"Es ist skandalös" Anwalt von mutmaßlichem Lübcke-Mörder kritisiert NDR
Videomitschnitte einer brisanten Vernehmungssituation mit dem mutmaßlichen Lübcke-Mörder wurden in einem NDR-Format veröffentlicht – während der Prozess läuft. Für den Anwalt des Angeklagten ist das ein Skandal.
Das NDR-Format "Strg_F" hat Videomitschnitte von Polizeivernehmungen mit dem mutmaßlichen Lübcke-Mörder Stephan E. veröffentlicht – während der Prozess um den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten noch läuft. Für den Anwalt des Angeklagten, Mustafa Kaplan, ist das ein No-Go. Dem "Spiegel" sagte er: "Es ist irritierend und skandalös zugleich, wenn Aktenbestandteile eines bundesweit beachteten Strafverfahrens auf illegalem Wege Medien zugespielt werden und Medienvertreter bereit sind, Ausschnitte daraus ins Internet zu stellen."
Ob das Videomaterial Zeugen beeinflussen werde, könne er nicht einschätzen. "Grundsätzlich sollen Zeugen ja aus ihrer eigenen Erinnerung berichten. Und nicht das, was sie auf YouTube gesehen haben", sagt Kaplan. Klar sei allerdings, dass die Veröffentlichung für seinen Mandanten als Person Folgen haben werde. "Mit dem Gebot einer Resozialisierung und dem Recht auf Vergessen ist das nicht in Einklang zu bringen. Bis zum Ende seines Lebens werden diese Bilder kursieren, er wird für immer an diesen Pranger gestellt sein."
Kaplan: "Früher oder später wird alles ans Tageslicht kommen"
Kaplan sagte, er stehe der Aufzeichnung von Vernehmungen kritisch gegenüber, obwohl er durchaus die Gründe anerkenne, die dafür sprechen. Aber: "Bei den Vernehmungsvideos, die wir in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen haben, handelt es sich um Aktenbestandteile. Diese sind ausschließlich für den Dienstgebrauch der Verfahrensbeteiligten vorgesehen."
Das Argument, dass es sich bei den Aufnahmen um "Dokumente der Zeitgeschichte" handle – damit begründeten die NDR-Mitarbeiter die Veröffentlichung – sei für ihn vorgeschoben. "Wieso wartet der NDR damit nicht, bis das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zumindest das Urteil verkündet? Wären sie dann keine 'Dokumente der Zeitgeschichte' mehr?"
Mit diesem Verhalten, sei eine "rote Linie" überschritten worden, so Kaplan. "Ich hoffe sehr, dass es bei der Veröffentlichung aus Aktenbestandteilen in Zukunft nicht zu einem Wettlauf unter Journalisten kommt." Wer das Material an die Medien weitergeleitet hat, sei noch unklar. "Früher oder später wird alles ans Tageslicht kommen. Irgendwer wird sich juristisch verantworten müssen."
- Eigene Recherche
- Spiegel.de: Videovernehmungen im Mordfall Lübcke – "An den Pranger gestellt"