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Corona-Krise: "Kann nicht wahr sein, dass wir Impftermine ungenutzt lassen"


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Corona-Impfkampagne stockt
"Es kann nicht wahr sein, dass wir Impftermine ungenutzt lassen"


23.02.2021Lesedauer: 5 Min.
Ein verwaistes Impfzentrum: In den Impfzentren gibt es nun zum Teil mehr Impfstoff als Impfwillige. Was tun?Vergrößern des Bildes
Ein verwaistes Impfzentrum: In den Impfzentren gibt es nun zum Teil mehr Impfstoff als Impfwillige. Was tun? (Quelle: HMB Media/Julien Becker/imago-images-bilder)

Irgendwie ist der Wurm drin: Erst gab es viel zu wenig Corona-Impfstoff, jetzt bleibt er zum Teil im Lager liegen. Wie bekommt Deutschland mehr Tempo in seine Impfkampagne?

Im brandenburgischen Kyritz rund 100 Kilometer nordwestlich von Berlin hatten sie in der vergangenen Woche ein Problem: Im Impfzentrum gab es zu viel Corona-Impfstoff.

Die Verantwortlichen setzten einen Hilferuf ab, denn es wollten sich viel weniger Menschen impfen lassen, als es Impfstoff gegeben hätte, insbesondere von Astrazeneca. Allein am Donnerstag seien von 280 Impfterminen nur 53 besetzt gewesen, sagte Landrat Ralf Reinhardt.

Also wurde kurzfristig umdisponiert: Verwaltungsmitarbeiter, Feuerwehrleute und Erzieherinnen bekamen einen Schuss Astrazeneca angeboten. Obwohl sie in der deutschen Impfpriorisierung noch nicht an der Reihe gewesen wären. Landrat Reinhardt sagte: "Es soll Impfstoff nicht im Lager stehen, es soll Impfstoff wirken und auch Schutz entfalten."

Berichte wie diesen aus Brandenburg gab es in den vergangenen Tagen aus mehreren deutschen Kommunen. Der Astrazeneca-Impfstoff scheint so unbeliebt zu sein, dass es derzeit zum Teil schwierig ist, genügend Impfwillige zu finden.

Die Kritik wächst. "Dass in Impfzentren offenbar Tausende Impfdosen von Astrazeneca unberührt lagern, dürfen wir nicht akzeptieren", sagte der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß t-online. Den gesundheitspolitischen Sprecher der FDP-Fraktion, Andrew Ullmann, macht die Situation "unfassbar wütend": "Es kann einfach schlicht nicht wahr sein, dass wir Impftermine ungenutzt verstreichen lassen."

Nur: Was tun?

Reservelisten für Impfwillige

Um den Impfstoff schneller aus den Lagern zu den Menschen zu bekommen, sind zwei Wege denkbar: Man kann versuchen, die Organisation zu verbessern. Oder man kann den Kreis der Impfberechtigten schneller ausweiten als bisher vorgesehen.

Sabine Dittmar, Ärztin und gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, setzt wie andere vor allem auf eine bessere Organisation. Sie glaubt, "dass es in den jeweiligen Priorisierungsgruppen genügend Impfwillige gibt". Gleichwohl sei es ein "Ärgernis, dass die Impfungen teilweise sehr schleppend verlaufen", sagte Dittmar t-online.

Die SPD-Politikerin weist darauf hin, dass es neben den Berichten über Termine, die mancherorts wegen zu geringer Nachfrage verfallen, auch immer noch Berichte gäbe von Menschen, die keinen Termin bekommen. So oder so müsse man jetzt "dringend nachsteuern".

Dittmar spricht sich deshalb dafür aus, die Informationspolitik zu verbessern, ohne die Impfreihenfolge aufzuweichen: "Es sollte überall Reservelisten mit genügend Impfwilligen geben, die schnell über freie Termine informiert werden könnten."

Auch FDP-Gesundheitspolitiker Ullmann ist für solche Listen mit Impfwilligen. "Denen kann dann unmittelbar eine SMS geschickt werden", sagte er t-online. "Die technische Umsetzung eines solchen Systems ist ein Klacks. Ich frage mich allen Ernstes: Warum soll das so schwer sein?"

Mangelnde Aufklärung

Kordula Schulz-Asche, Gesundheitspolitikerin der Grünen-Bundestagsfraktion, sieht vor allem Defizite bei der Aufklärung über den Impfstoff als Problem. "Die gefährlich zurückhaltende Informations- und Kommunikationsstrategie der Bundesregierung zieht sich leider wie ein roter Faden durch die gesamte Corona-Pandemie", sagte sie t-online.

Falsche Informationen über die Wirksamkeit des Astrazeneca-Impfstoffs hätten das Vertrauen insgesamt völlig zu Unrecht geschwächt, sagte Schulz-Asche. Und dass die üblichen Nebenwirkungen bei Astrazeneca zum Teil heftiger ausfielen, "traf Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen unvorbereitet", kritisierte sie. "Vielerorts fielen anschließend geimpfte Mitarbeitende vorübergehend aus."

Schulz-Asche ist sich sicher: "Das hätte durch eine gezielte Aufklärung verhindert werden können. Impfteams hätten mit Hilfe dieser Information gewusst, dass sie an einem Termin nicht ganze Pflegeteams impfen sollten."

Frühere Impfung für Personal in Kitas und Grundschulen

Deutschland hat sich dazu entschieden, zunächst alle Menschen zu impfen, die ein hohes Risiko haben, schwer zu erkranken oder zu sterben – und Menschen, die im Beruf besonders hohen Risiken ausgesetzt sind. Sie sind in drei Priorisierungsgruppen aufgeteilt. In die erste Gruppe fallen alle über 80, Pflegeheimbewohner und medizinisches Personal.

In der zweiten Gruppe sind bisher die über 70-Jährigen sowie Menschen mit schweren Vorerkrankungen. Nun sollen Beschäftigte an Kitas sowie an Grund- und Förderschulen in diese Gruppe hinzustoßen. Das haben die Gesundheitsminister am Montag entschieden. Sie fielen bisher in Gruppe drei, zusammen mit den über 60-Jährigen und Beschäftigten in Polizei, Feuerwehr und Einzelhandel.

Niedersachsen reicht das noch nicht. Für Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ist diese Änderung der Impfverordnung "nur ein erster Schritt". Er kritisierte: "Es ist nicht zu verstehen, dass die Lehrerinnen und Lehrer von älteren Kindern und Jugendlichen ausgenommen sind. Die Bundesregierung sollte in dieser Hinsicht keine halben Sachen machen."

Tatsächlich wird in Abschlussklassen weiterführender Schulen in vielen Ländern im Wechselmodell bereits jetzt mit halben Klassen oder gar ganz im Präsenzunterricht unterrichtet. Da es zudem Hinweise gibt, dass ältere Menschen ansteckender als Kinder sind, gibt es durchaus Argumente dafür, das Personal an weiterführenden Schulen zu impfen.

Astrazeneca für alle?

Und es gibt weitere Vorstöße, um den Kreis der Impfberechtigten schneller zu erweitern. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) fordert etwa, Polizisten früher zu impfen. "Wir müssen die schützen, die uns schützen. Neben Lehrern und Erziehern muss auch unsere Polizei früher geimpft werden", sagte er der "Bild". In Berlin werden da schon Fakten geschaffen. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) kündigte an, sie werde "der Polizei 12.000 Impfcodes zur Verfügung stellen".

Auch CDU-Fraktionsvize Thorsten Frei schlägt vor, den Berechtigtenkreis über "Wartelisten" und mit "nachvollziehbaren Kriterien" zu erweitern. "Sinnvoll fände ich, Angehörigen der nächsten Priorisierungsstufen hier die Möglichkeit zur Impfung zu geben, zum Beispiel bei der Polizei, der Bundeswehr, der Justiz und der Feuerwehr", sagte Frei t-online.

Für ein solches Vorgehen hatte sich auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach zuletzt ausgesprochen. Er forderte, den Astrazeneca-Impfstoff "unbürokratisch" für alle Impfberechtigten unter 65 Jahren aus den ersten drei Impfgruppen freizugeben. Es sei "eine absurde und unerträgliche Situation", dass Impfstoff liegen bleibe, sagte er der "Bild am Sonntag".

Klaus Heckemann, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung in Sachsen, ging sogar noch weiter und plädierte dafür, die Prioritätsgruppen für den Astrazeneca-Impfstoff einfach komplett abzuschaffen. "Ich halte es für richtig, ohne Priorisierung zu impfen und den Astrazeneca-Impfstoff damit für alle zugänglich zu machen", sagte er dem MDR.

Änderung der Priorisierung?

Astrazeneca für alle? Das scheint trotz allem nicht absehbar. Die SPD-Gesundheitspolitikerin und Ärztin Sabine Dittmar hält es für sinnvoll, "an der Priorisierung festzuhalten, solange der Impfstoff nicht in ausreichender Menge zur Verfügung steht", sagte sie t-online. Die Priorisierung basiere "auf wissenschaftlichen, medizinischen und ethischen Erkenntnissen, um schwere und tödliche Verläufe und die Transmission des Virus zu verhindern".

Auch die maßgebliche Ständige Impfkommission (Stiko) hatte eine Änderung der Priorisierung zuletzt abgelehnt. Bei der Reihenfolge stehe nicht eine mögliche Infektion mit dem Coronavirus im Vordergrund, sondern das Risiko, schwer zu erkranken, sagte Stiko-Chef Thomas Mertens. Das hänge zuallererst vom Alter und dann von Vorerkrankungen ab.

Die Chefin des Ethikrats, Alena Buyx, hat aus diesem Grund nun auch die Hochstufung von Grundschul- und Kitapersonal kritisiert. Sie betrachte die Entscheidung mit "sehr gemischten Gefühlen", sagte Buyx im Deutschlandfunk, weil mit ihr ein Stück weit die Systematik der Priorisierungen aufgegeben werde.

Nur ist die beste Systematik eben wenig wert, wenn der Impfstoff liegen bleibt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters
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