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Teilnehmer kritisieren: mehr Werbeveranstaltung als Impfgipfel


Sondertreffen zu Lieferproblemen
Teilnehmer kritisieren: mehr Werbeveranstaltung als Impfgipfel

Von dpa, reuters, ann

Aktualisiert am 01.02.2021Lesedauer: 4 Min.
Impfgipfel per Videoschalte: Der Finanzvorstand von Biontech, Sierk Pötting, spricht zu den Teilnehmern des Impfgipfels, darunter Kanzlerin Angela Merkel und Berlins Ministerpräsident Michael Müller (im Vordergrund).Vergrößern des Bildes
Impfgipfel per Videoschalte: Der Finanzvorstand von Biontech, Sierk Pötting, spricht zu den Teilnehmern des Impfgipfels, darunter Kanzlerin Angela Merkel und Berlins Ministerpräsident Michael Müller (im Vordergrund). (Quelle: Steffen Kugler/Bundesregierung/dpa)

Bund, Länder und Vertreter der Pharmabranche treffen sich heute zum Impfgipfel. Doch der läuft zäh. Die Impfhersteller redeten zu lange, kritisieren Teilnehmer. Auch die Kanzlerin zeigt sich ungeduldig.

Die Kritik an der Impfstrategie der Bundesregierung ist groß, Landeschefs und Verbandsvertreter bemängeln fehlende Klarheit, fehlende Zeitpläne und vor allem: fehlende Vakzine. An diesem Montag ab 14 Uhr treffen sich deswegen Kanzlerin Angela Merkel, Minister und Ministerpräsidenten mit Vertretern der Pharmabranche.

Welche Unternehmen sitzen mit am Tisch, worüber wird gerade gestritten? Ein Überblick.

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Teilnehmer:

Ähnlich der Bund-Länder-Schalten in der Corona-Krise nehmen die Regierungschefs der Bundesländer, Bundeskanzlerin Angela Merkel und mehrere Bundesminister teil. Die Runde wird vonseiten der Politik durch Vertreter der Europäischen Kommission erweitert.

Aus der Pharma- und Chemiebranche sind laut "Spiegel" und "Bild" zehn Unternehmen geladen, darunter die größten Impfstoffhersteller: Biontech, Pfizer, Curevac, Moderna, Astrazeneca, Johnson&Johnson, IDT, Sanofi sowie der Leverkusener Chemiekonzern Bayer und das Pharma-Verpackungsunternehmen Schott. Bayer hatte am Montagmorgen angekündigt, in die Produktion von Covid-19-Impfstoffen einsteigen und das – noch nicht zugelassene – Mittel von Curevac herstellen zu wollen.

Ablauf:

Zuerst sollten die Impfstoff-Hersteller über ihren Impfstoff, den Stand der Zulassung, die Lieferungen, Maßnahmen zur Produktionssteigerung und die Wirksamkeit der Vakzine bei den neuen Corona-Mutanten berichten, wie der "Spiegel" unter Berufung auf den Ablaufplan schreibt. Dieser Teil geriet mit mehr als einer Stunde aber wohl so lang und oberflächlich, dass Teilnehmer laut mehreren Medienberichten monierten: Die angedachte kritische Befragung verkomme zur Werbe-Veranstaltung für die Impf-Firmen. Die "Bild" zitiert einen Teilnehmer mit den Worten: "Es ist ein einziges Blabla, ich weiß nicht, was ich hier soll."

Auch Kanzlerin Merkel zeigte Ungeduld: Laut "NTV" und "Bild" stoppte sie nach zwei Stunden Impfgipfel die Übersetzerin. Jeder der Teilnehmer verstehe Englisch, man solle so Zeit sparen.

Ab 16 Uhr sprachen dann die Vertreter der EU-Kommission, die EU-Kommissare Stella Kyriakides (Gesundheit) und Thierry Breton (Binnenmarkt), über die Impfpläne der EU. Sie verteidigten die hart umstrittene Linie der EU-Kommission bei der Beschaffung von Corona-Impfstoffen. Man habe gemeinsam mit den 27 EU-Staaten gehandelt und die bestmöglichen Verträge mit den Herstellern geschlossen, erklärte Gesundheitskommissarin Kyriakides. Laut "Bild" reagierte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder darauf ungehalten und kritisierte die EU-Maßnahmen als nicht ausreichend.

Einige Ministerpräsidenten kritisierten, dass die Bundesregierung und die EU nur mehr Impfdosen hätten bestellen müssen. Mehrere Vertreter von Pharmafirmen haben dieser Einschätzungen laut Reuters widersprochen. "Mit mehr Geld draufwerfen wäre wohl nicht viel mehr (Menge) rausgekommen. Die Produktion hätte man nicht viel früher viel mehr hochfahren können", habe etwa der Finanzvorstand von Biontech, Sierk Poetting, gesagt.

Ein positives, möglicherweise tatsächlich hilfreiches Ergebnis: Vertreter des Dessauer Pharmaunternehmens IDT Biologika haben darauf hingewiesen, dass man Impfstoff etwa von AstraZeneca produzieren könne. Aber: Dafür müsste man andere Produktionen zurückstellen, wofür Regresszahlungen fällig würden, sagt Geschäftsführer Jürgen Betzing nach Teilnehmerangaben.

Themen:

Die übergeordnete Frage des Impfgipfels ist: Wie kann Deutschland schneller und mehr impfen? Die Bundesregierung hält es laut einem Papier aus dem Bundesgesundheitsministerium für möglich, fünf Millionen Corona-Schutzimpfungen pro Woche zu verabreichen – gesetzt den Fall, es mangelt nicht an Impfstoff und die niedergelassenen Ärzte impfen mit. Seit Ende Dezember sind in Deutschland bisher insgesamt 2,4 Millionen Impfdosen verabreicht worden.

Für die Länder geht es beim Impfgipfel vor allem darum, vom Bund verlässliche Zeitpläne und Zusagen zu Lieferungen zu erhalten, um Impftermine planen und die Impfzentren entsprechend personell rüsten zu können. "Wichtig ist jetzt vor allem, dass wir klären, wann wir vor Ort wie viel Impfstoff zur Verfügung haben", sagte Reiner Haseloff, CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, t-online. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) forderte vor dem Gipfel in einem Brief an das Bundeskanzleramt einen "nationalen Impfplan" sowie "verlässliche und verbindliche Informationen zu den Impfstofflieferungen".

Es dürfte außerdem einige scharfe Diskussionen zwischen Politik und Wirtschaft geben. Die öffentliche Kritik von Politikern an den Herstellern ist massiv. "Ich bin schockiert über den Mangel an Sensibilität und Verantwortungsbewusstsein bei einigen Herstellern", sagte zum Beispiel SPD-Chef Norbert Walter-Borjans dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland".

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) betonte, dass er auch Eingriffe des Staates in die Wirtschaft, nämlich Vorgaben zur Produktion der Impfstoffe, unter Umständen für angebracht halte. "Nach dem deutschen Verordnungsrecht gäbe es die Möglichkeit, in solchen Notfällen auch zu akquirieren", sagte er. Dazu ruft auch Grünen-Vorsitzender Robert Habeck auf: Er fordert eine "Not-Impfstoffwirtschaft".

Daneben soll es beim Impfgipfel – zum Beispiel im Vortrag der Ständigen Impfkommission – auch um die Frage gehen, wie die Impfstoffe am besten priorisiert und verimpft werden. Weil die Ständige Impfkommission das Vakzin von Astrazeneca vorerst nur für die Verabreichung an 18- bis 64-Jährige empfohlen hat, könnte die bisherige Priorisierung verworfen werden. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte am Wochenende eine Anpassung der Impfverordnung an. Sachsen-Anhalts Bildungsminister Marco Tullner (CDU) fordert zum Beispiel, Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher bei der Impfung gegen das Coronavirus zu bevorzugen.

Ein Entwurf aus Spahns Ministerium, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, sieht vor, dass Menschen mit Vorerkrankungen voraussichtlich teilweise etwas früher zum Zug kommen könnten. Dem Entwurf zufolge sollen nun etwa Diabetiker mit hohen Blutzuckerwerten eine Impfung früher erhalten können. Dies gilt etwa auch für Menschen mit chronischen Leber- oder Nierenerkrankungen sowie bestimmten schweren chronischen Lungenerkrankungen.

Außerdem pochen Politiker darauf, so schnell wie möglich weitere Impfstoffe zuzulassen. Nicht nur Söder betonte, man müsse rasch auch die Zulassung von Impfstoffen aus Russland und China prüfen.

Kritik:

Fraglich ist, was ein Impfgipfel an der Impfstoffknappheit verändern kann. Thüringens Linke-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow kritisierte den Gipfel vorab als "Ablenkungsmanöver". Der Gipfel sorge auch nicht für mehr Impfstoff, der Bund habe die Länder im Regen stehen lassen. "Die Impfstoffbeschaffung ist ein Desaster."

Gesundheitsminister Jens Spahn, der den Gipfel auf Drängen von SPD-Ministerpräsidenten einberief, warnt selbst vor überhöhten Erwartungen: "Wir können durch einen Gipfel allein noch nicht mehr Impfstoffe produzieren", sagte er in einem "Bild"-Talk.

In Deutschland wurden laut Robert Koch-Institut bisher 2,4 Millionen Dosen verabreicht. Bislang waren Wirkstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna zugelassen, am Freitag erhielt zudem das dritte Vakzin von Astrazeneca die Zulassung.

Verwendete Quellen
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