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Corona-Impfung für Kinder: Jens Spahn stellt sich gegen seine Stiko-Experten


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Die Macht der Stiko
Spahn stellt sich gegen seine Experten


Aktualisiert am 27.05.2021Lesedauer: 5 Min.
Thomas Mertens, Vorsitzender der Stiko und Jens Spahn: Der CDU-Minister will Kindern möglichst bald ein Impfangebot machen. Die Stiko ist dagegen.Vergrößern des Bildes
Thomas Mertens, Vorsitzender der Stiko und Jens Spahn: Der CDU-Minister will Kindern möglichst bald ein Impfangebot machen. Die Stiko ist dagegen. (Quelle: Metodi Popow/imago-images-bilder)

Die Ständige Impfkommission ist mächtig – und umstritten. Bereits bei der Verunsicherung rund um Astrazeneca spielten die Experten eine unglückliche Rolle. Nun sprechen sie sich auch noch gegen allgemeine Impfungen für Jüngere aus. Zu Recht?

Geschlossene Schulen, verwaiste Fußballplätze, allein im Zimmer vor dem Bildschirm – Kinder und Jugendliche leiden in dieser Pandemie ganz besonders. Für Erwachsene dagegen scheint es nun einen Freifahrtschein zurück in ein normales Leben zu geben: die Impfung.

Dagegen müssen Kinder in Deutschland auf den Piks noch warten, wenn er denn überhaupt kommt. Die Europäische Arzneimittelagentur (Ema) will am Freitag mitteilen, ob das Vakzin von Biontech/Pfizer für 12- bis 15-Jährige zugelassen wird. In den USA und Kanada werden Jugendliche bereits geimpft.

Gremium mit Verantwortung und Macht

Zuständig für die Bewertung von Impfstoffen in Deutschland ist die Ständige Impfkommission (Stiko), ein ehrenamtliches, mächtiges Gremium aus bis zu 18 Experten. An ihrer Empfehlung orientieren sich Ärzte und Politiker in der Regel.

Eine allgemeine Impfempfehlung für Kinder wird es wohl nicht geben. Die Studienlage sei "deutlich zu gering, um seltene Komplikationen nach der Impfung vorhersagen zu können", sagte Stiko-Mitglied Martin Terhardt, Kinder- und Jugendarzt in Berlin, kürzlich im rbb-Inforadio. Eine Empfehlung der Stiko könnte es deshalb vorerst nur für Kinder mit Vorerkrankungen geben. Wenn die Ema grundsätzlich grünes Licht gibt.

Kritik von Lauterbach

Die Äußerung der Stiko findet SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach verfrüht. "Es ist nicht hilfreich, dass die Stiko schon vor der Entscheidung der Ema ihre Einschätzung kommuniziert. Es ist auch nicht wahrscheinlich, dass die Stiko diese Haltung lange durchhält."

Lauterbach hält auch eine Entscheidung gegen eine allgemeine Empfehlung für problematisch. "Die Daten von Biontech und Moderna weisen darauf hin, dass die Impfung bei Kindern hochwirksam ist und keine wesentlichen Nebenwirkungen hat, die nicht schon bei Erwachsenen aufgetreten sind", sagte Lauterbach zu t-online.

Roland Elling, Oberarzt für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Freiburg, hält im Gespräch mit t-online dagegen. "Die Impfung ruft bei Kindern eine hohe Immunantwort hervor, das ist toll. Aber was die Sicherheit und die Nebenwirkungen angeht, muss man noch mehr Erfahrungen sammeln. Ich bin da zwar optimistisch, aber wir brauchen mehr Daten."

Das Astrazeneca-Debakel

Zu wenige Daten. Das war schon einmal die Begründung einer Empfehlung, die große Verunsicherung auslöste: die Empfehlung für den Impfstoff von Astrazeneca. Damals sollte das Vakzin nur Menschen unter 65 Jahren verabreicht werden. "Zur Beurteilung der Impfeffektivität ab 65 Jahren liegen bisher keine ausreichenden Daten vor", hieß es am 29. Januar 2021.

Im "ZDF-heute journal" erklärte sich Stiko-Chef Thomas Mertens: "Wir wollen die Daten in einer Form publiziert wissen, die sozusagen eine Entscheidung wirklich möglich macht. Das ist auch gar nicht, dass wir besonders verstockt sind, sondern es ist einfach die Aufgabe, sich die Daten genau anzugucken."

Am vierten März gab es allerdings die Freigabe für alle Altersgruppen. Dann traten die ersten Fälle von Sinusvenenthrombosen auf. Am 19. März blieb die Stiko bei ihrer Empfehlung. "Der Nutzen der Impfung überwiegt die gegenwärtig bekannten Risiken." Sie behielt sich allerdings vor, bei neuen Daten eine andere Einschätzung abzugeben.

Das hat das Gremium dann am 30. März auch getan. Astrazeneca wurde nur noch für Menschen über 60 Jahren empfohlen. Die Ema blieb hingegen bei ihrer Freigabe für alle Altersklassen. Auch beim Vakzin von Johnson und Johnson nimmt das Gremium erneut eine Sonderrolle ein und kommt zu einer anderen Bewertung als die Ema.

Eine Frage des Blickwinkels

Dass die europäische Arzneimittelbehörde einen Impfstoff zulasse, die Stiko aber nicht zwingend eine Empfehlung gebe, liege an den unterschiedlichen Blickwinkeln, erklärt der Gesundheitsexperte der Grünen, Janosch Dahmen t-online. Die Stiko betrachte zuerst die Sicherheit von Impfstoffen für den einzelnen Menschen, erst danach fließen Aspekte wie die Herdenimmunität ein. "Deshalb braucht die Stiko für eine Empfehlung eher eine größere Datengrundlage als andere nationale Gremien. Das führt dazu, dass Deutschland bei gewissen Empfehlungen scheinbar ein Stück hinterherhinkt. In einer Pandemie ist Geschwindigkeit, wie wir alle gelernt haben, aber sehr wichtig"

Mit Kritik an den Entscheidungen der Kommission hält sich Dahmen aber zurück. "Wir sind als Politiker gut beraten, die wissenschaftlichen Gremien in Deutschland nicht weiter zu unterhöhlen, auch wenn die Ergebnisse uns manchmal nicht passen." In der Selbstbeschreibung der Stiko steht allerdings, dass die Bevölkerungsebene und die Impfstrategie in Deutschland sehr wohl in die Bewertung mit einfließen soll.

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"Wenn die Stiko-Empfehlung fehlt, dann werden viele Eltern und Ärzte das Risiko alleine nicht tragen wollen. Es kann sein, dass wir damit unsere Kinder im Stich lassen. Ein Schulausfall muss unbedingt vermieden werden. Das Risiko dafür steigt aber, wenn Kinder nicht geimpft sind", gibt Lauterbach zu bedenken.

Stiko-Vorsitzender Mertens sagte allerdings im Deutschlandfunk, "die Öffnung der Schulen alleine ist keine wirklich gute Begründung, um jetzt alle Kinder zu impfen." Zuerst müssten die medizinischen Argumente geklärt sein, bevor man sich über andere Effekte der Impfung Gedanken machen könne, so Mertens.

Schwierige Abwägung

1.100 Kinder haben in der Studie von Biontech/Pfizer einen Impfstoff erhalten. Sehr seltene Nebenwirkungen, die nur bei einem von hunderttausend vorkommen, könne man so gar nicht erkennen, sagt Roland Elling. Zumal Kinder und Jugendliche sehr selten einen schweren Verlauf haben und wie oft Folgeerkrankungen wie Long-Covid auftreten, sei noch nicht abschließend geklärt, sagt Virologe Ulf Dittmer t-online. Auch deshalb sei die Abwägung von Kosten und Nutzen für die Stiko aktuell sehr schwer. "Die Anforderungen an einen Impfstoff für Kinder und Jugendliche sind extrem hoch", so Dittmer.

Lauterbach hält die Datenlage dennoch für ausreichend. "Der Impfschutz ist gut belegt. Natürlich muss dann weiter beobachtet werden, ob sich noch andere Komplikationen zeigen."

Verantwortung auf Ärzte und Eltern abgewälzt

Das sieht offenbar auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn so und stellt sich gegen die Stiko. Spahn will die Empfehlung des Gremiums nicht abwarten, sondern bereits nach einer Zulassung durch die Ema handeln und Kindern möglichst bald ein Impfangebot machen.

Viele Eltern stünden dann vor einer schwierigen Entscheidung. Lasse ich mein Kind impfen oder nicht? In den USA, wo der Impfstoff bereits zugelassen ist, wollen nur drei von zehn befragten Eltern ihre Kinder so schnell wie möglich impfen lassen. Ein Viertel will ganz verzichten.

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"Es ist eine unbefriedigende Lage, wenn die Stiko die Menschen hier im Unklaren lässt. Es ist ja auch keine klare Empfehlung gegen die Impfung. Die Verantwortung wird damit abgeschoben auf die Eltern", so Lauterbach. Was also tun?

Der SPD-Gesundheitsexperte würde die Impfung empfehlen, für den Grünen-Politiker Dahmen und Infektiologe Elling bleibt es eine Entscheidung, die individuell getroffen werden muss. "Die letzte Entscheidung trifft in Deutschland der Arzt, wenn dieser sagt, er impft nicht, dann bekommt das Kind auch keine Spritze. Der impfende Arzt ist die letzte Instanz", so Ulf Dittmer. Und für diese letzte Instanz bieten die Empfehlungen der Stiko eine Orientierung.

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