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Coronavirus: Ausnahmesituation in Deutschland – wie lange kann das anhalten?


Coronavirus-Pandemie
Ausnahmesituation in Deutschland: "Wir reden hier von Monaten"

dpa, Anne Pollmann

18.03.2020Lesedauer: 4 Min.
Polizei und Ordnungsamt in Halle (Saale): Alle nicht zur Grundversorgung nötigen Geschäfte haben auch hier geschlossen. Die Stadt hat den Katastrophenfall ausgerufen.Vergrößern des Bildes
Polizei und Ordnungsamt in Halle (Saale): Alle nicht zur Grundversorgung nötigen Geschäfte haben auch hier geschlossen. Die Stadt hat den Katastrophenfall ausgerufen. (Quelle: Hendrik Schmidt/dpa)
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Das Coronavirus schafft eine Situation, in der viele Selbstverständlichkeiten ins Wanken geraten. Wie lang müssen Menschen in Deutschland mit den Einschränkungen leben? Und wie extrem werden diese noch?

Freunde und Familie im Zweifel lieber anrufen als persönlich treffen, große Gruppen meiden und so viele Aktivitäten wie möglich in die eigenen vier Wände verlegen – die Ansagen von Ärzten und Politik sind deutlich. Schulen bleiben dicht, viele Geschäfte und Freizeitangebote ebenso. Um die schnelle Weiterverbreitung des Virus zu stoppen, müssen viele Menschen Alltag und Gewohnheiten umkrempeln. Die Einschränkungen werden in den kommenden Tagen oder Wochen eher schärfer als lockerer, prophezeit der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité im NDR-Podcast. Viele fragen sich, wie lange sie in der Ausnahmesituation leben müssen.

John Ziebuhr vom Institut für Medizinische Virologie der Justus-Liebig-Universität Gießen rechnet damit, dass die Empfehlungen, soziale Kontakte auf ein Mindestmaß zu beschränken, für mindestens vier bis fünf Wochen gelten werden – "vielleicht auch ein paar Wochen länger. Das halte ich für eine sinnvolle Größenordnung, um die Situation neu beurteilen zu können", sagte der Infektiologe. Schul- und Kitaschließungen gelten in der Mehrzahl der Bundesländer zunächst bis zum Ende der Osterferien, also bis Mitte oder Ende April.

Spahn: Reden eher über mehrere Monate als über mehrere Wochen

Bereits vor einigen Tagen hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gesagt, dass sich alle Bürger auf längere Einschränkungen im Alltagsleben vorbereiten müssten. "Wir reden deutlich über mehrere Monate als über mehrere Wochen", sagte der CDU-Politiker.


Es sei eine Illusion, zu glauben, dass nach den Osterferien alles wieder seinen ganz gewohnten Gang nehmen werde, sagte der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit dem Fernsehsender n-tv: "Wir reden hier immer über einen Zeitraum von mehreren Monaten, wo wir mit diesen Einschränkungen leben müssen." Es komme jetzt darauf an, das richtige Maß für Deutschland zu finden. Das könne noch keiner sagen, was das sein wird. In den nächsten Tagen und Wochen werde man "sehen, wie die Stellschrauben auch wieder etwas gelockert werden können und wie das Gesundheitssystem mit diesen vielen Fällen dann auch umgehen kann".

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"Deutschland braucht eine Vollbremsung, einen Lockdown, mindestens so, wie ihn Italien jetzt hat", forderte Stephan Ortner, Direktor des Forschungsinstituts Eurac Research in Bozen in Südtirol. "Die Notwendigkeit, aber auch die Verhältnismäßigkeit der Abriegelung ganzer Städte und Gemeinden ist derzeit nicht gegeben", hieß es dazu aus dem Bundesinnenministerium am Montagabend. Für eine Entscheidung darüber wäre die jeweilige Landesgesundheitsbehörde auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes zuständig.

Lockdown eine "politische Verzweiflungsmaßnahme"

Auch Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery ist nach eigenen Angaben "kein Freund des 'Lockdown'. Wer so etwas verhängt, muss auch sagen, wann und wie er es wieder aufhebt", sagte er der "Rheinischen Post". "Da wir ja davon ausgehen müssen, dass uns das Virus noch lange begleiten wird, frage ich mich, wann wir zur Normalität zurückkehren?" Es sei ja nicht möglich, Schulen und Kitas bis Jahresende zu schließen. Denn so lange werde es mindestens dauern, bis es einen Impfstoff gebe.


Montgomery sieht Italien bei der Frage eines Lockdown nicht als Positivbeispiel, im Gegenteil: "Die waren ganz schnell an ihren Kapazitätsgrenzen, haben aber die Virusausbreitung innerhalb des Lockdowns überhaupt nicht verlangsamt." Ein Lockdown sei eine politische Verzweiflungsmaßnahme, weil man mit Zwangsmaßnahmen meint, weiterzukommen, als man mit der Erzeugung von Vernunft käme.

Über mögliche Szenarien wollen die Experten vom Robert Koch-Institut (RKI) nicht spekulieren. "Wir können zur Dauer der Maßnahmen keine Prognose abgeben, auch die Dauer der Durchseuchung lässt sich nicht absehen, das hängt ja auch von Maßnahmen und einer Impfstoffentwicklung ab", teilte eine Sprecherin mit. "Abwarten" lautet offenbar das Gebot der Stunden bei den Experten. In frühestens zehn bis zwölf Tagen lasse sich sagen, ob die jetzt getroffenen Maßnahmen etwas bringen.

Wenig Chancen auf ein Heilmittel in den nächsten Wochen

In Deutschland könnten sich nach Einschätzung des RKI in einem Zeitraum von ein bis zwei Jahren 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung mit dem neuen Coronavirus infizieren. Das entspricht bei gut 83 Millionen Einwohnern etwa 50 bis 58 Millionen Menschen. Diese Schätzung beruhe auf Modellrechnungen, erläuterte RKI-Präsident Lothar Wieler. Bei der Modellrechnung seien die Experten davon ausgegangen, dass es gegen den Erreger derzeit weder eine Immunität noch Therapien noch einen Impfstoff gebe.

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Die Chance, dass in den kommenden Wochen ein Wirkstoff gefunden wird, der dann auch in ausreichendem Maße zur Verfügung steht, hält Ziebuhr für unwahrscheinlich. Die Welle sei derzeit schlichtweg zu schnell.

Laut RKI wird die Pandemie von selbst gestoppt, wenn sich immer mehr Menschen infiziert haben und eine Immunität aufbauen. Von den bisher beim RKI registrierten Infizierten in Deutschland seien viele bisher gar nicht erkrankt oder schon wieder genesen.

Viele europäische Länder schränkten das öffentliche Leben stark ein. In Österreich gilt wegen der Pandemie nahezu eine Ausgangssperre. In Belgien gilt von Mittwochmittag an eine fast dreiwöchige Ausgangssperre. Frankreich schloss alle Restaurants, Läden und Bars. Auch die knapp 47 Millionen Bewohner Spaniens müssen möglichst zu Hause bleiben. Im Rahmen eines Alarmzustands wurden die meisten Läden geschlossen und der öffentliche Nah- und Fernverkehr um rund 50 Prozent reduziert. Nach Italien ist Spanien das von der Krise am stärksten betroffene Land Europas.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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