Nach Wahl in Baden-Württemberg Kretschmann stößt mit Grün-Schwarz auf heftigen Widerstand
Es lief gut für die Grünen: Top Wahlergebnis, die Union im Sinkflug. Doch dann dringt Kretschmann auf eine Koalition mit der CDU. Für die Jüngeren ein Aprilscherz. Sie mucken auf. Eine stundenlange Zitterpartie beginnt.
Mitten in der bedrohlichen Corona-Krise den Koalitionspartner wechseln? Nicht mit Winfried Kretschmann. Die Südwest-CDU ist dem grünen Regierungschef im Wahlkampf zwar mächtig auf den Geist gegangen. Doch das und auch ältere Verletzungen sind fast schon vergessen. Der populäre Landesvater will mit fast 73 Jahren im Autoland, das im Umbruch steckt, nochmal durchstarten. Und für ihn bildet ein Bündnis aus Grünen und Schwarzen das bürgerliche Baden-Württemberg einfach besser ab.
Doch Kretschmann, vor zweieinhalb Wochen noch umjubelter Wahlsieger, unterschätzte den Widerstand in seiner Partei gegen ein "Weiter so" mit der Union. Vor allem die Jüngeren im Landesvorstand ließen ihn am Donnerstagmorgen auflaufen. Noch bis zum Abend stand die Frage im Raum: Was passiert, wenn der Landesvorstand weiter Grün-Schwarz blockiert und die Ampel will?
Das grüne Denkmal wackelte, aber es fiel nicht. Kretschmann erhielt am Ende eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Ein Rückzug des einzigen grünen Regierungschefs wäre für das Land schwer erklärbar gewesen. Und für die Bundes-Grünen ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl ein denkbar schlechtes Signal – wo sie sich doch gerade anschicken, an der Union vorbeizuziehen. Schon so müssen die Ökos jetzt Schadenbegrenzung betreiben. Denn für Grün-Schwarz war das ein Fehlstart. Die Grüne Jugend spricht von einem "Aprilscherz".
Es geht um grünes Vertrauen zur CDU
Wie kam es zum Konflikt? Als die Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand am Mittwochabend um 22.45 Uhr die Stuttgarter Regierungszentrale verlassen, sehen sie erschöpft aus. Elf Stunden lang haben sie mit Kretschmann, Fraktionschef Andreas Schwarz und Finanzministerin Edith Sitzmann um die Frage gerungen, wer der richtige Partner für die Koalitionsverhandlungen ist. Detzer (40), die in den Bundestag strebt, gilt als Verfechterin der Ampel, auch weil sie ein Vorbild für den Bund sein könnte. Und der aufstrebende Nachwuchsmann Hildenbrand (33) vom linken Flügel würde die CDU gern "in die Wüste" schicken, wie es nachher heißt. Es fehle an Vertrauen.
Doch am Ende habe sich das Team zusammengerauft und auf eine gemeinsame Empfehlung für den Landesvorstand geeinigt, heißt es. Der Vorstand hat offiziell das letzte Wort. Hauptsache, es gelinge ein Aufbruch, war die gemeinsame Losung. Wenn das beim Klimaschutz mit der CDU – wie von ihr demütig zugesagt – künftig besser gehe, sei das schon mal wichtig. Der Eindruck: Kretschmann hat sich durchgesetzt. Kein Wunder: Er war der Garant für das Traumergebnis von 32,6 Prozent und den Vorsprung von 8,5 Prozent auf die CDU, die Baden-Württemberg bis 2011 fast sechs Jahrzehnte nach Art der CSU dominiert hatte.
Kretschmann hakt sich mit Söder unter
Aber warum tritt Kretschmann so vehement dafür ein, der sinkenden Südwest-CDU einen Rettungsring zuzuwerfen? Der wohl konservativste Öko genoss es zwar sichtlich, die Wahl zu haben zwischen Grün-Schwarz und einer Ampel mit SPD und FDP. So mussten die Bewerber in den Sondierungen feste strampeln, um den grünen Ansprüchen zu genügen. Doch mit der FDP wurde er nicht richtig warm. Sie wollten zwar "Kröten schlucken", aber nicht zu viele, um den eigenen Parteitag zu überstehen.
Nicht wirklich hilfreich waren die jüngsten Äußerungen von FDP-Chef Christian Lindner, der vor einer Ampel im Bund warnte: "Das Programm der Grünen ist tiefrot. Da geht es um Schulden, Steuern und bürokratische Fesseln." Zwar schränkt er ein, die Kretschmann-Grünen seien anders als die im Bund. Doch Kretschmann kann einfach viel besser mit CSU-Chef Markus Söder und Kanzlerin Angela Merkel als mit Lindner und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Mitten in den Beratungen in Stuttgart veröffentlicht er am Mittwoch gemeinsam mit dem Bayern einen Brief an die anderen Länder-Chefs, um auf einen strikten Corona-Kurs zu pochen.
Jüngere Grüne wollten Wechsel zu Ampel
Es ist etwa 8.00 Uhr am Gründonnerstag, als sich der grüne Landesvorstand zusammenschaltet. Noch ist nicht verlässlich nach draußen durchgesickert, dass es auf Grün-Schwarz zulaufen soll. Das Sondierungsteam habe die gemeinsame Empfehlung vorgetragen, heißt es aus dem Kretschmann-Lager. Doch in dem Gremium sind viele junge Leute, denen ein erneutes Zusammengehen mit der Union nicht passt. Die Grüne Jugend etwa hatte Kretschmann schon gewarnt, dass nun ein Wechsel hermüsse.
Die CDU sei "rückwärtsgewandt und aktuell auch nicht verlässlich", hatte es geheißen. Im Vorstand gibt es heftige Diskussionen über fast drei Stunden hinweg. Es gibt verschiedene Darstellungen darüber, wie eng Kretschmann seine Wunschkoalition mit seiner Person verbunden hat. Um 10.55 Uhr kommt die Nachricht aus dem Vorstand: "Vertagt."
Nun muss die CDU Zugeständnisse machen - oder etwa nicht?
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke, zuletzt schaumgebremster Möchtegern-Koalitionär, legte nach der Absage an die Ampel gleich wieder los. "Anders als die FDP hat sich die CDU den Grünen total unterworfen." Die einst stolze Baden-Württemberg-Partei CDU werde ihre "Kapitulationsurkunde" unterzeichnen und "als grüner Satellit" eine traurige Existenz fristen. Das sieht CDU-Landeschef und Bundesvize Thomas Strobl naturgemäß ganz anders. Er hat es anscheinend geschafft, den Gang in die Opposition an die Seite der AfD zu verhindern.
Dem Vernehmen nach hat die CDU in der Sondierung aber hoch und heilig versprochen, beim Klimaschutz voll mitzuziehen und über die fünf Jahre hinweg konstruktiver Juniorpartner zu sein. An diesem Samstag beim gemeinsamen Abfassen des Papiers für die Koalitionsgespräche werden die Grünen sehen, was das Versprechen wert ist.
SPD übt Kritik
Die SPD-Spitze hat die Entscheidung der Grünen in Baden-Württemberg gegen eine mögliche Ampel-Koalition scharf kritisiert. Damit mache die Partei von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) einen "Schritt zurück", sagte die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten". "Die Grünen verpassen die große Chance für eine progressive Landespolitik."
- Nachrichtenagenturen AFP und dpa