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"Markus Lanz": Sind alte Corona-Tote zu verschmerzen? Käßmann zeigt Haltung


Messner-Bruder bei Lanz
Alte nicht mehr ins Krankenhaus? "Das ist effektiv"

Eine TV-Kritik von Nina Jerzy

Aktualisiert am 16.12.2020Lesedauer: 3 Min.
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Intensivstation im Klinikum Essen: Immer mehr Covid-Patienten müssen beatmet werden.Vergrößern des Bildes
Intensivstation im Klinikum Essen: Immer mehr Covid-Patienten müssen beatmet werden. (Quelle: Ralph Lueger/imago-images-bilder)

Würden wir mit mehr Dringlichkeit über Corona sprechen und bereitwilliger Hygienevorschriften einhalten, wenn dem Virus vor allem junge Menschen zum Opfer fielen? Markus Lanz diskutierte eine schwere Frage.

Corona ist weder Pest noch Cholera. Die Symptome sind weniger dramatisch, in den Straßen stapeln sich keine Leichen, gestorben wird abgeschieden von der Öffentlichkeit in Pflegeheimen und Krankenhäusern. Markus Lanz warf am Dienstagabend die schwere Frage auf: Würden wir mit mehr Dringlichkeit über Corona sprechen und bereitwilliger Hygienevorschriften einhalten, wenn dem Virus vor allem junge Menschen zum Opfer fielen?

Alte Corona-Patienten sterben lassen?

Der Moderator erinnerte an den Besuch eines deutschen Arztes aus Nordschweden vor einigen Monaten in seiner ZDF-Talkshow. Der Gast habe etwas angedeutet, was sich mittlerweile bestätigt habe, nämlich, "dass es in Schweden Usus war, alte Leute über 80, wenn die erkrankt sind, definitiv nicht mehr ins Krankenhaus zu bringen, um das Gesundheitssystem nicht mehr zu überlasten. Das hat keiner offiziell gesagt, das wurde faktisch so gemacht", schilderte Lanz.

"Das ist effektiv", lautete das fachliche Urteil des Mediziners Hubert Messner, Bruder des Bergsteigers Reinhold Messner. Triage, also die Festlegung einer Reihenfolge, nach der Patienten behandelt werden (und einige im Extremfall beim Warten auf die Hilfe sterben) "kommt immer zum Zuge, wenn keine Intensivbetten mehr da sind", erläuterte der Chefarzt der Neugeborenen-Abteilung des Klinikums Bozen.

Routine ist diese Abwägung damit für ihn noch lange nicht. "Das ist ein wahnsinnig großes ethisches Problem für uns Ärzte, weil wir plötzlich nicht mehr unserer Verantwortung gerecht werden zu heilen", sagte Messner. Auf der anderen Seite stehe die Frage: "Muss ich eine Behandlung beginnen, wenn sie aussichtslos ist und ich damit nur einen schmerzhaften Prozess in Gang setze?"

Für den Mediziner wird in der öffentlichen Debatte über Covid-19 auch deutlich: "Wir haben als Gesellschaft die Beziehung zum Sterben verloren." Er nannte es "dramatisch", wie abgeschieden alte Menschen in Deutschland dem Virus erliegen. Der führende Neonatologe forderte, Mediziner gar nicht erst in diese moralische Zwangslage zu bringen und die Patienten in die Entscheidung über ihr Leben und ihren Tod einzubeziehen: "Wir müssen das Gesundheitssystem so aufstellen, dass wir jedem die Chance geben können und wirklich in einer gemeinsamen Entscheidung mit diesen älteren Leuten entscheiden: Haben wir eine Aussicht oder nicht?"

"Würde hängt nicht am Lebensalter"

"Wenn wir sagen 'Die Würde des Menschen ist unantastbar', dann hängt die Würde nicht am Lebensalter", urteilte Margot Käßmann aus Sicht der Theologin. In Deutschland werde oft mit Blick auf die Todesstatistik eingeschränkt: "Na ja, es sind ja in der Regel Menschen über 80. Ich glaube, die Diskussion wäre eine sehr sehr andere, wenn wir sagen würden, das sind alles sehr viel jüngere Leute."

Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland forderte mehr Solidarität – gerade an Weihnachten. "Wir können auch mal anders feiern", meinte Käßmann und erinnerte daran: "Es heißt ja auch: Stille Nacht. Das muss man manchen auch noch mal erzählen." Die Theologin schreckte bei ihrem Appell zum Fest unter Corona-Auflagen vor krassen Vergleichen nicht zurück. "Ich weiß, dass es vielen Menschen schlecht geht – aber wir werden nicht von Bomben erschlagen, ich muss keine Angst haben, dass ich erschossen werde oder dass ich nicht weiß, was ich morgen essen kann", sagte Käßmann. "Menschen waren in Konzentrationslagern unter grauenvollsten Umständen. Ich will nicht relativieren, was es an Leid gibt. Aber ich finde, wir können mal sagen: Ihr lieben Leute, das werden wir doch mal schaffen, uns so zusammenzureißen, dass wir das hinkriegen."

Stimmt Lanz' Behauptung?

Der Faktencheck zum Schluss: Die in einigen Medien geäußerte Darstellung, dass alte Corona-Patienten in Schweden quasi zum Sterben daheim verdammt wurden, ist umstritten. NDR-Journalisten hatten im Mai berichtet, dass die Daten der schwedischen Gesundheitsbehörden die Aussagen des "Markus Lanz"-Arztes auf den ersten Blick zu bestätigen scheinen. "In Schweden ist die Zahl der Corona-Patienten, die mindestens 80 Jahre alt sind und intensivmedizinisch behandelt werden, sehr niedrig", stellten die Reporter fest. "Allerdings zeigt ein Vergleich mit einigen anderen Ländern, in denen aktuelle Daten zur Verfügung stehen, dass auch dort eher weniger Patienten im hohen Alter intensivmedizinisch behandelt werden als in Deutschland."

"Es gibt ziemlich große Unterschiede, was in den verschiedenen Ländern unter Intensivpflege verstanden wird", erklärte Johnny Hillgren, der Vorsitzende des schwedischen Intensivregisters, auf NDR-Anfrage. Er wollte aber nicht ausschließen, dass verglichen mit Deutschland in Schweden weniger Patienten behandelt werden, bei denen Ärzte "erwarten, dass sie zu geringe Chancen auf ein würdevolles Überleben haben".

Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Uwe Janssens, sagte laut dem Bericht, dass hierzulande über solche ethischen Fragen bisher weniger öffentlich diskutiert wird als in Schweden. Ein Grund seien die Verbrechen von Ärzten im Nationalsozialismus.

Verwendete Quellen
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