Besuch in Indien Merkel macht Weltpolitik – zu Hause tobt der Kampf ums Erbe
Es sind die fünften deutsch-indischen Regierungskonsultationen für die Kanzlerin. Sie gilt in Indien immer noch als eine der mächtigsten Frauen weltweit. Das sehen in Deutschland viele anders.
Es wirkt wie ein Routinebesuch von Angela Merkel bei guten, wichtigen Freunden. Doch gut möglich, dass die fünften auch die letzten deutsch-indischen Regierungskonsultationen sind, die die Kanzlerin der großen Koalition leitet.
Gut 48 Stunden hat sich Merkel Zeit genommen, um mit Premierminister Narendra Modi Zukunftsthemen zu besprechen. Es geht um Dinge wie Digitalisierung, Klimaschutz, erneuerbare Energien. Die Kanzlerin wirbt bei der mit 1,3 Milliarden Menschen größten Demokratie der Welt um einen neuen starken Partner für die Herausforderungen in der sich verändernden Welt – während Zuhause in Berlin schon um ihr Erbe gekämpft wird.
Zusammenarbeit soll intensiviert werden
Merkel sei "eine Freundin Indiens und eine persönliche Freundin", schwärmt Premierminister Narendra Modi über die Kanzlerin, als sie nach dem Regierungstreffen im Gästehaus seiner Regierung neben ihm steht. Schon als etwas langwierig die mehr als 20 gemeinsamen Absichtserklärungen verkündet werden, scherzen und lachen Merkel und Modi wie zwei alte Freunde miteinander.
Es geht um eine intensivere Zusammenarbeit in Zukunftstechnologien wie künstlicher Intelligenz oder Digitalisierung, bei Klimaschutz, Weltraum- und Luftfahrttechnologie – und auch beim Fußball. Bis hin zu einer intensiveren Zusammenarbeit im eher ungewöhnlichen Bereich der traditionellen Heilkunst Ayurveda, für die es in Indien sogar ein eigenes Ministerium gibt.
Dabei ist die Luft in Neu Delhi während des ganzen Merkel-Besuchs so dick wie die Atmosphäre zu Hause in der CDU, als Merkel am Donnerstagabend nach knapp sieben Stunden Flug aus dem Regierungs-Airbus steigt. Die indische Hauptstadt gilt als eine der Millionenstädte mit der größten Luftverschmutzung weltweit.
Vierter Indien-Besuch der Kanzlerin
Merkel ist die Belastung durch die schlechte Luft nicht anzusehen, als sie am Morgen an der Residenz des indischen Präsidenten von Modi zu den üblichen militärischen Ehren empfangen wird. Etwas einsam wirkt es dann, wie sie allein unter einem Baldachin auf einem einzelnen Stuhl den Nationalhymnen beider Länder lauscht und danach die Ehrenformation abschreitet. Seit ihren Zitteranfällen vor ein paar Monaten hat sich die Kanzlerin entschlossen, solche Anlässe lieber im sitzen zu absolvieren. Und dass Modi auf der Ehrentribüne sitzenbleibt, ist Tradition im Land.
Zum vierten Mal ist Merkel nun in dem Riesenreich – sie will ein Zeichen setzen für die demokratisch gewählte Regierung, auch als Kontrapunkt zu ihren häufigen Besuchen in China, dem autoritär regierten Riesenreich in der Nachbarschaft. Selbst wenn sich Merkel sorgt wegen des ausgeprägt hindu-nationalistisch geführten jüngsten Wahlkampfs Modis oder der Lage in der Unruheregion Kaschmir: Aus ihrer Sicht könnte das Land eine noch wichtigere Rolle in der internationalen Konfliktlösung spielen, etwa in Afghanistan nach dem Rückzug der USA.
Merkel gedenkt Mahatma Gandhi
Neben den politischen Gesprächen führt die Kanzlerin ein Gespräch mit fünf jungen indischen Frauen in Führungspositionen – darunter eine Menschenrechtsanwältin, eine Feministin und eine Umweltaktivistin. Eine solche Zusammenkunft mit Frauen ist zu einem kaum wegzudenkenden Bestandteil von Merkels Auslandsreisen geworden.
Auf ihrem Programm stehen aber auch zwei Abstecher in die indische Vergangenheit. Gleich am Morgen fährt die Kanzlerin zu dem Ort, wo der indische Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi eingeäschert worden war, nachdem er 1948 von einem Hindu-Nationalisten erschossen wurde. Wie alle anderen zieht auch Merkel ihre Schuhe aus, geht auf Socken zu dem Gedenkort und legt einen Kranz nieder. Behutsam streut die Kanzlerin dann rote, gelbe und weiße Blütenblätter auf den schwarzen Marmorblock, der zu Gandhis Gedächtnis dort steht.
"Im Gedenken an Gandhi-Ji, der mit seinem tiefen Glauben an die friedliche Revolution die Welt verändert hat. Auch bei uns in Deutschland", schreibt Merkel ins Gästebuch und zieht so die Schleife zur friedlichen Revolution in Ostdeutschland vor 30 Jahren. Am Nachmittag steht für sie noch einmal Gandhi auf dem Programm: Diesmal zusammen mit Modi besichtigt sie die Gedenkstätte Gandhi Smriti. Dort hatte der "Vater der Nation" die letzten 144 Tage seines Lebens verbracht, bevor er im dortigen Garten ermordet wurde.
Auch deutsche Innenpolitik ein Thema
Aber auch fast 5700 Kilometer entfernt von Berlin lassen sich die Friktionen bei den Christdemokraten und in der wackelnden Groko nicht ganz abschütteln. Beim Empfang des deutschen Botschafters in Merkels Hotel sind die Zukunft der großen Koalition und die Frage nach der künftigen Kanzlerkandidatur in kleinen Runden großes Thema.
Doch der Kanzlerin ist in Indien von den Wirrungen in ihrer Partei und ihrer Regierung nichts anzumerken. Kritiker sagen, die frühere CDU-Vorsitzende habe sich schon längst von ihrer Partei entfernt. Abgehoben konzentriere sie sich auf die Außenpolitik. Merkel selbst wird das anders sehen – angesichts der durchverhandelten Nacht über das Klimapaket der Koalition. Schon am Montagabend steht das nächste Treffen des Koalitionsausschusses an, es dürfte um für den Bestand der Koalition wichtige Dinge wie die Grundrente gehen.
Zu Hause warten schon die Probleme
Doch richtig ist auch: Seit Annegret Kramp-Karrenbauer im vergangenen Dezember die Führung der CDU von Merkel übernommen hat, hält sich die Kanzlerin in Parteisachen demonstrativ zurück. Eingeweihte sagen, Merkel befürchte, jede öffentliche Äußerung und Unterstützung für ihre Wunschnachfolgerin könne kontraproduktiv sein. Und außerdem: Die Verantwortung für die CDU hat aus ihrer Sicht natürlich die neue Chefin – Feuerprobe inklusive.
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Ob es für Merkel nicht doch ein Problem ist, dass sie angesichts der brisanten innenpolitischen Lage für ein paar Tage nicht in Deutschland ist? Die Kanzlerin dürfte das gewohnt pragmatisch sehen. Am Samstagnachmittag ist sie ja schon zurück in Berlin. Und eines ist sowieso sicher: Die Probleme sind noch da, wenn Merkel wiederkommt.
- Nachrichtenagentur dpa