t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikDeutschland

Corona-Lockerungen: Wirtschaft wichtiger als Schule?


Streit über Corona-Lockerungen
Wirtschaft wichtiger als Schule? "Mir ist das völlig rätselhaft"

  • David Schafbuch
Von David Schafbuch

31.05.2021Lesedauer: 3 Min.
Präsenzunterricht in einer Grundschule in Essen: In den meisten Teilen Nordrhein-Westfalens werden Schüler wieder in ihren Klassenräumen unterrichtet.Vergrößern des Bildes
Präsenzunterricht in einer Grundschule in Essen: In den meisten Teilen Nordrhein-Westfalens werden Schüler wieder in ihren Klassenräumen unterrichtet. (Quelle: dpa)
News folgen

In ganz Deutschland werden die Corona-Regeln gelockert. Doch wer hat dabei Priorität? Kinder und Jugendliche scheinen in der Krise erneut das Nachsehen zu haben. Versprochen war es anders.

Wer wenige Monate zurückblickt, findet die immer gleichen Sätze unterschiedlicher Politiker in Regierungsverantwortung. Auf die Frage, wie und wo man die ersten Lockerungen vornehmen sollte, antwortete etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): "Eine Priorität für mich ist ganz klar, dass zuerst Kitas und Schulen wieder geöffnet werden müssen."

Bei Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) klang das so: "Oberste Priorität haben für mich Kitas und Schulen. Restaurants und Kneipen werden wohl leider noch warten müssen."

Die Version des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller (SPD): "Für mich ist klar, dass Schulen und Kitas bei diesen Überlegungen Vorrang haben."

Doch gerade zeigt sich das Gegenteil: Alle Bundesländer haben inzwischen die Corona-Notbremse größtenteils wieder gelöst und lockern weiter. Die Bildung spielt dabei keine Hauptrolle: Zwar kehren immer mehr Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern, das Saarland oder Schleswig-Holstein in den Präsenzunterricht zurück, doch Wirtschaft und Privatleben kehren deutlich schneller zur Normalität zurück.

Andere Strategien im Ausland

"Es ist mit Sicherheit nicht so, dass Schulen bei den Lockerungen die größte Bedeutung haben", sagt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, t-online. Andere Länder hätten bereits im Lockdown eine völlig andere Strategie verfolgt: Man habe dort im privaten Bereich, aber auch in Unternehmen deutlich härtere Maßnahmen verhängt, um die Schulen weiter offen zu halten. In Deutschland sei man dagegen einen anderen Weg gegangen: "Man versucht, die Wirtschaft am Laufen zu halten und vernachlässigt die Schule."

Meidinger hält unter den aktuellen Umständen wie SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach eine vollständige Rückkehr zum Präsenzunterricht für möglich. Voraussetzung seien dabei Hygienekonzepte wie das Tragen von Masken und regelmäßige Corona-Tests. Er orientiere sich dabei an den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts: Bei einer stabilen Inzidenz unter 50 sei der Unterricht in voller Klassestärke mit den genannten Konzepten möglich.

Dass einige Bildungsminister das nicht umgehend umsetzen wollen, könne er nicht verstehen: "Mir ist völlig rätselhaft, wieso man trotz niedriger Zahlen nicht zum Präsenzunterricht zurückkehrt. Der vollständige Präsenzunterricht ist der Normalzustand. Es kann nicht sein, dass das zu schwer zu organisieren ist."

Präsenzunterricht nach Sommerferien

In der jetzigen Öffnungsphase zeigt sich das am deutlichsten in Berlin: Dort liegt die 7-Tage-Inzidenz inzwischen bei weit unter 50. Einzelhandel und Außengastronomie sind geöffnet, demnächst kommen wohl Fitnessstudios dazu. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) möchte allerdings in den letzten Wochen des Schuljahres bis zum 24. Juni am Wechselunterricht festhalten. Damit kehren alle Schüler frühestens nach den Sommerferien Anfang August in die Klassenräume zurück.

Bleibt es bei den niedrigen Infektionszahlen, haben bis dahin in der Hauptstadt Hotels und Innengastronomie geöffnet. Auch die Testpflicht im Einzelhandel ist dann vermutlich gefallen. "Ich habe überhaupt kein Verständnis, dass Frau Scheeres den Eindruck macht, als rentiere sich die Schulöffnung nicht mehr", kritisiert Meidinger.

Ähnliche Situationen gibt es auch in anderen Bundesländern: In Niedersachsen ist der Einzelhandel bei Inzidenzen unter 50 seit der vergangenen Woche von einer Testpflicht befreit. Präsenzunterricht ist dagegen erst in dieser Woche in den meisten Regionen wieder möglich. Zwischendurch hatte die Landesregierung auch ein Ende der Maskenpflicht für Geschäfte in den Blick genommen und nur nach heftiger Kritik wieder verworfen.

Gastronomie zuerst?

Auch Rheinland-Pfalz zögert trotz geringer Inzidenz bei den Öffnungen der Schulen: Dort will man am 21. Juni in den Präsenzunterricht zurückkehren. Anfang des Monats öffnen bereits Hotels und die Innengastronomie. Die Landesregierung prüft zusätzlich ein Ende der Testpflicht für Restaurants und Kneipen unter freiem Himmel und Lockerungen in der Sexarbeit.

Die Wirtschaft macht zusätzlich Druck auf die Politik: Die Industrie- und Handelskammer fordert etwa, die Testpflicht für den Einzelhandel wieder abzuschaffen. Unterstützung kommt von der gesundheitspolitischen Sprecherin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus, und Unionsfraktions-Vize Carsten Linnemann, aber auch von Linkspartei und AfD.

Wirtschaft fordert Ende der Homeoffice-Pflicht

Ähnlich verhält es sich bei den Regelungen zum Arbeiten von zu Hause: Die Homeoffice-Pflicht gilt zwar noch bis Ende Juni. Der Industrieverband BDI sprach sich aber bereits für ein Ende der Regelung und für mehr Eigenverantwortung der Unternehmen aus, genauso wie der Arbeitgeberverband BDA. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zeigte sich offen für die Forderungen der Wirtschaft, Finanzminister Scholz (SPD) will dagegen an der Homeoffice-Pflicht festhalten. Die Bundesnotbremse will auch Scholz Ende Juni auslaufen lassen.

Verteilen die Bundes- und Landesregierungen also mit den Lockerungen Wahlgeschenke an die Wirtschaft? Heinz-Peter Meidinger hält das für die falsche Strategie: "Die Regierungen hätten einen besseren Stand, wenn sie sich konsequent von Anfang der Pandemie an mehr in der Bildung engagiert hätten."

Er glaube, dass sich der Unmut vieler Eltern von schulpflichtigen Kindern bei den kommenden Wahlen zeigen werde.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Heinz-Peter Meidinger am 31.05.2021
  • Nachrichtenagentur dpa und AFP

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



Telekom