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Aufbruch deutscher Parteien: Die Zeit der Ost-Ignoranz ist vorbei


Aufbruch deutscher Parteien
Die Zeit der Ost-Ignoranz ist vorbei


21.08.2019Lesedauer: 7 Min.
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Kanzlerin Angela Merkel, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern (v.l.): Die ehemals westdeutschen Parteien versuchen, sich stärker im Osten zu verwurzeln.Vergrößern des Bildes
Kanzlerin Angela Merkel, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern (v.l.): Die ehemals westdeutschen Parteien versuchen, sich stärker im Osten zu verwurzeln. (Quelle: imago-images-bilder)

Viele deutsche Parteien konnten es sich leisten, in Ostdeutschland kaum verwurzelt zu sein. Die anstehenden Wahlen haben sie aufgeschreckt. Aber geschieht mehr als nur Symbolisches?

Irgendwann nach der Bundestagswahl brach unter den deutschen Parteien nach und nach Unruhe aus. Es wirkte so, als hätten CDU, SPD, Grüne und FDP, die alle im Westen verwurzelt sind und von dort ihre Kraft schöpfen, plötzlich erkannt, dass die Bonner Republik sich zwar bis ins Jahr 2019 gezogen hat, aber dabei ist, unwiederbringlich zu enden.

Mit den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen und dem 30. Jahrestag des Mauerfalls endet diese Ära und damit auch die Zeit, in der Parteien glauben konnten, ihre Schwäche im Osten sei ärgerlich, aber auszuhalten. Wer im Osten schwach ist, wird künftig einfach schwach sein. Wer den Osten ignoriert, schafft Raum für neue Kräfte.

So traten CDU, SPD, Grüne und FDP einen langen Weg nach Osten an.

Allen vier westdeutschen Parteien fehlt im Osten auf unterschiedlichem Niveau das, was sie im Westen stark macht: die Verwurzelung in den Gemeinden. Die flächendeckende Existenz von Ortsvereinen, Kreisverbänden, Gemeinderäten, Bürgermeistern. Sodass die Menschen die Partei nicht nur aus dem Fernsehen kennen oder aus Polemiken ihrer Gegner, sondern als Leute vor Ort, die sich kümmern, die ansprechbar sind, denen man vertraut.

Damit, in einem Teufelskreis, mangelt es zugleich an Kandidaten für hohe Ämter, die in der Partei aufsteigen können. Die Parteien bekommen weniger mit, was fehlt, was gut läuft, was vor Ort gedacht wird. Und es fehlt an Mitgliedern, die für die Partei werben können. Wenn 2.800 Sozialdemokraten in Mecklenburg-Vorpommern Wahlkampf machen sollen, kommen sie an ihre Grenzen. Für deutlich weniger als 1.000 Grüne ist die Grenze des Machbaren weit überschritten.

Je verwurzelter eine Partei ist, desto eher hält sie Schocks aus. Je schlechter sie organisiert ist, desto eher ist sie auf Hilfe angewiesen, die sie nicht oder kaum beeinflussen kann: den Bundestrend, Ergebnisse in anderen Ländern, Stimmungen, einzelne Kandidaten.

Keine einzige Volkspartei im Osten

Das Schrumpfen der Parteien ist ein gesamtdeutscher Trend. Auch im Westen verlieren vor allem Union und SPD Mitglieder. Insgesamt organisieren sich weniger Menschen in Parteien als früher. Aber noch ist im Westen der Organisationsgrad so hoch, dass Gemeinderäte besetzt, Plakate geklebt und Wahlkämpfe organisiert werden können. Im Osten dagegen verloren CDU, FDP, aber auch die Linke, die aus der SED hervorgegangen war, zwischen 1990 und 2012 den Großteil ihrer Mitglieder, weil diejenigen, die aus einer geschluckten Ostpartei übernommen worden waren, in großer Zahl austraten.

Die fünf Bundesländer, in denen der geringste Bevölkerungsanteil SPD-Mitglied ist, heißen: Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen-Anhalt und als Schlusslicht Sachsen. Unter 1.000 Hessen gibt es acht Genossen, unter 1.000 Sachsen ist nur einer in der SPD.

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Die CDU hat in den fünf ostdeutschen Bundesländern (ohne Berlin) zwar fast doppelt so viele Mitglieder wie die SPD, obwohl die bundesweit noch die mitgliederstärkste Partei ist. Doch auch im Fall der CDU lauten die vier Länder mit dem geringsten Organisationsgrad: Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und ganz unten Brandenburg.

Selbst die Linke, die im Osten viel besser organisiert ist als im Westen, liegt nur in Brandenburg gleichauf mit der CDU. Die Grünen, die bundesweit aktuell darüber nachdenken müssen, jemanden für die Kanzlerkandidatur zu benennen, zitterten sich in der Vergangenheit in den fünf ostdeutschen Ländern jenseits von Berlin nur mit Mühe in den Landtag – oft genug klappte selbst das nicht. Der FDP erging es nicht besser. Für beide war die Fünf-Prozent-Hürde eine echte Bedrohung. Beide waren bisher daran gewöhnt, dass sie bei Kommunalwahlen in vielen Gemeinden gar keine oder zu wenige Kandidaten für eine eigene Liste fanden.

Faktisch gibt es keine einzige Volkspartei in Ostdeutschland.

Hektische Betriebsamkeit

Erst im Jahr 2019, 30 Jahre nach dem Mauerfall, im Jahr der Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen, im Jahr der Kommunalwahlen in allen ostdeutschen Bundesländern, und kurz nach der Bundestagswahl 2017, die in Ost und West sehr unterschiedliche Stimmverteilungen mit einer besonders starken AfD im Osten gezeigt hat, erkennt die westdeutsche Öffentlichkeit darin ein Problem. Hektische Betriebsamkeit und eine neue Lust an der Symbolik brachen aus.


Während der Koalitionsverhandlungen wurde Thema, dass die Bundesregierung zwar von einer Ostdeutschen geführt wird, aber ansonsten ein reines Westkabinett drohte. Am Ende erfüllte Franziska Giffey, geboren in Frankfurt an der Oder, die informelle Mindestquote zur Gesichtswahrung von: einer Ostdeutschen.

Der plötzlich stärker wahrgenommene Ostbeauftragte, seit 2018 der Thüringer CDU-Bundestagsabgeordnete Christian Hirte, fiel allerdings vor allem dadurch auf, dass er eine Ostquote für Führungspositionen ablehnte. Und damit, dass er sich mit bekannten ostdeutschen SPD-Vertretern stritt.

Die Regierung setzte außerdem eine Kommission für die Herstellung "gleichwertiger Lebensverhältnisse" ein. Die legte im Mai einen Bericht mit Bestandsaufnahme und Schlussfolgerungen vor. Die Umsetzung soll erst ab dem Herbst folgen.

Symbolisches Bemühen der Parteien

Besonders beflissen zeigte sich die SPD, die zwar noch in allen neuen Ländern mitregiert, aber trotzdem nicht als Stimme des Ostens wahrgenommen wird. Erst hielt die Partei im Januar 2019 eine Klausur in Schwante in Brandenburg ab. Der Ort war symbolisch gewählt: Im Pfarrhaus von Schwante nördlich von Berlin wurde 1989 die Sozialdemokratische Partei der DDR gegründet, die dann in der SPD aufging. Jetzt beschwor der Vorstand nicht nur den "Geist von Schwante", sondern verabschiedete auch ein erstes Ostpapier. Titel: "Jetzt ist unsere Zeit."

Im April machte die SPD den nächsten Schritt. Der Parteivorstand setzte den sächsischen Landesvorsitzenden Martin Dulig als Ostbeauftragten der Partei ein. Dann richteten die sechs Ostverbände im April 2019 noch einen Ostkonvent aus, in Erfurt. Im Abschlusspapier fordern sie einen "Vorsprung Ost". Neue Forschungsinstitute, die Wirtschaft der Zukunft, sollen im Osten angesiedelt werden. Ausgaben in Milliardenhöhe seien nötig, sagte Dulig t-online.de.

Die Sozialdemokraten in Sachsen, Thüringen und sogar in Brandenburg leiden allerdings trotzdem unter der Bundespolitik und dem mittlerweile desaströsen Image der Partei. Auch der Ostbeauftragte Dulig, Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident in Sachsen mit ordentlichen persönlichen Beliebtheitswerten, muss froh sein, wenn seine Partei ein zweistelliges Ergebnis bekommt.

Die CDU wiederum wählte auf dem Parteitag 2018 Mike Mohring und Michael Kretschmer, die CDU-Landeschefs in Thüringen und Sachsen, ins Parteipräsidium, wo die Ostverbände bisher unterrepräsentiert waren. Im Januar, zeitgleich mit der SPD, verabschiedete die Partei darüber hinaus ein eigenes Ostpapier.

Die FDP stellt einige Bürgermeister im Osten, auch wenn die meisten als Unabhängige antraten: in Dresden, in Dessau-Roßlau, seit 2018 auch in Jena. Die Wahl führten Liberale in der Folge gern an, um zu belegen, dass die Partei im Osten auch Chancen habe. Nachfolgerin der Generalsekretärin Nicola Beer wurde mit Linda Teuteberg eine Frau aus Brandenburg.

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Die Grünen verabschiedeten zwar kein Ostpapier, aber sie orientieren sich ebenfalls offensiv in Richtung Osten: Der Parteitag im November 2018 fand in Leipzig, die Fraktionsklausur im Frühjahr in Potsdam statt, die im Herbst wird sowieso traditionell in Weimar abgehalten. Der Bundesvorstand hat sich für Ende August, kurz vor der Landtagswahl in Sachsen, in Dresden zur Klausur verabredet. Immerhin das Spitzenpersonal aus dem Osten müssen sie nicht suchen: Parteichefin Annalena Baerbock lebt und kandidiert in Potsdam, Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und Bundesgeschäftsführer Michael Kellner kommen aus Thüringen.

Wie schafft man Strukturen?

Programme, Personal und Symbolik sind das eine. Eine Partei braucht aber auch funktionierende Strukturen in der Fläche. Ohne solche Strukturen ist sie auf günstige Umstände angewiesen, um Erfolg zu haben. Ohne Erfolg wiederum entstehen kaum Strukturen, weil sie nicht von oben verordnet werden können. Attraktiv ist eine Partei vor allem dort, wo sie schon aktiv ist. Als die SPD 2017 sogar Mitglieder gewann, da wuchs sie überproportional in den Städten, wo sie ohnehin auf engerem Raum organisiert ist.

Es gibt aber auch Beispiele dafür, wie versucht wird, Strukturen zu schaffen. Die besten Möglichkeiten dazu haben derzeit die Grünen und die AfD, weil sie, angetrieben von Erfolgen auch anderswo, 2018 bundesweit Mitglieder hinzugewannen. Die Grünen rekrutierten rund 10.000 neue Mitglieder, auch die Ostverbände wuchsen deutlich. Man finde jetzt viel leichter an viel mehr Orten Kandidaten für lokale Listen, sagt Geschäftsführer Kellner. Neue Ortsvereine seien etwa in Brandenburg gegründet worden.

Die Parteizentrale in Berlin treibt das zumindest teilweise gezielt voran: Im August 2018 lud die Parteizentrale die Kreisvorsitzenden aus den neuen Bundesländern für ein Wochenende nach Berlin ein. Dort wurde diskutiert und vermittelt, wie man einen Ortsverein organisiert, Wahlkampf macht oder Neumitglieder gewinnt. Die Partei setzt wie andere Parteien auch auf Freiwillige aus dem Westen, die etwa dabei helfen sollen, Plakate aufzuhängen und hat dafür etwa 50 Partnerschaften zwischen Verbänden aus dem Westen und dem Osten vermittelt.

In der SPD ließ das Versprechen des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel nach der Bundestagswahl 2017 aufhorchen. Er kündigte an, zu helfen, dort Ostverbände zu gründen, wo es bisher keine gab. Neue Ortsvereine sind daraus nicht entstanden. "Es gab eine Gesprächsreihe", sagt ein Sprecher der SPD in Sachsen-Anhalt. "Die fand aber dort statt, wo es schon Ortsvereine gibt." Gabriel war dennoch zu Gast in einigen Gemeinden und stehe bei einigen noch im Wort, teilt sein Bundestagsbüro mit.

Das Problem ist erkannt, das Ziel ausgemacht, die ersten Schritte sind gegangen. Aber der Weg nach Osten wird noch ein langer für die Parteien der alten Bundesrepublik.

Verwendete Quellen
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