Vor dem Corona-Gipfel Einigkeit beim Lockdown, doch bei diesen Punkten gibt es Streit
Den Lockdown verlängern, gleichzeitig Perspektiven für Lockerungen beschließen – das wird die Herausforderung für Bund und Länder beim Corona-Gipfel am Mittwoch. Doch Einigkeit ist nicht in Sicht.
Unter hohem Erwartungsdruck wegen vielerorts sinkender Infektionszahlen ringen Bund und Länder um mögliche erste Lockerungen der Corona-Beschränkungen. Vor Beratungen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten an diesem Mittwoch zeichnete sich eine weitere Verlängerung des vorerst bis 14. Februar vereinbarten Lockdowns ab. Doch unter den Ländern gibt es jetzt konkrete Pläne, Kitas und Schulen bereits ab kommender Woche schrittweise wieder zu öffnen. Gesundheitsexperten warnen dagegen vor schlummernden Risiken neuer Virus-Mutationen.
Lockdown-Verlängerung wahrscheinlich
Merkel sprach sich am Dienstagnachmittag für eine Verlängerung des Lockdowns bis zum 1. März aus. Die Zeit, in der die britische Virus-Variante noch nicht die Oberhand gewonnen habe, sei entscheidend, um mit aller Kraft die Infektionszahlen herunter zu bekommen, sagte sie nach in einer Online-Sitzung der Unionsfraktion.
In der Beschlussvorlage des Kanzleramts, die t-online vorliegt (Stand: Dienstag, 10.15 Uhr), ist das genaue Datum jedoch noch offen: "Die Länder werden ihre Landesverordnungen entsprechend anpassen und bis zum XXX März verlängern", heißt es dort. Die Kontaktbeschränkungen sollen "in den nächsten Wochen grundsätzlich beibehalten werden".
Auch mehrere Länderchefs sprachen sich für weitere Beschränkungen aus. "Wir kommen nicht umhin, den Lockdown noch einmal zu verlängern", sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) der "Wirtschaftswoche". Saar-Regierungschef Tobias Hans (CDU) sagte der "Rheinischen Post": "Momentan sind die Zahlen für große Lockerungen nach wie vor zu hoch." Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) warb im Redaktionsnetzwerk Deutschland dafür, den Lockdown "unbedingt" zu verlängern.
Länder dringen auf Lockerungsplan
Kanzlerin Merkel sprach bei der Fraktionssitzung am Dienstagnachmittag von ersten Öffnungsschritten erst Anfang März. Diese Öffnungen könne es nur unter Auflagen geben. Eine rasche Öffnung würde die Gefahr bergen, "dass die Infektionszahlen ganz schnell wieder hochgehen", wurde Merkel zitiert.
Mehrere Länder drängen darauf, konkrete Aussichten auf Erleichterungen zu eröffnen. Man müsse sagen, bei welchen Zahlen was möglich sei, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) – etwa bei Sieben-Tages-Werten von 100, 50 oder 35 neuen Fällen pro 100.000 Einwohner. "Damit die Leute auch ein Ziel haben. Wir können nicht einfach immer nur verlängern."
Einige Länder legten eigene Stufenpläne vor. So beschloss Thüringen ein Konzept, wonach Friseure und Kosmetiker mit strengen Schutzauflagen bei Sieben-Tages-Werten zwischen 100 und 200 öffnen könnten. Bisher werden in diesen Konzepten jedoch noch keine Daten genannt. Allerdings kündigte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) an, dass er mit ersten Öffnungsschritten bereits im Februar rechne.
Morgen keine Einigung?
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), aktuell Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, erwartete im Vorfeld, "dass wir uns trotz der Unsicherheiten mindestens auf einen gemeinsamen Rahmenplan einigen können, möglichst gekoppelt an Inzidenzen und der Auslastung unserer Intensivmedizin."
Niedersachsens Ministerpräsident Weil hingegen rechnete am Dienstagabend nicht mit einer Einigung auf ein bundesweit einheitliches Vorgehen: Auf eine entsprechende Frage in einem Interview der ARD-"Tagesthemen" sagte Weil: "Die Antwort wird morgen noch nicht erfolgen können, das ist jedenfalls mein Eindruck, aber sie muss dann beim nächsten Mal stattfinden."
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow sagte dem RND (Mittwoch): "Es macht keinen Sinn, wenn wir jedes Mal eine Ministerpräsidentenkonferenz einberufen, Akteure vorher anfangen, über einzelne Teile laut zu debattieren – und man am Ende als Ministerpräsident gar nicht mehr weiß: Mach ich jetzt 'ne halbe Schule mit einem Viertel Kindergarten, und kann ich das noch kombinieren mit ein bisschen Blumen- oder Baumarkt." Nötig sei stattdessen "ein Regelwerk, das für alle Bürger und für alle Wissenschaftler nachvollziehbar ist - und uns als Handelnden einen Rahmen gibt, dass wir nicht jedes Mal neu verhandeln müssen."
Streitpunkt Schulen
Ständig wird betont: Schulen haben oberste Priorität bei den Öffnungen. Ob es jetzt schon Zeit ist – darüber herrscht noch keine Einigkeit. Merkel sei der Auffassung, mit jeglichem Öffnungsschritt bis 1. März zu warten, hieß es nach dpa-Informationen in der Online-Sitzung. Auch die Intensivmediziner von DIVI sprachen sich dafür aus, noch bis Anfang März zu warten. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Mittwoch): "Gerade angesichts der schwer kalkulierbaren Gefahren durch die Virusmutation müssen wir bei der Öffnung der Schulen vorsichtig vorgehen." Er empfehle, lieber noch ein, zwei Wochen zu warten als zu früh zu viel zu riskieren.
Andererseits haben bereits mehrere Länder konkrete Pläne, Kitas und Schulen ab kommender Woche schrittweise wieder zu öffnen. So kündigte Sachsen, das im Dezember als erstes Land flächendeckende Schul- und Kitaschließungen angeordnet hatte, am Dienstag als erstes Land an, Grundschulen und Kitas ab kommenden Montag in eingeschränktem Betrieb zu öffnen. Die Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) beschloss einstimmig, dass ab 15. Februar nach den Abschlussklassen auch untere Jahrgänge wieder zur Schule gehen sollen – "wenn die gute Entwicklung der Inzidenzwerte anhält", wie die KMK-Vorsitzende Britta Ernst (SPD) aus Brandenburg sagte.
Immer wieder betonen Wissenschaftler die dramatischen Folgen geschlossener Schulen vor allem für jüngere Schüler. Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, sagte der "Passauer Neuen Presse" (Mittwoch): "Kinder brauchen andere Kinder zum Aufwachsen und für eine gesunde und gute Entwicklung – unbedingt."
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig sprach sich für einen regulären Betrieb von Kitas und Grundschulen nach den Winterferien in Regionen mit niedrigen Corona-Infektionszahlen aus. "Wir wollen dort, wo wir keine Risikogebiete mehr haben, wo wir unter 50 sind, wieder einen regulären Kita- und Grundschulalltag anbieten", sagte die SPD-Politikerin am Dienstag in Greifswald. "Bei den anderen Regionen werden wir noch mal schauen, wie wir mit den Inzidenzen umgehen."
Beim "Impfgipfel" mit Ländern, Pharmaindustrie und EU hatte die Bundesregierung in der vergangenen Woche zugesagt, der Corona-Runde am Mittwoch einen "nationalen Impfplan" vorzulegen. "Dieser soll in einem konkreten Fahrplan festlegen, wie die gemeinsame Zielsetzung, allen impfwilligen Personen in Deutschland bis zum 21. September 2021 ein Impfangebot zu machen, erreicht werden kann", hieß es im Beschlusspapier des Impfgipfels. Der Fahrplan solle zudem einen "Korridor" der erwarteten Impfstofflieferungen vorgeben, damit die Länder ihre Impfkampagnen besser planen können.
Die Infektionszahlen und die Mutationen
Bundesweit sank die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen mittlerweile auf 68, wie das Robert Koch-Institut (RKI) am Mittwochmorgen bekannt gab. Mehr dazu lesen Sie hier. Kurz vor Weihnachten hatte der Höchststand bei 197,6 gelegen. Erklärtes Ziel ist ein Niveau von bundesweit weniger als 50, damit Gesundheitsämter vor Ort Infektionsketten wieder verfolgen können. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte kürzlich daran erinnert, dass die 50-er Schwelle eigentlich eine "kritische Marke" für nötige schärfere Gegenmaßnahmen sei – ein Niveau von 49,8 sei nicht unproblematisch.
Auch in Deutschland breiten sich mutierte Varianten des Virus aus, die als viel ansteckender gelten. Eine Verlängerung des Lockdowns wird oft mit der Gefährlichkeit der Mutationen begründet. Städtetagspräsident Burkhard Jung sagte in der "Rheinischen Post" zu seiner Forderung nach einer Verlängerung: "Zu ungewiss ist noch, wie sich die Mutationen des Coronavirus ausbreiten und was sie aufhalten kann". Die Sorge in Deutschland gilt derzeit insbesondere der Variante B.1.1.7, die zuerst in Großbritannien entdeckt worden war.
Am Mittwochvormittag kommen zunächst die Länderchefs zu abschließenden Beratungen zusammen. Um 14 Uhr soll dann die Schaltkonferenz mit Angela Merkel beginnen. Anschließend ist eine Pressekonferenz von Merkel, Müller und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder angekündigt.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters