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Corona in Sachsen: Niedrigste Impfquote in Deutschland – was ist bloß los?


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Niedrigste Impfquote in Deutschland
Was ist bloß in Sachsen los?

Von Michael Kraske

Aktualisiert am 02.09.2021Lesedauer: 6 Min.
Sachsens Flagge und Spritze mit Impfstoff gegen Corona (Bildcollage t-online): Der Freistaat Sachsen ist bundesweit Schlusslicht bei den Impfungen.Vergrößern des Bildes
Sachsens Flagge und Spritze mit Impfstoff gegen Corona (Bildcollage t-online): Der Freistaat Sachsen ist bundesweit Schlusslicht bei den Impfungen. (Quelle: Christian Ohde//iStockphoto/imago-images-bilder)
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In keinem Bundesland sind so wenige Menschen gegen Corona geimpft wie in Sachsen. Das hat mit einem tiefen Misstrauen gegen "die da oben zu tun". Die Folgen der Verweigerung sind teils abstrus.

Von Verwandten und Bekannten kennt die Juristin Anja Hennersdorf die ganze Bandbreite impfskeptischer Argumente. Zwar sind in ihrer Familie die meisten geimpft gegen Corona und vertrauen auf die Wissenschaft, aber in Gesprächen bekommt sie immer wieder auch solche Argumente zu hören: "Das ist noch überhaupt nicht erforscht." Oder: "Das ist Gift." Selbst Angestellte des öffentlichen Dienstes hegen der Juristin zufolge tiefes Misstrauen gegen die zugelassenen Impfstoffe. Da heißt es dann: "Wenn überhaupt, würde ich mich als altes DDR-Kind nur mit Sputnik impfen lassen."

Anja Hennersdorf lebt in der Nähe von Bautzen in Sachsen. Das östliche Bundesland ist deutschlandweit Schlusslicht bei den Corona-Impfungen (rund 52 Prozent vollständig Geimpfte in Sachsen im Vergleich zu bundesweit mehr als 60 Prozent Anfang September). Der Kreis Bautzen wiederum wies zuletzt mit etwa 41 Prozent doppelt Geimpfter eine der niedrigsten Impfquoten des Bundeslandes auf.

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Schauermärchen sind nicht ungewöhnlich

"Nicht alle, die Vorbehalte haben, sind überzeugte Impfgegner", berichtet Hennersdorf. "Aber die gibt es natürlich auch." Was sie in ihrem Alltag erlebt, deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie der TU Dresden über "Covid-19 in Sachsen", an der Politikwissenschaftler Maik Herold als Co-Autor mitgearbeitet hat. Demnach ist Sachsen im Umgang mit der Pandemie tief gespalten.

"Je weiter man in Sachsen in den Süden und Osten kommt, umso kritischer und skeptischer sind die Leute", so Herold. "Umgekehrt steigt die Akzeptanz für die Corona-Maßnahmen und die Impfbereitschaft, je weiter nördlich und westlich die Menschen leben." Längst nicht alle Impfskeptiker seien politisch oder ideologisch motiviert. "Wird eine impfskeptische Haltung offen hinterfragt, dann sind die Entgegnungen aber häufig mit Verschwörungstheorien durchsetzt", sagt Herold.

So würden etwa Schauermärchen von Impfschäden verbreitet, die oftmals auf Hörensagen beruhen. Viele Impfskeptiker stellen die Sicherheit der Impfung grundsätzlich infrage. Beliebt sei beispielsweise die Aussage: "Wir sind doch keine Versuchskaninchen."

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Auch Anja Hennersdorf kennt Streitgespräche über das Impfen. "Meine Antwort auf die Frage, ob ich denn darauf vertraue, dass die Impfung sicher ist, lautet: Ich vertraue der Wissenschaft mehr als dem Virus." In ihrem Bekanntenkreis haben sich aufgrund der Haltung zum Impfen bereits Beziehungen verändert. Als ihre Familie regelmäßigen Treffen fernblieb, um sich zu schützen, bekam sie zu hören: "Ihr glaubt doch wohl nicht etwa den Mist, der uns da über Corona erzählt wird." Die Juristin sagt, es gebe "durchaus Kreise, in denen man sich als Minderheit fühlt, wenn man sich an die Corona-Maßnahmen hält und offen zum Impfen bekennt."

"Nicht die Kunden vergraulen"

Ihre Tankstelle habe sie gewechselt, weil dort Leute im kleinen Kaffee sitzen durften, als das aufgrund der Pandemie-Lage eigentlich verboten war. Als sie auf die geltenden Vorschriften hinwies, erhielt sie als Begründung: "Der Chef will nicht, dass wir die Kunden vergraulen." Sozialforscher Herold betont die besondere Bedeutung solcher "Community-Leader" vor allem in ländlich geprägten Regionen.

Viele würden sich daran orientieren, wie sich Führungspersönlichkeiten eines Dorfes, der Kirchengemeinde oder beim Sportverein positionieren. In einigen Regionen Sachsens werde seit Langem eine skeptische Grundhaltung gegenüber politischen Entscheidungen kultiviert, verbunden mit einem ausgeprägten Stolz auf die eigene Identität und Souveränität.

Zuletzt hatte der Bautzener CDU-Landrat Michael Harig mit einem Offenen Brief an Angela Merkel und die Ministerpräsidenten Aufsehen erregt. Darin prangerte der Lokalpolitiker in der Debatte um die Corona-Maßnahmen den "Eindruck eines interessengelenkten Obrigkeitsstaates" an. Die Übergänge von ausgeprägtem Misstrauen zu offener Demokratiefeindlichkeit sind bisweilen fließend. Über Monate versammelten sich an den Wochenenden an der B 96 in der Nähe von Bautzen Anwohner zum stillen Protest, viele davon mit Reichsfahnen.

Juristin Hennersdorf wurde angefeindet und bedroht, als sie diese Demos beobachtet und in den sozialen Netzwerken dokumentiert hat. Unter den Protestierenden waren viele, die man aufgrund ihres Aussehens für Normalbürger halten würde. Im Erzgebirge gingen die Proteste gegen die Corona-Politik auch dann weiter, als aufgrund der fallenden Inzidenzen viele Einschränkungen längst aufgehoben waren.

Misstrauen gegen die Politik

Das Forscherteam der TU Dresden kann präzise beschreiben, wer staatlichen Institutionen und deren Handeln in der Pandemie mit ausgeprägtem Misstrauen begegnet. Längst nicht alle, die Vorbehalte gegen das Impfen haben, verfügen über verfestigte Einstellungen. Das Spektrum reicht von leicht Zweifelnden bis hin zu überzeugten Verschwörungstheoretikern. Gleichwohl zeigten die Studienergebnisse, "dass es starke Überschneidungen zwischen der Impfskepsis, Kritik an Corona-Maßnahmen, Sympathie für die AfD sowie für bestimmte Protestformen wie 'Querdenken' gibt", so Co-Autor Herold.

In den vergangenen Jahren habe sich in Sachsen ein politisches Milieu herausgebildet, das große Vorbehalte gegen die Regierenden in Berlin, demokratische Parteien sowie Entscheidungsträger in Medien und Gesellschaft hegt, "aber auch gegen die repräsentative Demokratie, wie sie funktioniert". Dieses Milieu sei bereits bei Pegida und in der Anti-Asylbewegung, in Erscheinung getreten, so Herold.

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Politikern, Journalisten und Wissenschaftlern werde tiefes Misstrauen entgegengebracht, die Berliner Politik gelte vielen als korrupt. Auch den Erkenntnissen von Forschung und Journalismus werde misstraut, stattdessen kultiviere man das Vertrauen in den angeblich "gesunden Menschenverstand".

Das hat bisweilen absurde Folgen. So ließen sich in Kiesdorf in der Oberlausitz offenbar mehrere Hundert Menschen im dortigen Kulturzentrum impfen. Allerdings nicht mit Biontech, Moderna oder Astrazeneca, sondern mutmaßlich mit einem selbst entwickelten Präparat des Mediziners und Unternehmers Winfried Stöcker, für das es gar keine Zulassung gibt.

Verbale Ausfälle

Laut einem Bericht des MDR ermitteln nun die Staatsanwaltschaften in Görlitz und Lübeck gegen den bekannten Investor, der in der Vergangenheit durch verbale Ausfälle gegen einen "sinnlosen Ansturm unberechtigter Asylanten" und angeblich "indoktrinierte Nachrichtensprecher" aufgefallen ist. In der Oberlausitz genießt der Lübecker Geschäftsmann mit sächsischen Wurzeln bei Teilen der Bevölkerung aber offenbar großes Vertrauen.

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Eine Lokalreporterin berichtete aus Kiesdorf von verstopften Straßen und einer Warteschlange vor dem Kulturzentrum. Darunter Frauen und Männer jeder Altersgruppe und sogar Kinder. Die Aktion steht symbolisch dafür, wie weit sich einige Menschen in Sachsen von der Wissenschaft und gesellschaftlichen Normen und Regeln entfernt haben.

Als besonders skeptische und kritische Bevölkerungsgruppe in Sachsen identifizierten die Forscher der TU Dresden in ihrer Studie junge bis mittelalte Männer mit Realschulabschluss, die entweder Azubis oder Arbeiter sind und politisch stark zur AfD neigen. Teile dieses Milieus tendierten mit ihrer Anti-Establishment-Haltung zu libertären Positionen, die nahezu jegliche Einschränkung individueller Freiheit ablehnen.

Andere neigten eher zu Verschwörungstheorien, wieder andere sympathisierten offen mit rechtsextremistischen Weltbildern, so Herold. Derartig gefestigte Einstellungen lassen sich weder von empirischen Befunden noch von guten Argumenten erschüttern. Spezielle Impfangebote seitens der Politik an diese Zielgruppe hält der Politikwissenschaftler daher für "wenig erfolgversprechend".

Der Pandemie müde

Neben spezifischen Gründen kämpft die sächsische Impfkampagne auch gegen allgemeine Ermüdungserscheinungen infolge der Pandemie. War die Inzidenz etwa im Erzgebirge in der dritten Welle noch bedrohlich hoch, sank der Wert danach wie überall im Land auch in vormaligen Corona-Hotspots deutlich. Das zuständige Sozialministerium Sachsen sieht darin einen Grund für die mangelnde Impfbereitschaft und registriert eine "gewisse Sorglosigkeit".

Auch die zuvor hohen Infektionsraten sind vielfach offenbar kein Grund, sich impfen zu lassen. Zwar kennen viele in Sachsen jemanden, der sich mit dem Coronavirus infiziert hat, doch oft sind das Fälle mit einem harmlosen Verlauf. Die Corona-Studie der TU Dresden zeigt, dass bei Betroffenen oder Angehörigen, die leichte Verläufe einer Infektion erlebt oder miterlebt haben, Vorbehalte gegen das Impfen und die Anfälligkeit für Verschwörungserzählungen sogar zunahmen.

Das sächsische Sozialministerium setzt jetzt auf "flexible und niedrigschwellige Impfangebote" in Einkaufszentren, vor Baumärkten, im Fußballstadion und bei Stadtfesten, wie das Ministerium auf Anfrage mitteilt. Dazu sind 30 mobile Impfteams im Land unterwegs, die auch in Hochschulen, Wohnquartiere in Stadtvierteln oder Einrichtungen für Obdachlose gehen, um möglichst viele zu erreichen, die bisher noch zögern.

Sozialforscher Herold hält das für die richtige Strategie. Mit niedrigschwelligen Angeboten lasse sich die Impfquote deutlich steigern: "So umstritten das auch sein mag, aber unbürokratische Gelegenheiten im Alltag und positive Anreize sind eine gute Möglichkeit, die Unentschlossenen zu erreichen."

Das Beispiel Vogtland zeigt, dass die Impfquote auch in Sachsen sehr wohl beeinflusst werden kann. Nachdem die südsächsische Region in den Wintermonaten von einer hohen Inzidenz betroffen war, reagierte das Sozialministerium und startete erfolgreich eine regionale Impfkampagne. "Derzeit liegt die Impfquote im Vogtland sogar über dem Bundesdurchschnitt", so Herold, dabei unterscheide sich die Mentalität der Menschen hier nicht wesentlich von den Hochburgen der Impfskeptiker.

Das Vogtland hat vorgemacht, was auch in Görlitz oder Bautzen gelingen könnte. Anja Hennersdorf war überrascht, als beim Angebot des mobilen Impfteams im Bautzener Kornmarktcenter ungefähr 200 Impfwillige erschienen: "Viele lassen sich eben doch impfen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Das finde ich gut."

Korrektur: In einer früheren Version hieß es, Anja Hennersdorf sei Rechtsanwältin. Sie ist mittlerweile allerdings als Juristin tätig. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, ihn zu entschuldigen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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