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Schnelltest-Versprechen gebrochen: Jens Spahn verspielt Vertrauen


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Versprechen gebrochen
Wieso Spahns Schnelltest-Offensive gescheitert ist


23.02.2021Lesedauer: 6 Min.
Jens Spahn: Das Versprechen, ab erstem März kostenlose Corona-Schnelltests bereitstellen zu wollen, kann er nun nicht einhalten.Vergrößern des Bildes
Jens Spahn: Das Versprechen, ab erstem März kostenlose Corona-Schnelltests bereitstellen zu wollen, kann er nun nicht einhalten. (Quelle: IPON/imago-images-bilder)

Versprechen soll man nicht brechen. Jens Spahn bleibt nun jedoch nichts anderes übrig: Seine Schnelltestpläne liegen vorerst auf Eis. Das kostet Vertrauen – und das war sowieso schon angeknackst.

Vor einer Woche machte Jens Spahn ein großes Versprechen: Ab dem ersten März sollten sich alle Bürger per Antigen-Test auf Corona testen lassen können. Kostenlos und unabhängig von Symptomen, also zum Beispiel auch für den Besuch bei den Großeltern oder die Rückkehr ins Büro. Am Montag dann die Enttäuschung: Das Verspechen kann nicht eingehalten werden. Das Thema sei nun auf der Tagesordnung beim nächsten Gipfel von Bund und Ländern, gab Regierungssprecher Steffen Seibert nach der Sitzung des Corona-Kabinetts bekannt. Der Gipfel ist aber erst am 3. März. Die kostenlosen Tests lassen somit auf sich warten.

Der Plan des Gesundheitsministers war es, dass jeder die Möglichkeit erhalten sollte, sich von geschultem Personal zum Beispiel in Arztpraxen oder Apotheken mit einem Antigen-Schnelltest auf Corona testen zu lassen. Innerhalb von 15 bis 30 Minuten hätte man dann ein Ergebnis – zwar nicht mit der gleichen Sicherheit wir bei einem Labortest, aber doch mit relativ hoher Gewissheit. Die Kosten dafür sollte der Bund tragen. Es gäbe mittlerweile genügend Tests am Markt, um die entsprechenden Kapazitäten bereitzustellen. Engpässe aufgrund zu großen Andrangs erwarte er nur zu Beginn – "wie immer, wenn es etwas umsonst gibt", so Spahn.

"Noch eine ganze Reihe wichtiger Fragen"

Doch im Corona-Kabinett am Montag haben die entscheidenden Details in seinem Plan dann anscheinend gefehlt: Kanzlerin Angela Merkel und die Minister seien mit seinen Antworten unter anderem zu Kapazitäten und Genehmigungen nicht zufrieden gewesen, schreibt die "Bild". "Es stellt sich da noch eine ganze Reihe von wichtigen Fragen", sagte auch Seibert. Der "Tagesspiegel" berichtet, das Gesundheitsministerium sei darüber irritiert: Der Plan sei zum 1. März realisierbar, die entsprechende Verordnung sei bereits fertig.

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Auch, dass das Kanzleramt andere Pläne verfolgt, sorge für Spannungen: Merkel wolle die Schnelltests mit einer Lockerungsstrategie verbinden, vor allem in zu öffnenden Einrichtungen testen. Kostenlose Tests für jedermann seien bei ihr nicht die Priorität. Sprecher Seibert warf zudem in der Pressekonferenz nach der Sitzung die Frage auf, wie viele Tests für die Bürger kostenlos sein sollen – die Kosten für den Bund würden davon schließlich maßgeblich anhängen.

18 Euro pro Test: "Muss zwingend erheblich gesenkt werden"

Bei den Kosten bekommt Spahn noch weiteren Gegenwind: Finanzminister Olaf Scholz hatte zwar bereits zugesagt, die Pläne zu unterstützen und die Gelder bereitstellen zu wollen. "Wir werden das auch finanziell wuppen", sagte er bei einem Pressetermin der Bayern-SPD. Doch aus den Parteien kommt Kritik: Die Chefhaushälter von CDU und SPD, Eckardt Rehberg und Dennis Rohde, fordern, die veranschlagten Kosten deutlich zu kürzen.

Aktuell sind vom Gesundheitsministerium neun Euro für die Anschaffung des Tests sowie neun Euro für die Durchführung und die Ausstellung eines Zeugnisses über das Ergebnis vorgesehen. In einem Brief an Kanzleramtschef Braun heißt es, die Veranschlagung entspreche nicht den bekannten Marktpreisen, und "muss daher zwingend erheblich gesenkt werden". Auch Kosten für die Umsetzung seien "unverhältnismäßig hoch im Vergleich zu dem eingesetzten Zeitaufwand".

Bundesländer "komplett überrumpelt"

Mit der Umsetzung wurden die Bundesländer zudem "komplett überrumpelt", sagte Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, bereits in der vergangenen Woche. Die Länder und Kommunen müssen selbst organisieren, wo die Tests stattfinden können, und zudem das medizinische Personal dafür stellen. Laut "Bild" kritisierten auch Ministerien und Behörden aus Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bremen, dass eine Ausarbeitung zur Umsetzung fehle.

Schon am Tag von Spahns Verkündung gab die Deutsche Stiftung Patientenschutz zu bedenken, dass es schon für die bereits bestehenden täglichen Schnelltests in Heimen vielerorts an Personal mangele: "Wie das für zig Millionen Menschen flächendeckend gehen soll, ist vollkommen schleierhaft."

Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund stellte klar, dass man nicht glauben dürfte, dass die Schnelltests ab 1. März "überall für alle" zur Verfügung stünden. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sagte den Zeitungen der Funkemediengruppe, dass man aus dem Start der Impfkampagne gelernt habe, dass die Beschaffung und deren Verteilung von solchen Mitteln eine "Mammutaufgabe" sei.

Wie viele Tests werden benötigt?

Die breite Verfügbarkeit für alle Bürger ist ein weiteres Thema, das bisher nicht geklärt ist: Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums gibt es mit Herstellern Verträge über 500 Millionen Stück auf nationaler sowie 300 Millionen Stück auf europäischer Ebene. "Es gibt keinen Mangel an Schnelltests", versicherte ein Sprecher am Montag.

Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder forderte Millionen Schnelltests am Tag, "denn wer geimpft ist und wer getestet ist, hat automatisch mehr Möglichkeiten, sich zu bewegen, und mehr Freiheiten". Mit den bisher gesicherten Kapazitäten könnte sich jedoch jeder für den Rest des Jahres nur etwa zehn Mal testen lassen. Daher stellt Söder fest: "Wie warten händeringend auf neue Formen der Schnelltests, der einfachen Anwendung der Schnelltests, das muss beschleunigt werden."

Damit meint der CSU-Politiker Schnelltests zur Selbstanwendung, zum Beispiel durch Gurgeln oder Spucken oder mit vereinfachtem Nasenabstrich. Dabei schaut er sicherlich auch ins Nachbarland Österreich.

Österreich als Schnelltest-Vorreiter

Wer in Österreich Schüler ist und in den Präsenzunterricht zurückkehren will, muss sich seit dem 8. Februar regelmäßig per "Nasenbohrer-Test" selbst auf das Coronavirus testen. In Testzentren und ausgewählten Apotheken kann jeder nach Anmeldung einen kostenlosen Schnelltest machen lassen – zum Beispiel vor dem mit negativem Test wieder erlaubten Friseurbesuch. Ab dem 1. März sollen von Apotheken jeden Monat fünf Selbsttests pro Bürger ausgegeben werden – zur Eigenkontrolle, als Nachweis dienen diese nicht.

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Seit kurzem steigen die Infektionszahlen dort zwar wieder. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag Mitte Februar bei nur knapp über 100, inzwischen beträgt sie 133. Doch die Positivrate, also das Verhältnis von Tests zu festgestellten Infektionen, ist nur wenig gestiegen: Von etwa 0,65 auf zuletzt 0,79. Der österreichische Gesundheitsminister Rudolf Anschober sagte jedoch in der vergangenen Woche: "Das bedeutet natürlich auch, dass die Infektionszahlen auch dadurch leicht ansteigen, denn mit mehr Testungen sehe ich natürlich besser in die Dunkelziffer hinein und mache mehr sichtbar, was an realem Infektionsgeschehen in Österreich vorhanden ist."

Laientests sollen im März kommen

Österreich kann aber auch deshalb bereits flächendeckend mit Laientests testen, weil das Land bei den Zulassungen getrickst hat: Denn die Tests sind zur Selbstanwendung freigegeben, auch wenn sie vom Hersteller dafür eigentlich nicht vorgesehen sind. In Deutschland ist das derzeit nicht denkbar.

Erwartet werden die Zulassungen für Laientests hierzulande spätestens im März. Spahn setzt große Hoffnungen in sie: "Diese Tests können zu einem sicheren Alltag beitragen, gerade auch in Schulen und Kitas". Das Gesundheitsministerium stehe in Verhandlungen mit den Herstellern, es sollen verlässliche Rahmenverträge geschaffen werden. Auch hier will der Bund finanziell unterstützen: Spahn plane eine Eigenbeteiligung von einem Euro pro Test, hieß es. Erhältlich sollen die Tests dann unter anderem in Apotheken, aber auch im Einzelhandel und bei Discountern sein, so der Gesundheitsminister.

Erfolgt eine entsprechende Zulassung noch vor dem 3. März, hätte Jens Spahn zumindest einen kleinen Erfolg beim nächsten Corona-Gipfel zu verkünden. Zudem wird er dafür sorgen müssen, dass die offenen Fragen bis dahin geklärt sind. Denn weitere Fehltritte wird er sich kaum leisten können: FDP-Chef Christian Lindner sagte schon vor dem Bekanntwerden der Verschiebung mit Blick auf die Verzögerungen beim Impfstart: "Wir haben so viele Ankündigungen erlebt, so viele Enttäuschungen. (…) Ich glaube Dinge nur noch, wenn ich sie wirklich sehe."

Selbst aus Reihen der Koalition kamen ähnliche Äußerungen: "Beim Impfen haben wir gemerkt, wir können den Ankündigungen von Jens Spahn nicht glauben. (…) Und ich habe ein bisschen Angst, dass wir die nächste Enttäuschung schaffen", so SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Sonntagabend in der "Bild"-Sendung "Die richtigen Fragen".

Müller: Länder müssen es ausbaden

Nun ist der Vertrauensbruch beim Regierungspartner groß: Der Berliner Bürgermeister Michael Müller, derzeit auch Chef der Ministerpräsidentenkonferenz, sagte im ZDF: "Es ist zum wiederholten Mal so, dass vonseiten des Bundesgesundheitsministers Dinge angekündigt wurden, die dann so oder zumindest so schnell nicht kommen." Das stelle die Länder vor Probleme, da sie das Ausbleiben der Tests mit anderen Schutzmaßnahmen auffangen müssten.

Und auch im Bund ist die Verstimmung nicht zu leugnen: "Dass der 'Ankündigungsminister' Spahn hier offensichtlich gestern wieder zurückrudern musste, hat uns doch sehr irritiert", sagte SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich am Dienstag. Merkel sei offensichtlich dazu gezwungen gewesen, Spahn "zurückzupfeifen". Bei der Regierungsbefragung am Mittwoch wolle er den Gesundheitsminister bitten, "nicht nur per Twitter-Ankündigung eine verlässliche Teststrategie auf den Weg zu bringen".

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters
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