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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Merz, Röttgen oder Laschet? CDU-Urgestein: Nur ein Kandidat hat das Zeug zum Parteichef
Er hat Konrad Adenauer zum CDU-Vorsitzenden gewählt, danach Helmut Kohl und Angela Merkel. Heinz Schwarz, 92, hat auch jetzt einen klaren Favoriten.
Vor dem Wohnzimmerfenster im Rheindörfchen Leubsdorf weht die Europafahne, hinter der Scheibe läuft der Fernseher tonlos: Börse im Videotext. Am Couchtisch sitzt CDU-Urgestein Heinz Schwarz. 92 Jahre alt und noch mittendrin im Geschehen an der Börse und in der Politik.
Wenn er vor dem Parteitag der CDU auf Friedrich Merz zu sprechen kommt, dann holt er aus und wählt einen Vergleich, der mit den Aktienkursen im TV zu tun hat. "Bilfinger steht bei 29 Euro. Als Roland Koch dort übernommen hat, lag die Aktie zwischen 80 und 90 Euro." Roland Koch sei ein hervorragender Ministerpräsident gewesen, der als Politiker vieles richtig gemacht habe – als Manager bei dem Baukonzern allerdings nicht. "Und bei Merz ist das genau umgekehrt. Der ist ein guter Kaufmann, und meint, er könnte ein guter Parteivorsitzender sein."
Innenminister unter Kohl
Mit Heinz Schwarz kann man über 75 Jahre Geschichte der CDU reden, weil er sie hautnah erlebt hat. Bundesgeschäftsführer der Jungen Union war er, er diente in Rheinland-Pfalz als Innenminister unter seinem Freund Helmut Kohl und engagierte sich als Wahlhelfer im Osten nach dem Mauerfall.
In Medienberichten heißt es oft, er sei bis 2018 – "da hatte ich eine Bronchitis" – bei allen CDU-Bundesparteitagen seit der Gründung dabei gewesen. Für Schwarz beginnt die Geschichte aber früher, im Oktober 1947: Er war unter den Delegierten, die der Generalsekretär der rheinland-pfälzischen CDU am Bahnhof von Kaiserslautern einzeln zum Gründungsparteitag begrüßte. Es dauerte noch drei Jahre, bis die Bundes-CDU sich 1950 in Goslar gründete und Schwarz unter den 368 Delegierten war.
Wenn am Wochenende der neue Parteivorsitzende gewählt wird, stimmen 1.001 Delegierte ab, und Schwarz wird am Fernseher sitzen und darauf vertrauen, dass die Delegierten Armin Laschet wählen. 2018, als sich die Delegierten für Annegret Kramp-Karrenbauer entschieden, hatte er mit seiner Meinung nicht hinterm Berg gehalten: AKK solle es werden, sagte er 2018. Und dann Laschet Kanzlerkandidat.
Kohl-Kandidatur für Fehler gehalten
Jetzt könnte Laschet beim digitalen Parteitag tatsächlich Parteivorsitzender werden. Schwarz beugt sich auf seinem Sessel nach vorne und versteht gar nicht recht, wieso sich in der CDU derzeit die Kandidatenfrage stellt: "Da ist ein Mann, der in Nordrhein-Westfalen die Sozis rauswirft, und als CDU-Mann reüssiert. Und da fängt man noch an zu suchen, ob man jemanden findet, der es noch besser kann? Das ist typisch CDU."
Schwarz war sich nicht immer so sicher wie jetzt. 1971 habe er es als Fehler seines Freundes Helmut Kohl empfunden, beim Bundesparteitag gegen Rainer Barzel anzutreten. Zwei Jahre später war Kohl einziger Kandidat und blieb 25 Jahre Parteichef. Schwarz im Rückblick: "Kohl hatte recht, er hat früh gezeigt, dass er bereit war." Dann klingelt das Telefon im Wohnzimmer in Leubsdorf, es klingelt häufig bei Schwarz. Diesmal ist er kurz angebunden: "Ich rufe zurück, ich arbeite."
Er erzählt dann vom vielleicht dramatischsten Parteitag der CDU-Geschichte. Schwarz wusste früh, was kommen wird. "Das war, als Heiner Geißler Kohl schlachten wollte". Es war 1989 als Schwarz bei Helmut Kohl im Büro saß – und Volker Rühe hinzukam. Kohl, der schon 1955 Schwarz einen vierseitigen Glückwunschbrief zur Wahl des Bundessekretärs der Jungen Union geschrieben hatte, machte vor Schwarz kein Geheimnis aus dem Plan: Rühe wurde wenig später Helmut Kohls Joker. Er präsentierte der Partei den jungen, liberalen Rühe als neuen Generalsekretär. Er grub so Heiner Geißler das Wasser ab, der mit seinem Putschversuch krachend scheiterte.
Der Kohl-Freund Schwarz ist aber auch Merkel-Fan, obwohl die seinen Abgang maßgeblich betrieben hatte. Schwarz kannte Merkel schon als Pressesprecherin des "Demokratischen Aufbruchs" (DA). Das war eine im Oktober 1989 gegründete politische Gruppierung, hervorgegangen aus einem Zusammenschluss Oppositioneller um die Pfarrer Rainer Eppelmann und Friedrich Schorlemmer. Eppelmann hatte schon vor der Wende in Leubsdorf übernachtet, und Schwarz machte zeitweise Wahlkampf für den Demokratischen Aufbruch.
Der DA trat 1990 der CDU bei, Merkel stieg schnell auf – und Schwarz gefiel das: "Die Politik der Frau hat mich von Anfang an gefesselt, weil das endlich mal ein anderer Ansatz war in fast allen Fragen." Abwartend zwar, aber mit naturwissenschaftlichem Hintergrund: "Ich habe immer gesagt, die Merkel weiß, dass eins und eins zwei ist. Und es gibt immer noch Leute, die meditieren, vielleicht ist es doch nicht ganz zwei."
"Merz schafft das nicht"
Jetzt gehe es dem Merz-Lager auch darum, Rache zu nehmen an Merkel, für das vermeintliche Aufgeben sehr konservativer Positionen. Doch der 92-Jährige sieht dort für die CDU nicht die Zukunft: "Die Kirchen sind doch auch längst nicht mehr voll, die Gesellschaft hat sich gewandelt." Schwarz ist nicht stehen geblieben, er hat im Keller auch den Rechner stehen für E-Mails und Internet. "Mailen Sie mir dann den Link zum Artikel?", fragt er.
Merz ist für ihn nicht der Repräsentant der CDU, "das kann man auch nicht lernen, das muss man leben. Merz schafft das nicht. Das läuft nicht. Da stimmt nichts." Merz sei zehn Jahre draußen, wisse gar nicht mehr, was die CDU ist.
Und Norbert Röttgen, den Dritten im Bunde, nimmt Schwarz gar nicht ernst, das schlechteste Landtagswahlergebnis und dann das anschließende Kneifen in NRW wiegen schwer. Den Aufschwung habe Röttgen nur in der veröffentlichten Meinung erlebt, nicht aber in der Partei. "Er ist ein kluger Kopf. Aber der als Parteivorsitzender, da fehlt eine ganze Menge."
Schwarz rechnet also mit einem Laschet-Sieg. Sollte es doch Merz werden, dann beginne ein Niedergang der CDU. "Es wird aber keine Revolution geben. Da werden alle sagen: 'Um Gottes Willen – aber schauen wir, dass wir beieinander gehören'."
Strobel und Kuban "dumm"
Und es sei auch nicht der Untergang, selbst wenn der falsche Mann gewählt wird. "Das sind ja alles Prozesse." Er wählt als Beispiel Baden-Württemberg: Die CDU lebe dort wieder auf, nachdem es "ein paar Leute gab, die meinten, dass das alles besser geht und dann von den Grünen auf die Schippe genommen wurden. Und der da Vorsitzender war, der ist ja out." Das ist eine Spitze gegen Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobel, Schwiegersohn von Wolfgang Schäuble und Merz-Unterstützer. "Der gehört zu den Dummen bei der Politik".
Genau so klare Worte findet Schwarz für Tilman Kuban, den Vorsitzenden der Jungen Union. Dass der für Merz sei, "passt zu seiner politischen Dummheit. Das ist der schlechteste Bundesvorsitzende, den die Junge Union je hatte." Kuban hatte nach einer Abstimmung die Unterstützung für Merz signalisiert. "Da haben sich von 100.000 Mitgliedern 20.000 beteiligt und 10.000 für Merz gestimmt. Und dann verkündet der, das sei die Junge Union?" Die CDU funktioniere auch anders, "wir haben nicht Volksdemokratie, sondern repräsentative Demokratie". Mit Delegierten, die mit ihrer Stimme entscheiden– wie Heinz Schwarz 70 Jahre lang.
- Eigene Recherchen