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Bundestagswahl: Scholz gegen Tabea Gutschmidt im Wahlkreis 61


Umkämpfter Wahlkreis 61
"Hallo, ich bin die Neue von der CDU"


Aktualisiert am 22.02.2025 - 15:01 UhrLesedauer: 7 Min.
Tabea Gutschmidt: CDU-Kandidatin für die Bundestagswahl im Wahlkreis von Olaf Scholz und Annalena Baerbock.Vergrößern des Bildes
Tabea Gutschmidt: CDU-Kandidatin für die Bundestagswahl im Wahlkreis von Olaf Scholz und Annalena Baerbock. (Quelle: IMAGO/Emmanuele Contini, Panama Pictures, Fotostudio Urbschat)
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In Olaf Scholz' Wahlkreis herrscht verkehrte Welt: Der Kanzler liegt in den Umfragen vorn, dicht gefolgt von der CDU-Kandidatin Tabea Gutschmidt. Obwohl sie dort vielen unbekannt ist, will sie beweisen, trotzdem gewinnen zu können. Nur wie?

Um halb sechs stellt sie sich für ihren Praktikumstag bei der Müllabfuhr in Potsdam vor: "Hallo, ich bin Tabea Gutschmidt, die Neue von der CDU." Sie tauscht ihren rosafarbenen Steppmantel gegen Latzhose und Jacke in leuchtendem Orange. Es ist schließlich Wahlkampf.

Neu ist für Tabea Gutschmidt an diesem Tag nicht nur die Müllabfuhr. Neu ist für sie auch dieser politische Wahlkampf. Gutschmidt tritt zum ersten Mal als CDU-Direktkandidatin für den Bundestag an. Und dann auch gleich gegen den prominentesten Gegner, den man sich vorstellen kann: Olaf Scholz. Es ist ein Wahlkampf unter umgekehrten Vorzeichen: Auf Bundesebene hechelt Scholz seinem Gegner Friedrich Merz in den Umfragen weit abgeschlagen hinterher. In seinem eigenen Wahlkreis Potsdam-Mittelmark II – Teltow-Fläming II hingegen ist der Kanzler der Favorit und liegt laut einer aktuellen Umfrage bei 25 Prozent. Gutschmidt folgt ihm dicht dahinter mit 22 Prozent. Zudem tritt eine weitere Prominente hier an: Annalena Baerbock.

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Gutschmidt ist die Unbekannte. Sie ist 45 Jahre alt, geboren in der DDR, ausgebildete Fotografin, erst seit neun Jahren CDU-Mitglied und seit 2021 Mitarbeiterin des Bundestagsabgeordneten Christoph de Vries. Jetzt möchte sie selbst in den Bundestag. Aber wie will sie das schaffen im kürzesten Wahlkampf, den es je gab?

Scholz gegen Merz und Gutschmidt gegen Scholz

Es ist ein kalter Morgen, Anfang Februar, als Tabea Gutschmidt mit dem Müllwagen durch die Straßen Potsdams rollt. Gutschmidt macht einen Praktikumstag bei der Müllabfuhr, um – wie sie sagt – solche Berufe sichtbarer zu machen. Sie will sich den Leuten vorstellen und zeigen: Seht her, ich bin eine von euch. Dass es auch gute Fotos für den Wahlkampf liefert, sagt sie zwar nicht. Es ist aber ein hilfreicher Nebeneffekt.

Der Wagen surrt, quietscht und poltert, aber es stinkt nicht. Die Metallmaschinerie im Innern drückt den geruchlosen Plastikmüll zusammen. Tabea Gutschmidt schiebt eine gelbe Tonne dicht an den orangefarbenen Lkw heran. Der Greifarm, der eigentlich dafür da ist, dass die Tonne nach oben befördert und ihr Inhalt in den Container geschüttet wird, reagiert nicht. Gutschmidt braucht Hilfe. Der Müllwerker, so die offizielle Berufsbezeichnung der Mitarbeiter der Müllentsorgung, erklärt ihr, wie sie die Tonne korrekt an das Müllauto schiebt.

Im Scholz-Wahlkreis dominierte lange Zeit die SPD, dicht gefolgt von den Grünen. Inzwischen liegt die AfD in aktuellen Umfragen bei 19 Prozent, knapp hinter SPD und CDU. "So rot-grün, wie alle denken, ist es hier nicht mehr", sagt Gutschmidt, während sie dabei zusieht, wie die Greifarme des Müllwagens die geleerte Tonne zurück in Richtung Boden ruckeln. Hier vermutet Gutschmidt daher ihr Potenzial: "Ich will, dass die Bürger mich wählen und nicht aus Frust die AfD."

Der AfD Stimmen abziehen

Da geht es ihr wie ihrem Parteivorsitzenden Merz. Auch er versucht, der AfD Stimmen abzuziehen. Es ist an diesem Februarmorgen zwei Wochen her, dass der CDU-Chef die fehlgeleitete Migrationspolitik für den Anschlag in Aschaffenburg Ende Januar verantwortlich machte – und ankündigte, dagegen sofort etwas zu tun.

Er brachte Anträge mit verschärften Maßnahmen im Bundestag ein und holte erstmals mit den Stimmen der AfD für einen davon, den Migrationsantrag, eine Mehrheit. Mit dem sogenannten Zustrombegrenzungsgesetz scheiterte er hingegen zwei Tage später. Seitdem sind in Berlin, München, Köln und vielen anderen Städten des Landes Hunderttausende Menschen gegen rechts und gegen die CDU auf die Straße gegangen.

Gutschmidt steht hinter diesen Forderungen, weil sie die Bevölkerung ihrer Ansicht nach schützen. "Merz handelt", sagt sie, "jede Messerattacke ist eine zu viel." Und dass es "keine Brandmauer zu den Bürgern" geben dürfe, "die angesichts der gescheiterten Asyl- und Migrationspolitik annehmen, AfD wählen zu müssen."

Video | Das wohl kurioseste Wahllokal Deutschlands
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Quelle: dpa

Sie hält sich an die Parteilinie. Auch Merz schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD grundsätzlich aus, rechtfertigt seinen mit den AfD-Stimmen durchgebrachten Migrationsantrag damit, dass SPD und Grüne ja auch dafür hätten stimmen und so eine Mehrheit mit der AfD verhindern können. Gutschmidts Vorgängerin als Direktkandidatin im Scholz-Wahlkreis, Saskia Ludwig, hat da weniger Vorbehalte. Sie sprach sich im Januar offen für eine mögliche Koalition zwischen CDU und AfD aus.

Ludwig hatte bei der Bundestagswahl 2021 13,8 Prozent im Wahlkreis 61 geholt. Sie lag damit weit hinter Scholz, der sich mit 34 Prozent der Stimmen das Direktmandat sicherte. Dieses Mal tritt sie im Wahlkreis 60 an, einem ländlicheren Gebiet in Brandenburg mit weniger prominenten Gegnern und einer Tendenz zur AfD. Auf der CDU-Landesliste steht sie auf Platz 3, Gutschmidt auf Platz 7. Was Gutschmidt von Ludwigs Position hält, will sie lieber nicht veröffentlicht sehen.

"Bei der Arbeit"

Gutschmidt rollt die Tonne jetzt zurück an ihren Platz auf dem Gehweg. Die Hupe des Müllautos ertönt zweimal – das Zeichen, zum Fahrer in den Wagen zu steigen. Ihre Tour führt die Müllwerker durch die Stadtteile Neu Fahrland und Fahrland, durch Sandstraßen mit frei stehenden Häusern mit Seezugang und vorbei an Hauptstraßen mit Wahlplakaten. Zwischen Scholz und Baerbock lächelt auch Gutschmidt an Laternen hängend freundlich in den Verkehr.

Gutschmidts Gesicht geht nicht nur im Straßenbild gegen die prominente Konkurrenz im Wahlkreis unter, sie ist auch in den sozialen Medien eine Unbekannte. Die AfD, der sie ja Stimmen abziehen will, ist dort jedoch besonders stark. Auf Instagram hat Gutschmidt gerade einmal 450 Follower. Sie sei dort bislang nicht aktiv genug gewesen, sagt sie. Und hat auch keinen Mitarbeiter, der sich um ihren Social-Media-Auftritt kümmert. Immer wieder friemelt sie deshalb ihr Handy aus der Latzhose, tippt darauf herum oder filmt kurze Videosequenzen: Gutschmidt an der Tonne, Gutschmidt vor und hinter dem Müllauto, Gutschmidt auf dem Tritt an der Rückseite des Müllautos. "Bei der Arbeit", sagt sie und winkt in die Kamera. Die Videos teilt sie später auf Instagram.

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Im Müllwagen erzählt der Fahrer, dass er sich über einen Streikerfolg freue. Seit zwei Jahren haben sie nun die 39-Stunden-Woche – wie ihre Kollegen im Westen Deutschlands. "Macht das wirklich so einen großen Unterschied?", fragt Gutschmidt. "Ja", sagt er, "eine Stunde mehr Freizeit jede Woche." "Das summiert sich. Ich gönne jedem eine freie Stunde mehr", lenkt Gutschmidt ein und schweigt dann erst einmal. Sie selbst sei immer erreichbar, arbeite als Politikerin oft mehr, als es auf dem Papier steht. Der Fahrer erzählt später, dass er noch nicht genau wisse, wen er wählen soll. Er will den Wahl-O-Mat befragen. Dass er sein Kreuzchen bei der CDU machen werde, sei eher unwahrscheinlich.

Weniger Bürokratie, weniger Frauenquote

Der Müllwagen parkt auf einem Supermarktparkplatz. Dort wartet bereits ein zweiter auf die Kollegen. Frühstückspause. Gutschmidt spendiert Kaffee, Schokocroissants und Krapfen vom Bäcker nebenan. Das süße Gebäck kommt an bei den Müllwerkern.

Sie schimpft jetzt auf die deutsche Bürokratie: "Dauert alles zu lang". Der Fahrer widerspricht, manche Vorschriften seien schon richtig. Die Frühstückpause zum Beispiel müssten sie machen, weil Kraftfahrer nur viereinhalb Stunden am Stück fahren dürfen. Arbeitsschutz für ihn – und für seine Kollegen, die hinten auf dem Tritt am Lkw mitfahren.

Gutschmidt versucht es mit der Frauenquote: Die lehnt sie ab. Es sei verständlich, dass es in manchen Branchen mehr Männer und in manchen mehr Frauen gebe, sagt sie. Die einzige Müllwerkerin in Potsdam reagiert prompt: "Muss ich mir jetzt einen neuen Job suchen?", fragt sie die CDU-Kandidatin und lacht. Gutschmidt beschwichtigt schnell: "Hauptsache, du bist glücklich."

Keine Chance für Potsdam

Nach ihrer Schicht bei der Müllabfuhr geht es für Gutschmidt nach Bornstedt, einem gutbürgerlichen Stadtteil im Norden Potsdams mit Reihenhäusern und Neubauten. Haustürwahlkampf, Flyer verteilen. Der Kofferraum ihres Kombis quillt beinahe über: Kartons mit CDU-Prospekten sind übereinandergestapelt, eine Leiter liegt quer darüber. Sie fährt an einem ihrer eigenen Plakate vorbei. Jemand hat "Faschos" in Großbuchstaben über ihr Gesicht geschmiert. "Emotional macht es wenig mit mir", sagt sie. Aber: "Es ärgert mich, weil es Sachbeschädigung und Plakatieren Arbeit ist."

Nach den Demonstrationen der vergangenen Woche hat Gutschmidt sich sorgfältig überlegt, ob sie ihre Infostände in der Stadt überhaupt noch aufbauen soll. "Einige von uns hatten Angst vor Pöbeleien und Bedrohung," sagt sie. Auch den Haustürwahlkampf macht sie nur, solange es hell ist.

Gutschmidt befüllt die Briefkästen mit Flyern und bleibt vor einem Haus mit grünen Fensterläden stehen. "Das gefällt mir." Sie klingelt. Ein Mann streckt seinen Kopf aus dem Fenster im ersten Stock. "Ah, Frau Photoshop", ruft er. Gutschmidt schaut irritiert, stellt sich trotzdem vor als die neue Kandidatin von der CDU. Der Mann hat die Plakate gesehen: "In echt haben Sie mehr Falten", ruft er. Von der CDU hält er nichts. Erst recht nicht seit der Sache mit Merz. Er wähle grün: "Ich würde Ihnen ja viel Erfolg wünschen, aber ich hoffe, Sie haben keinen", ruft er. Dann schlägt er das Fenster zu.

CDU "zu mutig", Scholz "ein Griff ins Klo"

"Die Grünen sind die schlimmsten, weil sie für sich beanspruchen, maximal tolerant und respektvoll zu sein", sagt Gutschmidt. Laut ihren Erfahrungen sei sie von Wählerinnen und Wählern der Grünen bisher am häufigsten beschimpft worden. Sie stopft ihr Gesicht, das von einer Banderole mit dem Gesicht des CDU-Kanzlerkandidaten umhüllt ist, in einen Briefkasten aus gebürstetem Edelstahl. "Habe ich wirklich so viele Falten?", fragt sie ein paar Häuser weiter.

An einem Neubau klingelt sie erneut. "Hallo, ich bin die Neue von der CDU." Der Mann an der Tür schaut interessiert: "Die CDU ist mir zuletzt etwas zu mutig gewesen", antwortet er und meint damit Merz' Migrationsantrag im Bundestag, "aber Scholz ist ein Griff ins Klo und Blau kommt nicht infrage." Gutschmidt versichert ihm: "Merz hat Rückgrat, um uns in der Welt zu repräsentieren."

Es sei auch ein Vorteil, dass sie ein neues, junges Gesicht ist. "Ich bin noch nicht verbrannt", sagt sie. Und auch dass sie als Politikerin vor Ort sei, anders als ihre Gegenkandidaten: "Scholz hat Potsdam nie eine Chance gegeben, seine Heimat zu werden", sagt sie, "und Baerbock ist als Außenministerin kaum da." Der Mann bedankt sich, nimmt den Flyer und schließt die Tür.

Gutschmidt hofft, dass sich der Haustürwahlkampf hier gelohnt haben könnte. Eines stört sie dann aber doch: "Ich bin Sportlerin. Es ärgert mich, dass ich nicht alle Häuser geschafft habe." Ihr sind die Flyer ausgegangen.

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