Mordfall Walter Lübcke "Combat 18" – das Neonazi-Netzwerk hinter dem Terrorverdächtigen
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Neonazi-Gruppe "Combat 18" probt im In- und Ausland den Bürgerkrieg. Der Mordverdächtige im Fall Lübcke stand mit der Organisation in Kontakt. Nun ist die Gruppe verboten.
September 2017. Am Tag der Bundestagswahl warten GSG-9- Einsatzkommandos der Bundespolizei am deutsch-tschechischen Grenzübergang Schirnding. Sie haben von Verfassungsschützern einen Hinweis erhalten: Mitglieder der Neonazi-Gruppe "Combat 18" sollen nahe dem tschechischen Cheb zweitägige Schieß- und Kampfübungen veranstaltet haben. Tatsächlich tauchen zwölf deutsche Neonazis auf – und haben illegale scharfe Munition dabei. Mehrere der Männer werden später verurteilt.
"Kampfgruppe Adolf Hitler"
"Combat 18", auch "C18" abgekürzt, das heißt: "Kampfgruppe Adolf Hitler". Stephan E. – der Verdächtige im Mordfall Walter Lübcke – stand zumindest in früheren Jahren mit der Gruppe in Kontakt. Noch im März 2019 soll er sogar laut einem Fotogutachten des ARD-Magazins "Monitor" an einem konspirativ abgeschotteten Treffen der militanten Gruppe teilgenommen haben – es gebe "unwiderlegbaren Übereinstimmungen". Der "Spiegel" berichtet hingegen, es könne sich um eine Verwechslung handeln. Auch ein zweites Gutachten widerspricht dem ersten. Wie eng war zuletzt E.'s Kontakt zu "C18"?
Wer an solchen Treffen teilnimmt, der sieht sich im bewaffneten Kampf gegen die Demokratie. Im sogenannten "führerlosen Widerstand". Auch der sogenannte "Nationalsozialistische Untergrund" entstand aus dieser Idee und weist Gemeinsamkeiten mit "Combat 18" auf. Die Gruppe um das Kerntrio Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos agierte als autonome Zelle, wie die "C18"-Ideologie vorsieht. Das Ergebnis: eine jahrelang unentdeckte Terrorserie mit zehn Toten und zahlreichen Verletzten. Wie groß ist das weitere terroristische Potenzial?
"C18" war lange nicht verboten
Seit dem 15. Dezember 2015 hat es laut Bundesregierung zwölf Schießübungen von deutschen Neonazis im Ausland und seit dem Jahreswechsel 2017/2018 weitere fünf im Inland gegeben – auch "C18"-Mitglieder nahmen teil. Trotzdem betonte das Bundesinnenministerium über Jahre hinweg, keine rechtssichere Verbotsgrundlage für die Gruppe in Deutschland zu haben. Erst im Januar 2020 erließ es das Verbot. Verfassungsschutzbehörden sahen bis dahin in der nach außen dargestellten Militanz mehr das Ringen um Bedeutung – trotz der Warnungen vieler Szenebeobachter, die sich durch den Anschlag auf Lübcke nun bestätigt sehen.
Denn "Combat 18" versteht sich als der bewaffnete Arm des Neonazi-Netzwerks "Blood and Honour", das in den Neunziger Jahren in Großbritannien entstanden ist. Mit Neonazi-Musik, Veranstaltungen und Merchandise sollte die Organisation den bewaffneten Kampf der autonomen Zellen finanzieren und für eine Unterstützerbasis sorgen. In Deutschland wurde das Netzwerk im Jahr 2000 verboten.
Pistolen, Revolver, Gewehre
Im europäischen Ausland bestehen die Strukturen aber unverändert fort – auch deswegen tauchen deutsche Neonazis immer wieder in Tschechien, Bulgarien oder Ungarn zu Wehrsportübungen und Szenetreffen auf. Neben dem Umgang mit scharfen Pistolen, Revolvern, Schrotflinten und Gewehren trainieren sie dort den "waffenlosen Nahkampf" – und ziehen wie in Ungarn zum sogenannten "Tag der Ehre" mit Gesinnungsgenossen durch die Straßen.
Über die Mitgliederzahl von "Combat 18" in Deutschland ist wenig bekannt. Das Innenministerium beziffert sie offiziell auf etwa 20 Personen. Laut Bundesregierung existiert in Deutschland erst seit 2013 offiziell eine Gruppierung mit Bezeichnung "Combat 18", deren Mitglieder in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen wohnhaft sind. Mehr Informationen stellte das Portal "Exif-Recherche" zur Verfügung: Mitgliederlisten, Kontoauszüge, sogar eine Art Vereinssatzung.
Die Recherchen lassen den Schluss auf feste Strukturen zu. Durchsuchungen erfolgten nun in Thüringen, Osthessen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Rädelsführer Stanley R., der als wichtige Figur der Szene gilt, wurde den Angaben zufolge von der Polizei in Thüringen an seinem Arbeitsplatz angetroffen und zu seiner Wohnung gebracht, die durchsucht wurde
"Individuelle Gewaltbereitschaft"
Erst Mitte 2019 umriss das nordrhein-westfälische Innenministerium auf eine Anfrage der Grünen die Gefährlichkeit der Gruppe konkreter. Dort heißt es: "Bei den Anhängern von C 18 ist von einer Waffenaffinität und individuellen Gewaltbereitschaft auszugehen. Ob es sich bei C 18 um eine terroristische Vereinigung im Sinn des § 129 a Strafgesetzbuch handelt, obliegt einer richterlichen Entscheidung."
Hat der Mord an Walter Lübcke die Einschätzung der Behörden geändert und das Verbot beschleunigt? Schnell wurden im Nachgang aus den Reihen der FDP und der Linken Verbotsforderungen laut. Zumindest in Nordrhein-Westfalen sind Ermittler zunehmend sensibilisiert. Nicht nur die Anschläge auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker 2015 und den Altenaer Bürgermeister Andreas Hollstein im Jahr 2017 haben dort stattgefunden.
Auch der Sprengstoff-Anschlag auf den Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn 2000, ist bis heute ungeahndet. Dabei wurden zehn jüdische Zuwanderer teils schwer verletzt, ein Ungeborenes starb. Auch der NSU verübte ein Bombenattentat in Köln – und mordete in Dortmund.
NSU und "C18" – Spuren nach Dortmund
Gerade dort vermutete das Landeskriminalamt einen Schwerpunkt auch der "C18"-Aktivitäten: Bei 40 der fast 100 Straftaten, die ihren zwölf Mitgliedern in NRW zugeordnet werden, war Dortmund der Tatort. Dort soll der deutsche Arm der Gruppe entstanden sein. Ein enger Kontakt der NSU-Terroristin Beate Zschäpe tritt dort häufig in "Combat 18"-Kleidung auf. Die Band "Oidoxie" stammt dorther, um die ebenfalls weit vor 2013 eine Terrorzelle entstanden sein soll. Die Durchsuchung fand nun in Castrop-Rauxel statt.
- Newsblog: Verfassungsschutz stellt E.s Akte zur Verfügung
- Stephan E.: Verdächtiger hat lange Neonazi-Vergangenheit
- Deutschland: So groß ist die Gefahr von rechtem Terror
Der Mordverdächtige Stephan E. wurde mit Kasseler "Combat 18"-Mitgliedern ebenfalls in Dortmund gesehen, gemeinsam griffen sie 2009 eine DGB-Kundgebung an. E. wurde verurteilt und laut Angaben der Behörden seitdem nicht mehr besonders auffällig – bis eine DNA-Spur am Tatort in Kassel die Ermittler zu ihm führte.
Anmerkung der Redaktion: Der Text erschien erstmals am 21. Juni 2018. Er wurde aktualisiert.
Update 24.6.2019, 12.55 Uhr: In einer früheren Version des Artikels hieß es, E.'s Teilnahme an dem Treffen sei durch das Gutachten belegt. Laut "Spiegel" ist eine Verwechslung möglich.
Update 26.6.2019, 13.53 Uhr: Mittlerweile kommt ein zweites Gutachten zu einem anderen Schluss. t-online.de hat die Berichterstattung dementsprechend angepasst.
Update: 23.1.2020, 10.12 Uhr: Das Bundesinnenministerium hat "Combat 18" am heutigen Tag verboten. Lesen Sie alles dazu HIER.
- Bundesinnenministerium: "Verbot von Combat 18 in Deutschland"
- Bundestags-Drucksachen 18/10757, 19/7384
- Landtags-Drucksache NRW 17/5475, Landtags-Drucksache Thüringen 6/3722
- WAZ: "Combat 18"-Zelle versorgte sich mit Waffen
- Verfassungsschutz-Bericht NRW 2017
- Ruhr Nachrichten: Die im Dunkeln sieht man nicht – Eine Geschichte über den Rechtsextremismus in Dortmund seit 1982