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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schon 2019 Die Kanzlerfrage könnte im Osten entschieden werden
In drei ostdeutschen Bundesländern wird 2019 gewählt. Mit weitreichenden Folgen für die deutsche Politik.
Im kommenden Jahr 2019 stehen fünf Wahlen an: Bürgerschaftswahlen in Bremen, Europawahlen, und Landtagswahlen in den drei ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Nominell sind die Europawahlen die wichtigsten, immerhin geht es um die direkte Vertretung auf der höchsten politischen Ebene.
Doch für die deutsche Politik werden die drei Landtagswahlen im Osten entscheidender. Ihre Ergebnisse werden weitreichende Folgen haben. Sie könnten sogar darüber entscheiden, wer Angela Merkel als Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler nachfolgt. Das ist allerdings nur eines von fünf spannenden Themen.
1. Ausrichtung der CDU
Das Jahr 2018 begann, auch auf t-online.de, mit einer Suche nach dem, was modernen, zeitgemäßen, aber trotzdem trennscharfen Konservatismus ausmacht. Darauf ist bis heute keine Antwort gefunden.
Das Jahr zeigte aber, dass der Einfluss der extremen Rechten gebremst werden kann, wenn demokratische Konservative sich nur trauen, ihr etwas entgegenzusetzen. Mit der Niederlage der CSU bei den Landtagswahlen und dem Kurswechsel der Partei seit dem Sommer scheint der Flirt der Union mit dem extrem rechten Rand erst einmal vorbei. Die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur CDU-Chefin hat das noch einmal bestätigt.
Aber was, wenn die CDU vor allem in Sachsen, aber auch in Thüringen verliert? Wenn die AfD weiter zulegen sollte? Was, wenn die AfD gar stärkste Kraft in Sachsen werden sollte, was unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen ist? Gut möglich, dass dann die hektischen und bisher stets erfolglosen Versuche wieder beginnen, der AfD durch AfD-ähnliches Auftreten Wähler abzujagen.
Michael Kretschmer, der CDU-Ministerpräsident in Sachsen, ist leiser und methodischer als Horst Seehofer, doch sein Kampf gegen die in Sachsen starke AfD ist für die Union ungleich wichtiger, als es der vergebliche Kampf der CSU um die absolute Mehrheit war.
2. Die künftige Kanzlerschaft
Politik ist nicht beliebig planbar, Vorsitzende können gestürzt werden, Hoffnungsträger können fallen. Außer Frage aber steht, dass die CDU-Vorsitzende zum Zeitpunkt der nächsten Bundestagswahl gute Chancen hat, Kanzlerin zu werden. Außer Frage steht aber auch, dass Annegret Kramp-Karrenbauer, die amtierende CDU-Chefin, auf Bewährung ist.
Schneidet die CDU bei der Europawahl, vor allem aber in den ostdeutschen Ländern, vor allem aber in Sachsen schlecht ab, wird sie große Schwierigkeiten haben, sich zu halten. Der Richtungskampf wird mit Personalfragen verknüpft werden. Womöglich werden Friedrich Merz' Unterstützer seine vollkommen unbegründete Behauptung als Tatsache verkaufen, er hätte die AfD halbiert.
Schafft es die CDU aber, in Thüringen den Ministerpräsidenten zu stellen, in Sachsen ein Stück vor der AfD zu bleiben und eine Regierungsmehrheit zusammenzukratzen, dann hat Kramp-Karrenbauer gute Chancen, die nächste Kanzlerin zu werden. 2020 finden keine Landtagswahlen statt und dann ist schon das Wahljahr 2021: Da schreckt die Union vor Experimenten erfahrungsgemäß noch mehr zurück als sonst.
3. Die Zukunft der schwarz-roten Koalition
Auch für die SPD werden die Wahlen im Herbst wichtig. Sie bringt zwar bislang routiniert in der Regierung ihre Projekte auf den Weg, wird aber dadurch nicht beliebter. In der Partei gibt es zwei Haltungen: Die einen meinen, nur nach einem Koalitionsbruch könne es aufwärts gehen, eventuell. Die anderen meinen, nur durch gute Regierungsarbeit könne es aufwärts gehen.
Sollte sich die Partei für den Koalitionsbruch entscheiden, müsste sie sich beeilen. Gemessen an der Bevölkerung hat die SPD nirgends so wenig Mitglieder wie in Sachsen, nur unwesentlich mehr hat sie in Thüringen. In beiden Ländern drohen einstellige Ergebnisse.
Wenn sie erst einmal bei den Europawahlen und in Bremen schlecht, in Brandenburg schlechter als bisher und in Thüringen und Sachsen verheerend abschneidet, wird sie erst recht keine Kraft für Neuwahlen haben. Ein Koalitionsbruch würde dann nicht mehr entschieden wirken, sondern nur noch verzweifelt. Auch die Zukunft der Koalition hängt maßgeblich an den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen.
4. Ende des grünen Traums?
Die Grünen hatten 2018 ziemlich viel Glück. Die anderen Parteien gaben ausgerechnet im eindrücklich heißen und trockenen Sommer ein chaotisches Bild ab, und dann auch noch ausgerechnet vor Wahlen in zwei der Bundesländer, in denen die Partei am stärksten aufgestellt und die SPD besonders schwach ist. In Bayern und Hessen. Dort haben die Grünen viele Mitglieder, sind lokal aktiv und bekannt und hatten starke Spitzenkandidaten.
Gute Umfragen sorgten für gute Ergebnisse, die sorgten wieder für gute Umfragen. Der Erfolg ist auch Resultat einer Stimmung.
Das nächste Jahr wird ungleich härter: In Ostdeutschland fehlen Mitglieder und Strukturen. In allen drei Ländern, in denen 2019 gewählt wird, lagen die Grünen bei den beiden vorigen Wahlen eher knapp über die Fünfprozenthürde.
Gehen die Wahlen schief, könnte der Höhenflug dauerhaft zu Ende sein, weil der Glaube an den Höhenflug nachlässt. Schaffen die Grünen aber sogar ohne funktionierende lokale Strukturen gute Ergebnisse, sind sie auf dem Weg von der kleinen zur mittelgroßen Partei weit gekommen.
5. Handlungsfähigkeit der deutschen Politik
Schon seit einer Weile zeichnet sich ab, dass die Zeit der festen Bündnisse vorbei ist. Die Zeit der Volksparteien ist vorbei, Rot-Grün ist vorbei, Schwarz-Grün ist eine bloß westdeutsche Koalition. Im neuen gesamtdeutschen Sechs-Parteien-System zählt deshalb vor allem eines: Bündnisfähigkeit. Einflussreich ist, wer koalieren kann. Und das System an sich kann nur handlungsfähig bleiben, wenn sich auch ungewöhnliche Bündnisse formen.
Insofern werden die Wahlen entscheidend: In Sachsen und Brandenburg könnte die AfD stärkste Partei werden, in allen drei Ländern könnte nur eine Vierer-Koalition aus CDU, SPD, Grünen und FDP eine Mehrheit gegen Linke und AfD haben; es ist sogar vorstellbar, dass sich gegen AfD und Linke gar keine Mehrheit bilden lässt.
Dann müssten die Parteien über Minderheitsregierungen nachdenken. Oder die CDU darüber, ob sie lieber mit der extrem rechten AfD zusammenarbeiten will oder doch mit der politisch weit entfernten, aber leidlich demokratischen Linken.
Erste Debatten haben der CDU-Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein, Daniel Günther, und Ingo Senftleben, der Landesvorsitzende aus Brandenburg, schon begonnen. Bisher stoßen alle Gedankenspiele über schwarz-dunkelrote Bündnisse auf wütende Ablehnung. Aber noch kommt es auch nicht zum Schwur.
Einige Entwicklungen zeichnen sich ab: Jan Korte (Die Linke) und Carsten Schneider (SPD) haben auf t-online.de die rot-rote Zusammenarbeit zaghaft neu belebt. Gleichzeitig weigerte sich die FDP mehrfach, eine Ampel auch nur zu erwägen, vor allem unter Grüner Führung.
Die Ost-Wahlen werden aller Wahrscheinlichkeit nach einen ersten Blick auf die Zukunft des deutschen Parteiensystems bieten.
- Eigene Recherchen