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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neue Definition Finanzministerium rechnet Kostenanstieg für Berater kleiner
Im Bundesfinanzministerium schnellen die Kosten für externe Berater in die Höhe. Während Bewertung und Erklärung auseinandergehen, sieht die Lösung so aus: nicht mehr alles melden.
Das Bundesfinanzministerium hat im Jahr 2020 vermeintlich ein Kunststück geschafft: Aus 72,4 Millionen Euro für Beraterkosten in neun Monaten wurden 52,7 Millionen Euro für das gesamte Jahr. Nur: In der Zuständigkeit des Ministeriums von Olaf Scholz (SPD) wurden nicht weniger Experten von außen geholt. Die Erklärung sieht anders aus: Ein Teil der unliebsamen Kosten wird nicht mehr extra ausgewiesen und geht im Haushalt unter.
Dass Beraterkosten ein Politikum sind, mussten einige Politiker in den vergangenen Jahren erfahren: Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) stand im Mittelpunkt einer Berateraffäre mit fragwürdigen Vergaben und Consultants, die das Ministerium zu einem "Diamant-Kunden" machen wollten – erforderliches Mindestumsatzvolumen dafür: 100 Millionen Euro. Noch vor der vollen Aufklärung wechselte sie an die Spitze der EU-Kommission.
Grünen-Abgeordneter Kindler attackiert
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) stand noch heftiger in der Kritik, weil er trotz Beratung (und trotz kostenloser Warnung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags) seine Maut-Pläne durchzog und nach dem Scheitern zur Schadensbegrenzung wieder teure externe Beratung bucht.
Scheuer wurde dabei besonders heftig von Sven-Christian Kindler, dem haushaltspolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, attackiert. Und nun attackiert Kindler wegen Berateraufträgen Finanzminister Olaf Scholz: "Von hanseatischer Sparsamkeit ist bei dessen eigener Regierungsarbeit wenig zu spüren", sagt Kindler.
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Der Grüne hat sich Zahlen vom Bundesfinanzministerium geben lassen. Sein Fazit daraus: Trotz der Berateraffäre im Verteidigungsministerium fehle Scholz Problembewusstsein für die "Berateritis, unter der die gesamte Bundesregierung" leidet: "Wie bei der Warburg-Bank und Wirecard begibt er sich durch den massiven Einsatz externer Berater in gefährliche Nähe und Abhängigkeit von Beratungskonzernen und Großkanzleien."
Selbst ohne das Jahr 2020 höhere Kosten
Die Antwort aus dem Ministerium liegt t-online vor, und die nackten Zahlen zeigen: Es wird tatsächlich viel mehr für externen Sachverstand gezahlt. In dieser Legislaturperiode laut der Auswertung bisher 67,5 Millionen Euro, nach 58,4 Millionen Euro in der vorigen. Und dabei ist das Jahr 2021 erst zur Hälfte um – und das Jahr 2020 fehlt in den 67,5 Millionen völlig.
Denn für 2020 hat das Ministerium dem Grünen keine Zahl geliefert – die sei "nicht qualitätsgesichert". Dafür stand aber eine Summe für die ersten drei Quartale 2020 im Raum. Die hatte die Bundesregierung dem Linken-Abgeordneten Mathias Höhn genannt: 72,4 Millionen Euro Beraterkosten im Scholz-Ministerium.
Doch diese Zahl soll jetzt nicht mehr gelten, teilt das Ministerium t-online mit: "Sie wurde zum 4. Quartal im März 2021 auf 52,7 Millionen Euro für das gesamte Jahr 2020 deutlich nach unten korrigiert". Ein Rechentrick?
Manche Kosten werden nicht mehr gemeldet
Es ist zumindest einer, für den das Ministerium den Segen bekommen hat. Am 9. Juni 2021 hat der Haushaltsausschuss mit der Koalitionsmehrheit beschlossen, dass externe Beratungsleistung anders definiert wird. Heißt: Manche Rechnung wird nicht mehr als Kosten für Beratung an den Haushaltsausschuss gemeldet.
Das Ministerium dazu: "Es sind daher sämtliche Verträge aus 2020 und 2021 im Hinblick auf die neue Definition rückwirkend zu überprüfen." Das Ministerium erwartet, dass die "für BMF an den Haushaltsausschuss zu meldenden Beratungsausgaben geringer werden".
Die Vermutung liegt auf der Hand, wenn man sieht, wie die ausgewiesenen Kosten des Jahres 2020 zusammengeschmolzen sind. Für den Bericht zu den Beratungskosten 2020 wird die neue Auslegung bereits rückwirkend angewendet. Die verbleibenden 52,7 Millionen sind immer noch viel mehr als in jedem Jahr zuvor.
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Nicht mehr aufgeführt werden Beratungen, die in den vergangenen Jahren einen Teil des Anstiegs der Kosten beim Finanzministerium erklären: "operative Dienstleistungen im IT-Bereich zur Entwicklung von IT-(Fach-)Verfahren und/oder zur Bereitstellung von Kapazität sowie Fachwissen." Die sind nun "ausdrücklich von der Klassifizierung als externe Beratungsleistung ausgeschlossen".
Finanzministerium stark in IT-Projekt eingebunden
Tatsächlich laufen im Finanzministerium Kosten auf, weil der Bund 2016 mit dem Aufbau des Informationstechnikzentrum Bund (ITZBund) begonnen hat. Der zentrale IT-Dienstleister des Bundes ist im Geschäftsbereich des BMF angesiedelt und Teil der Konsolidierung des IT-Betriebs der Bundesverwaltung (KBK).
KBK ist ein Mammutprojekt, bei dem es holpert und die Kosten explodiert sind – aus einer Milliarde Euro sind inzwischen 3,4 geworden. Offenbar fehlt auch beim Bund Personal, das definieren kann, wie das IT-Angebot weiterentwickelt werden muss und wie Angebote wirtschaftlich zu bewerten sind.
Im Finanzministerium bleibt von dem Aufwand dafür noch mehr hängen, weil Finanzministerium und ITZBund zwischenzeitlich mehr Aufgaben übertragen bekommen haben, die zuvor im Innenministerium lagen. Damit ist auch Beratungsaufwand gestiegen.
Doch die neue Definition von Beratung schließt noch mehr aus, kritisiert Kindler: Auch eindeutige Beratungskosten wie wissenschaftliche Gutachten oder Kosten für Rechtsanwälte des Bundes in Gerichtsverfahren fielen nun nicht mehr unter externe Beratungskosten. Der Grünen-Haushaltsexperte: "Statt die Kosten für Berater zu reduzieren, haben Union und SPD nur verändert, wie gezählt wird.“
Kräftig gestiegen sind die Kosten dennoch.
- Eigene Recherchen
- Antwort des Finanzministeriums auf Berichtsanforderung des Abgeordneten Kindler
- Anfrage ans Finanzministerium
- netzpolitik.org: IT-Konsolidierung des Bundes – Pleitenserie ohne Ende