Vor der Thüringer Landtagswahl Ramelows Koalition zittert – und will weitermachen
Ein schillernder Ministerpräsident Ramelow, ehrgeizige Grüne und eine zitternde SPD: Rot-Rot-Grün will nach der Landtagswahl am 27. Oktober in Thüringen weiter regieren – gegen eine starke AfD.
Als Bodo Ramelow vor fünf Jahren seinen Amtseid im Thüringer Landtag ablegte, war es ein Tag politischer Premieren: Deutschlands erste rot-rot-grüne Landesregierung startete mit dem ersten Ministerpräsidenten der Linken – und nur einer Stimme Mehrheit im Parlament. Das rot-rot-grüne Projekt, dem manche ein schnelles Scheitern voraussagten, stellt sich am 27. Oktober zur Wiederwahl.
"Wir sind ein konservatives Land mit einem linken Ministerpräsidenten", beschreibt Ramelow Thüringen. Und so kann es seiner Meinung nach bleiben. "Die Umfragewerte zeigen in die richtige Richtung. Ich strebe Rot-Rot-Grün an."
Linke liegen in Umfragen vorn
Anders als bei den Landtagswahlen vor vier Wochen in Sachsen und Brandenburg, wo die Amtsinhaber Michael Kretschmer (CDU) und Dietmar Woidke (SPD) lange zittern mussten, liegt die Linke von Ramelow in allen Umfragen klar vorn. In der jüngsten repräsentativen Befragung kam sie auf 29 Prozent – mehr als bei ihrem Regierungsantritt 2014 mit 28,2 Prozent und weit über den Ergebnissen in den beiden anderen Landtagswahlländern, wo die Wähler die Linke stutzten.
Zugleich hält die Linke die AfD, die mit ihrem Spitzenkandidaten Björn Höcke vom rechtsradikalen Flügel in Thüringen ein besonderes Kaliber ist, zumindest auf Distanz. In der jüngsten Umfrage landete die AfD bei 24 Prozent, knapp vor der CDU, die von 1990 bis 2014 die Ministerpräsidenten stellte.
Ramelow ist kein Klischee-Linker
Manche sprechen bereits vom "Ramelow-Effekt", der Rot-Rot-Grün trotz der SPD-Schwäche vielleicht eine zweite Regierungszeit beschert. Der gebürtige Niedersachse, der gleich nach dem Mauerfall als Gewerkschaftsfunktionär nach Thüringen kam, passt nicht so recht ins Linke-Klischee: Der 63-Jährige ist bekennender Christ, neuerdings auch "bekennender Dieselfahrer", er redet Arbeitnehmer in Betrieben mit "liebe Kolleginnen und Kollegen" an und erinnert an gemeinsame Demos, trifft sich aber auch mit Schlossbesitzern und schwärmt von deren Engagement für den Denkmalschutz.
Dabei ist Bodo Ramelow auch im Internet sehr präsent: Fast stündlich, manchmal im Minutentakt lässt er die Welt per Kurznachrichtenportal Twitter wissen, was er gerade macht und denkt – gern auch angriffslustig, poltrig oder derb. Ein politisches Unikat mag er aber nicht sein. "Das ist nicht zutreffend", sagt er.
Auf jeden Fall ist er kein Parteisoldat. "Ich bin getragen von einer Partei, aber nicht der verlängerte Arm oder Erfüllungsgehilfe der Partei", sagt er. Er sei das Gesicht, das für eine gute Teamleistung von Linke, SPD und Grünen stehe. Damit setzt Ramelow alles auf diese Karte.
Grüne und SPD jeweils bei 9 Prozent
Und die anderen Parteien? Die Grünen mit der bienenfleißigen Umweltministerin Anja Siegesmund und Fraktionschef Dirk Adams als Spitzenkandidaten sind von ihrem Höhenflug im Sommer auf derzeit 9 Prozent gefallen.
Die SPD mit Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee als Spitzenkandidat liegt aktuell bei 9 Prozent – 2014 waren es 12,4 Prozent. Alle bekennen sie sich zu Rot-Rot-Grün, wenn es in knapp vier Wochen dafür reicht. "Die SPD hat Lust, dieses Land weiter zu führen", versucht Fraktionschef Matthias Hey die gedämpfte Stimmung bei den Sozialdemokraten aufzuhellen. Sie führen derzeit mit Wirtschaft, Finanzen und Inneres die wichtigsten Ministerien.
CDU inszeniert sich als Versöhner
Kampflustig gibt sich CDU-Partei- und Fraktionschef Mike Mohring, der erst vor einigen Monaten eine Krebserkrankung überstand. "Die Frage ist doch, wird Thüringen von den Rändern regiert, oder aus der Mitte", sagt er mit Blick auf Linke und AfD. Mohring präsentiert die regierungserfahrene CDU auch als Versöhner zwischen boomenden Städten und dem Land, wo sich die Menschen wegen geschlossener Läden, Arztpraxen und schlechtem Nahverkehr Sorgen machen.
Nach den bisher vorliegenden Umfragen könnte es am 27. Oktober in Thüringen auf ein Patt hinauslaufen zwischen Ramelows Dreierbündnis und den derzeitigen Oppositionsparteien CDU und AfD. Unwägbar ist, ob die FDP nach fünf Jahren die Rückkehr in den Landtag schafft. Ihre Umfragewerte schwanken um 5 Prozent.
Minderheitsregierung möglich
Der Begriff Minderheitsregierung fällt angesichts dieser Konstellation derzeit immer wieder in Erfurt. Der Jenaer Politikwissenschaftler Torsten Oppelland hält eine von der CDU tolerierte rot-rot-grüne Minderheitsregierung für ein mögliches Regierungsmodell.
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Noch wollen weder Ramelow noch Mohring etwas davon hören. Zumindest würde Thüringen damit wieder Neuland beschreiten: Ein die politischen Lager übergreifendes Regierungskonstrukt – Oppelland spricht von einer "Art Allparteienbündnis gegen eine starke AfD" – gab es bisher noch nicht in Deutschland.
- Nachrichtenagentur dpa