdings kämen mehr Menschen zur Auffrischungsimpfung als für ihre erste Impfung. Das spiegelt sich auch in den Impfzahlen in Sachsen wider. 65 Prozent der Impfungen am Dienstag waren Booster-Impfungen. Lediglich knapp 17 Prozent erhielten ihre erste Dosis.

Dass man bei den Impfaktionen in den vergangenen Tagen ein bis drei Stunden Zeit einplanen musste, um eine Impfung zu erhalten, sorgt bei den Bürgern in Helmsdorf nicht für Unmut. "Ich freue mich, dass wir gegen den Strom schwimmen", sagt Bianca* mit Blick auf die Impfgegner. Sie bekommt später ihren dritten Piks. "Mehrere Stunden Wartezeit zeigen ja nur, dass immerhin noch Menschen das Impfangebot wahrnehmen – ob für die erste, zweite oder dritte Impfung. Das ist schön."

Derweil kommentiert ein DRK-Mitarbeiter die Anmeldung einer Frau, die für ihre erste Impfung dort ist. "Sie haben ja ganz schön lange gewartet." Die Sächsin will den Grund, warum sie sich jetzt erst impfen lässt, auf Nachfrage nicht nennen.

Großteil der Intensivpatienten ist ungeimpft

Impfaktionen wie diese finden bei den Bürgern offensichtlich Anklang. Das wird spätestens um 16 Uhr klar, als bereits zwei Stunden vor Schließung des Zentrums der Impfstoff ausgeht. Rund 150 Dosen wurden an diesem Tag verimpft. "Sie müssen bitte morgen wiederkommen", informiert der DRK-Mitarbeiter Moritz.

Viele Bürger, die nun noch zur Impfstelle kommen, muss er vertrösten. "Manchmal sind die Menschen ganz schön enttäuscht. Am Samstag musste ich eine Seniorin wegschicken, die als Letzte in der Schlange stand und als Einzige an diesem Tag keine Impfung mehr erhalten hat", erzählt der Helfer.

Während die Auffrischungsimpfungen also die ohnehin schon überzeugten Impflinge schützen, bleiben die Gegner ungeschützt. Die Krankenhäuser im Landkreis füllen sich. "Wir können bestätigen, dass die Mehrzahl der behandelten Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen über keinen vollständigen Impfschutz verfügt", teilt das Helios Klinikum in Pirna auf Anfrage mit. Seit Montag gilt in dem Krankenhaus ein generelles Besuchsverbot.

Die Szenen in Pirna zeigen deutlich, wie das Virus ein Bundesland an seine Grenzen stoßen lässt – und dass die Bürger, ob geimpft oder nicht geimpft, lediglich eines eint: die Wut und Trauer über die Folgen, die die Pandemie mit sich bringt.

*Name von der Redaktion geändert.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche vor Ort am 9. November 2021
  • Anfrage an Helios Klinikum Pirna
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